loyal-Titelthema der Ausgabe Dezmber 2019
Während sich im Bayerischen Wald sieben Soldaten durch den härtesten Lehrgang des Sanitätsdienstes quälen, spricht ein Generalarzt in Berlin-Gatow Klartext: Sollte die Bundeswehr in einem großen Krieg in Osteuropa eingesetzt werden, könnte sie ihre Verwundeten nicht mehr auf dem bisherigen Niveau versorgen.
Zeitenwende im Sanitätsdienst
von Julia Egleder
Sascha Kaiser* atmet schwer. Zwanzig Kilogramm wiegt sein Rucksack mit dem Sanitätsmaterial. „Flapp, flapp, flapp“, bei jedem Schritt schlägt die Last an seinen Rücken. Vier Kilometer hat der Hauptfeldwebel an diesem kalten Septembermorgen bereits im Laufschritt zurückgelegt. Nebel wabert zwischen den Bäumen des Bayerischen Waldes. Jetzt wartet die nächste Aufgabe auf Sascha Kaiser. Eine Aufgabe, die ihn seinem Ziel wieder ein Stück näher bringen soll. Der Hauptfeldwebel will zu den besten Sanitätern der Bundeswehr gehören. Deshalb hat er sich für das Sondertraining „Taktische Verwundetenversorgung“ gemeldet. Es ist ein Lehrgang, der ihn an seine Grenzen bringt.
Zwei Wochen ist es her, dass Sascha Kaiser nach Feldkirchen, den Standort des Sanitätslehrregiments „Niederbayern“, gekommen ist. Dieses Regiment ist für den Sanitätsdienst das, was die Infanterieschule in Hammelburg für das Heer ist. Hier werden die Sanitäter der Bundeswehr für den Einsatz ausgebildet. Sascha Kaiser und seine Kameraden haben bereits gelernt, wie sie auch unter Feuer ihre Kameraden retten und dabei selbst überleben können. Denn längst sind Sanitäter in den Kriegen unserer Zeit zum Ziel geworden. Das zeigt etwa der Tod von Thomas Broer in Afghanistan. Der Oberstabsarzt war im April 2010 von einer Panzerfaust der Taliban getroffen worden. Die Aufständischen hatten das mit einem großen roten Kreuz gekennzeichnete Fahrzeug Broers angegriffen, obwohl Angriffe wie dieser nach dem humanitären Völkerrecht verboten sind.
Bei der Abschlussprüfung des Lehrgangs müssen Sascha Kaiser und seine Kameraden jetzt beweisen, dass sie das in den zurückliegenden zwei Wochen Trainierte auch anwenden können. Nur wer in den nächsten 72 Stunden alle Aufgaben besteht, bekommt das Abzeichen „Taktische Verwundetenversorgung“. Mit diesem Abzeichen will der Sanitätsdienst „die Wertschätzung und Anerkennung für besonders leistungsfähige Soldaten und Soldatinnen“ zum Ausdruck bringen, erklärt Hauptmann Matthias Querbach vom Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr. Wer den Lehrgang besteht, solle stolz auf sich und seine Leistung sein können, sagt er.
Der Lehrgang ist eine Premiere. Sascha Kaiser und sechs andere Soldaten sind die ersten, die ihn absolvieren. Die sieben gehören zu den Wenigen, die die strengen Zugangsvoraussetzungen erfüllen konnten. Mindestens 150 Einsatztage müssen die Sanitäter bereits absolviert haben und dabei mit Kampftruppen außerhalb des Lagers unterwegs gewesen sein. Sie brauchen lange Erfahrung im Rettungsdienst. Zudem müssen sie körperlich fit sein und das infanteristische Handwerk verstehen. Das trifft offenbar nur auf wenige der 20.000 Mitglieder des Sanitätsdiensts zu: Nur zwölf Interessierte haben sich für den Lehrgang gemeldet. Geblieben sind noch sieben. Sascha Kaiser ist einer von ihnen. Der Hauptfeldwebel arbeitet als Ausbilder an der Sanitätsakademie in München. Nun muss er zeigen, dass er sein Können nicht nur im ruhigen Hörsaal versteht, sondern auch im feuchten Wald, erschöpft, müde, mit klammen Fingern.
Die erste Aufgabe lautet, einen schwer verwundeten Soldaten zu stabilisieren, sodass er den Transport in eine Behandlungseinrichtung überleben kann. Die Ausbilder geben Sascha Kaiser dafür zehn Minuten Zeit. Das ist wenig. Nach einem vier Kilometer langen Lauf erreicht der Hauptfeldwebel schwer atmend den Verletzten. Er wird dargestellt von einer Gummipuppe, die auf dem Waldboden liegt. Sie steckt voller Technik, die die Lebensfunktionen eines Menschen nachahmen soll: Atmung, Puls, Blutkreislauf. Jetzt soll die Puppe einen Soldaten simulieren, der durch drei Schüsse schwer verwundet wurde. Rote Farbe verfärbt die Hose der Puppe auf Höhe des rechten Oberschenkels. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich langsam.
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