Nach dem großen sicherheitspolitischen Rahmen gestern Nachmittag ging es bei der Jahrestagung der Reserve in Berlin heute weiter mit konkreten Arbeitsfeldern auf dem Gebiet der Reservistenarbeit. Neben Beorderungszahlen und Reservedienstposten ging es dabei auch um das Mindset. „Das stundenlange Diskutieren ist noch keine Lösung“, mahnte gleich zu Beginn der Präsident des Reservistenverbandes, Oberst d.R. Prof. Dr. Patrick Sensburg. „Aber wenn wir Probleme erkennen und sie mit dem richtigen Mindset angehen, dann geht es in die richtige Richtung!“ Was kann man sich von der diesjährigen Gastnation Großbritannien abschauen? Was von den US-Amerikanern? „Vielleicht kommen ja dann in Zukunft mal die Franzosen bei uns vorbei und schauen sich hier ein ‚best practice‘ ab, weil wir machen auch Vieles gut!“
Fortschritte gibt es unter anderem bei der Grundbeorderung. „Der Prozess hat sich eingespielt und die Zahl der Beorderungen steigt kontinuierlich“, berichtete Oberst i.G. Wilhelm Neißendorfer, Referatsleiter EBU I 2 im BMVg. Er schränkt aber auch ein: Die Umsetzung läuft regional sehr heterogen, das Zusammenwirken der Institutionen ist noch verbesserungswürdig. Und: „Das ewige Spiegeln in der Personalreserve hilft wenig, so werden wir keine ‚train-as-you-fight-units‘ bekommen.“ Soll heißen: Einfach einen Namen in ein Kästchen eintragen und einen Haken dran machen, reicht nicht aus. „Mein Auftrag ist es, die Reserve einsatz- und kriegsbereit aufzustellen.“ Und dazu gehört eben auch Übungstätigkeit. „Wenn wir an den Punkt kommen, dass die Heranziehung nicht mehr freiwillig werden, müssen die Strukturen dafür da sein. Der Mann oder die Frau muss wissen, auf welchen Dienstposten er oder sie geht. Für Ende 2025 kündigte Neißendorfer eine neu erarbeitete Strategie der Reserve an.
Ministerialrat Adrian Croon, Referatsleiter P I 3 thematisierte neben den Hürden und der Herangehensweise bei Beorderungen von Zivilpersonal der Bundeswehr die App „Meine Reserve“, die bei Quadriga/National Guardian erstmals getestet worden war. Erkenntnisse daraus sowie das Feedback – von Reservisten als Anwendern und von den Dienststellen für das Backend – fließen in die weitere Entwicklung mit ein. Spätestens Ende 2025 soll die Anwendung in allen gängigen App Stores bereitstehen.
Grundbeorderte längerfristig binden
„Entwicklung und Innovation gehören mit zur Kriegstüchtigkeit“, sagte Generalleutnant Andreas Hoppe, Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Beauftragter für Reservistenangelegenheiten. „Aber es kann nicht sein, dass wir für sowas fünf Jahre brauchen!“ Hintergrund: Sein Vorgänger Markus Laubenthal hatte die Entwicklung einer solchen App 2020 angewiesen.
Wie viele Reservistinnen und Reservisten dann per App herangezogen werden, sagte Oberst Thomas Berger, Leiter der für die Reserve zuständigen Abteilung VI im Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr. „Perspektivisch müsste es gelingen, bis 2027 knapp 47.000 Reservistinnen und Reservisten in der Grundbeorderung zu binden.“ Dann werde ein Kipppunkt erreicht, wenn die ersten, die 2021 grundbeordert wurden, nach sechs Jahren wieder ausscheiden. Um sich nicht nur auf jene zu verlassen, die dann turnusgemäß nachrutschen, rät er, schon frühzeitig an die Männer und Frauen heranzutreten, um sie längerfristig zu binden. „Das sieht auch das Lastenheft vor.“ Für den Heimatschutz empfiehlt Berger Mehrfachspiegelungen mit Hinblick auf die Regeneration bei Ausplanung und für eine adäquate Antrittsstärke bei Übungen.
