loyal-Titelthema der Ausgabe November 2019
Cybertrolle, „Iskander“-Raketen und Angst vor Annexion – die sicherheitspolitische Lage im Ostseeraum ist angespannt. Experten und Verbündete schreiben Deutschland die Führung in schwierigen Gewässern zu. Bei der Übung „Northern Coasts“ zeigt die Deutsche Marine, dass sie dazu bereit ist.
Bedrohung aus Ost-Nordost
von Vivien Bettex
Die Tu-160, Codename „Blackjack“ (Totschläger), ist das größte und schwerste Kampfflugzeug der Welt. Der Bomber fliegt doppelt so schnell wie der Schall, hat eine Reichweite von 12.000 Kilometer und kann mit bis zu 24 Atomlenkwaffen vom Typ „Raduga“ Ch-15, wahlweise aber auch Dutzenden Brand-, Streu- oder Freifallbomben bestückt werden. Die Tu-160 ist auch bei der Nato gefürchtet.
Als sich die russische Luftwaffe am 17. September dieses Jahres mit zwei Tu-160 in Richtung Baltikum bewegt, ist der Zeitpunkt vermutlich kein Zufall. Auf der Ostsee läuft an jenem Tag die letzte Phase der multinationalen Übung „Northern Coasts“. 18 Nato- und EU-Länder sind an dem Manöver unter deutscher Führung beteiligt. Ein geeigneter Zeitpunkt für eine russische „Show of force“, für eine Machtdemonstration. Sieben Stunden lang werden die „Tupolev“-Piloten ihre Kreise über der Ostsee ziehen. So wird es das russische Verteidigungsministerium noch am selben Tag mitteilen – und den Film zum Flug auf Facebook posten. Propaganda aus Ost-Nordost.
Im Zuge von „Northern Coasts“ trainieren knapp 3.000 Soldaten zwei Wochen lang taktische Situationen im küstennahen Umfeld. Das Szenario: Eine auf Bornholm lebende Minderheit will nicht länger zu Staat A, sondern fortan zu Staat B gehören. Die Separatisten werden dabei von Staat B unterstützt. Der Auftrag der Soldaten lautet, eine Stabilisierungsmission auf Bornholm aufzubauen und auf der Ostsee die freien Seewege zu gewährleisten. Die Manöver-Staaten haben dafür 47 Schiffe und Boote, ein U-Boot, sieben Flugzeuge und fünf Hubschrauber in die Ostsee verlegt. Dabei bildet die Minenabwehr einen Schwerpunkt.
Noch nie seit Beginn der „Northern-Coasts“-Übungsserie im Jahr 2007 sind Militärmanöver in der Ostsee so nötig gewesen wie heute. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 hat bei den Anrainern des Binnenmeeres zu tiefer Verunsicherung geführt. Die Nato besinnt sich wieder auf die Landes- und Bündnisverteidigung.
Vom Marinestützpunkt Warnemünde aus sticht die „Oldenburg“ an einem der ersten Manövertage in See. Die Korvette bewegt sich in einer Gruppe von fünf Schiffen aus Deutschland, Dänemark, Frankreich und Schweden bei gutem Seewetter durch die Mecklenburger Bucht. Bevor in den kommenden Tagen das offene Manöver beginnt, trainieren die Soldaten die wichtigsten Standardverfahren. Dazu zählen die Betankung auf See und der Betrieb des Flugdecks. Außerdem üben die Soldaten, wie sie sich beim Ausfall von Elektrik, Elektronik, Radar, Funk und Ruderanlage verhalten müssen. Das alles dient dazu, die Kampffähigkeit der Besatzungen zu verbessern.
Wichtig ist hierbei vor allem die reibungslose Kommunikation mit anderen Einheiten – insbesondere innerhalb der eigenen Gruppe. „Die Drucker laufen jetzt heiß“, berichtet der 2. Radarmeister der „Oldenburg“. Um alle Abstimmungen während der Übung mitplotten zu können, ziehen die Drucker stapelweise weißer Papierbögen durch ihren Bauch. Im Laufe des Manövers werden es Tausende sein.
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