Das Loyal Titel-Thema Januar 2010
Seit 50 Jahren bietet der Reservistenverband den ehemaligen Soldaten der Bundeswehr eine „militärische Heimat“. Als Partner der Streitkräfte und sicherheitspolitischer Mittler engagieren sich seine Mitglieder für den Schutz und die Freiheit unseres Landes. Das Jubiläumsjahr 2010 gibt uns Gelegenheit, mit Stolz in die Vergangenheit, aber auch voller Tatkraft in die Zukunft zu blicken.
Der Reservistenverband blickt in diesen Tagen auf ein bewegtes halbes Jahrhundert zurück. Keiner der Gründungsväter, die am 22. Januar vor 50 Jahren in Bonn zusammenkamen, hat wohl vorhersehen können, dass wir den Kalten Krieg friedlich überwinden und dass Soldaten aus Ost und West heute im fordernsten Einsatz der Bundeswehrgeschichte, in Afghanistan, ihre Pflicht erfüllen würden. Die Bundesrepublik ist ein Land, dessen Menschen seit 60 Jahren in Frieden und Freiheit leben können. Daran haben unsere Soldaten und mit ihnen wir, die Reservisten, einen großen Anteil. Darauf können wir stolz sein.
Doch der Anfang war schwer. Er stellte für viele Reservisten eine heute kaum mehr vorstellbare Herausforderung dar. Die Männer trugen umständliche Gamaschenschuhe statt hoch schließender Stiefel und Uniformteile aus strapazierfähigem und warmem Moleskin. Was das Gerät anging, galt früher der Wahlspruch: „Besser schlecht fahren als gut laufen.“ Ältere erinnern sich an das Universal-Motor-Gerät (Unimog) mit Ofenrohr, den engen und reparaturanfälligen Schützenpanzer HS 30 oder den Sprit fressenden Kampfpanzer M48A2. Bald folgte moderneres Gerät. Verbandsmitglieder mittleren Alters dienten auf „Leopard“, „Luchs“ und „Fuchs“. Die Namen der Jagdtiere standen ab Mitte der 60er Jahre für eine neue Generation von Bundeswehrpanzern. Nicht nur das Heer, die gesamte Bundeswehr wurde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder modernisiert. Jüngere Reservistinnen und Reservisten kennen aus ihrem Dienst Waffensysteme, die weltweit zu den modernsten ihrer Art gehören: den Eurofighter, die Brennstoffzellen-Uboote der Klasse 212A oder den Leopard-Kampfpanzer 2A6. Und die Flecktarn-Uniform ist heute bequemer als manche Straßenkleidung.
Leben mussten wir Reservisten stets auch mit heftigen Auseinandersetzungen über Sinn und Zweck der Bundeswehr. Wir waren in den ersten Jahren des Verbandsbestehens mit der ablehnenden Haltung vieler Bürger gegen alles Militärische konfrontiert. Nach einem selbst verschuldeten Krieg, der Deutschland in Schutt und Asche gelegt hatte, war das durchaus nachvollziehbar. Andererseits sorgte diese Haltung mit dafür, dass von Anfang an der aus Einsicht handelnde „Staatsbürger in Uniform“ zum Leitbild der Inneren Führung wurde. Weitere Debatten folgten, etwa um den NATO-Doppelbeschluss und, nach dem Ende des Kalten Krieges, über die Rolle der Bundeswehr in internationalen Stabilisierungs- und Friedenseinsätzen. Die aktuelle Mission in Afghanistan, die derzeit die sicherheitspolitische Debatte immer weniger Interessierter prägt, wirft in Politik und Gesellschaft ganz grundsätzliche Fragen auf: Sollen deutsche Soldaten 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder kämpfen, mitunter gar töten? Oder sollen sie sich auf eine Rolle als bewaffneter Entwicklungshelfer beschränken? Wie lange darf ein Einsatz überhaupt dauern? Und welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit die Bundeswehr aus einem Land wieder abziehen kann? Flankierend begleiten wir Reservisten Fragen der gesellschaftlichen Einbettung und der inneren Struktur der Bundeswehr, die ihr Engagement und ihr Selbstverständnis prägen: Sind der Eid und das feierliche Gelöbnis noch zeitgemäß? Sollte man den Wehrdienst abschaffen, aussetzen oder beibehalten? Brauchen wir eine allgemeine Dienstpflicht?
Unsere globalisierte Welt verändert sich rasant und mit ihr die Rahmenbedingungen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Jeder aktive Soldat ist ein künftiger Reservist. Zum Grundverständnis engagierter Reservisten gehört, dass sich die Streitkräfte auf sie verlassen können, etwa dann, wenn aktive Soldaten auf einem Dienstposten zeitweilig ersetzt werden müssen. Die Armee im Einsatz ist ohne eine moderne und anpassungsfähige Reserve nicht denkbar. Darum hat es sich der Reservistenverband zur Aufgabe gemacht, die Modernisierung der Bundeswehr aktiv mitzugestalten, woraus folgt, dass er sich auch stets selbst modernisieren muss. Nur dann kann er als ernst zu nehmender Partner an der Seite der Bundeswehr stehen. Nur dann kann er seinem Anspruch, die Interessenvertretung aller Reservisten in Deutschland – ob beordert oder nicht – zu sein, entsprechen. Nur dann hat er eine Zukunft, nur dann wird er im Jahr 2060 seinen 100. Geburtstag feiern können.
Mehr denn je sind in einer modernen Reserve zivile und militärische Qualifikationen gefragt. Der Verband ist beauftragter Träger der beorderungsunabhängigen, freiwilligen Reservistenarbeit. Er qualifiziert Reservisten für spätere Aufgaben auf Dienstposten der Bundeswehr. In Zeiten zunehmenden Desinteresses gegenüber sicherheitspolitischen Themen und eines finanziellen Sparzwangs, in dessen Folge sich die Streitkräfte aus der Fläche immer mehr zurückziehen, verfügt der Verband über ein einmaliges Potenzial sicherheitspolitischer Multiplikatoren. Wir – Reservisten, aktive Soldaten und fördernde Mitglieder – sind vielerorts die Einzigen geblieben, die unsere Mitbürger über den Auftrag der Streitkräfte und ihre Bedeutung informieren. Wir sind es, die in Diskussionen das Interesse an unseren Soldaten wach halten. Der ständige Gedankenaustausch, gerade mit jungen Menschen, hält unseren Verband fidel. Er wird kein Veteranenverein, dessen Mitglieder sich am Lagerfeuer erzählen, wie schön die alte Zeit war, auch wenn diese Abende ihre Rolle im Vereinsleben haben müssen. Erlebte Kameradschaft bleibt ein starkes Band, gerade in unserer individualisierten Gesellschaft.
Die Bundeswehr und ihre Reservisten, das haben die zurückliegenden 50 Jahre gezeigt, sind unersetzliche Bestandteile unserer Demokratie. Sie sind ihr Schutzgarant gegen Gefahren von Außen. Unsere Politiker sind gefordert, die Rahmenbedingungen für ihre nachhaltige Zukunft zu gestalten. Reservisten brauchen Anerkennung. Denn sie bringen sich freiwillig und ehrenamtlich für den Staat und die Gesellschaft ein. Ihre Rolle als Staatsbürger, zivil und in Uniform, bleibt unverzichtbar.