Zahl der verbrauchten Stellen stagniert
Konzeptionell sollen das kurze Übungen zum Erhalt der Fähigkeiten sein, sagte Oberst i.G. Florian Kracht, Leiter des Kompetenzzentrums für Reservistenangelegenheiten der Bundeswehr (KompZResAngelBw). „Das sehen wir statistisch aber noch nicht.“ Im dritten Jahr in Folge stagniert die Zahl der Reservistenstellen bei 5.500. Das heißt: An jedem Tag des Jahres können im Durchschnitt 5.500 Reservisten in der Truppe üben. Im vergangenen Jahr wurden jedoch nur 86 Prozent abgerufen. 50 Millionen Euro wurden deshalb nicht verausgabt. Was sich für Außenstehende vielleicht erst einmal sparsam und gut anhört, hat mit Zeitenwende jedoch nicht viel zu tun. „Es kann nicht sein, dass wenn wir die finanziellen Mittel dafür haben, die Stellen dann nicht abrufen. Das ist mir ein Dort im Auge“, sagte Hoppe. Sensburg ergänzt: „Die Stellen müssen attraktiv sein, wir müssen die Reservisten umgarnen und ambitionierter werden, sonst werden das potemkinsche Dörfer.“
Ein Stichtag, auf den viele Akteure in der Reservistenarbeit blicken, ist der 1. April 2025. Für die beorderungsunabhängige Reservistenarbeit heißt das: An die Stelle der Landeskommandos tritt eine Steuerungsgruppe des Streitkräfteamts (konkret: KompZResAngelBw) für die fachlichen Vorgaben. Kracht versichert: Die beorderungsunabhängige Reservistenarbeit bleibt in der Fläche, das SKA steuert lediglich von Bonn aus.
Das Heer übernimmt den Heimatschutz
Zudem wechseln die Heimatschutzregimenter zum Kommando Heer unter das Dach einer Heimatschutzdivision. Oberst i.G. Andreas Bleeck skizzierte hier den vorgesehenen Weg: In einem ersten Schritt werden die Heimatschutzkompanien, die bislang einem Landeskommando unterstellt sind, einem regionalen Regiment zugeordnet. Truppendienstliche und taktische Führungsaufgaben werden von den Landeskommandos in die Heimatschutzregimenter übergeleitet, zudem stellen die Regimenter die eigenständige Führungsfähigkeit her. In einem weiteren Schritt übernimmt das Kommando Heer (in Teilen die Heimatschutzdivision) die Fachaufgaben vom Territorialen Führungskommando. Der letzte Schritt am 1. April 2025 schließt diesen Prozess ab. Dann wechseln die führungsfähigen Heimatschutzregimenter unter das Dach der Heimatschutzdivision und das in Berlin verortete Heimatschutzregiment 6 wird unter der Federführung des Heeres in Dienst gestellt. Wichtig dabei: Nicht alle Regimenter sind gleich stark, die Anzahl der Kompanien unterscheidet sich regional.
Über die Ausbildung von Reservistinnen und Reservisten sprach Oberst Jochen Geck, ebenfalls vom Kompetenzzentrum für Reservistenangelegenheiten der Bundeswehr. Hier ist die Marschrichtung klar: Soldatisches Grundhandwerk steht an erster Stelle, was militärisch nicht notwendig ist, fällt weg. Dabei möchte die Bundeswehr verstärkt auf Modularisierung und Fernlernen setzen, um möglichst wenig Reibung mit dem Zivilberuf zu erzeugen. Schießausbildung und Gefechtsdienst werden – logischerweise –in Präsenz ausgebildet. Aber auch Geck stellt fest: Die Freiwilligkeit steht dem Herstellen der vollen Einsatzbereitschaft (noch) entgegen.
Noch ein weiter Weg zur Kriegstüchtigkeit
Bei all den Zahlen, Daten und Zeitfenstern gibt es jedoch einen Aspekt, der sich nicht messen lässt: „Rechenschieber haben keine Maßeinheit für Kameradschaft“, sagte Pascal Kober MdB, Stellvertreter des Präsidenten des Reservistenverbandes. In seiner Rede adressierte er den Wehrwillen der Bevölkerung. Hier seien Reservistinnen und Reservisten aller Alters- und Dienstgradgruppen gefragt, um als Mittler für die Belange der Streitkräfte in der Bevölkerung einzustehen.
„Die ersten Schritte sind getan, viele weitere liegen vor uns“, resümierte Verbandspräsident Sensburg. Und auch „Stellv. GI“ Hoppe stellte abschließend fest, dass seine To-do-Liste wieder um einige Punkte länger geworden ist. Fest steht aber auch: Die Zeit zum Handeln ist Jetzt – vor allem mit Blick auf die sicherheitspolitische Großwetterlage, die gestern Thema war – hier nachlesen. Wie die Eingliederung der Heimatschutzkräfte ins Heer geklappt hat und wie es um die beorderungsunabhängige Reservistenarbeit steht, ist dann Thema bei der nächsten Jahrestagung am 10. und 11. Oktober 2025.