Wahlkämpfe sind traditionell von der Innenpolitik geprägt. Doch bei dieser Bundestagswahl geht es nicht mehr allein um das Wohl der Bundesrepublik, sondern um das Europas. Von einem neuen sicherheitspolitischen Gewicht Deutschlands hängt die machtpolitische Glaubwürdigkeit des Kontinents ab
Von Jochen BittnerPeter Parker war der eher schüchterne Typ. Kein Draufgänger, kein Trendsetter, dafür solide, verlässlich, auf unaufdringliche Art werteorientiert. Eines Tages bemerkte Peter Parker Veränderungen an sich. Er nahm Kräfte wahr, die er nie für möglich gehalten hatte, seltsame Kräfte, Spinnenkräfte. Plötzlich war er zu unglaublichen Dingen imstande. Peter Parker war verwirrt. Was sollte er tun? Die neuen Kräfte ignorieren? Sie geheim halten? Abwarten, ob sie wieder verschwinden? Schließlich erinnerte sich Peter Parker an eine Weisheit, die ihm sein Onkel Ben mit auf den Weg gegeben hat: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung!“ Peter Parker beschloss, seine Kraft einzusetzen, um seine Stadt sicherer zu machen. Spiderman war geboren.
Deutschland geht es heute ein wenig wie Peter Parker. Es hat eine Macht gewonnen, die es nie angestrebt hat. Die Bundesregierung, scheint es indes, findet den Rat von Onkel Ben wenig überzeugend. Aus der zunehmenden Kraft Deutschlands folgt für sie keineswegs eine gestiegene Verantwortung für die Sicherheit ihrer Umgebung. Die erwachsene Rolle, die Deutschland in Europa spielt, steht noch immer in deutlichem Kontrast zu seiner Unreife in der Sicherheitspolitik. Anders als Peter Parker hat Deutschland allerdings nicht die Chance, seine neuen Kräfte geheim zu halten. Im Gegenteil: Seine Nachbarn warten ungeduldig darauf, dass Deutschland zu seiner neuen Verantwortung steht. Was Außenminister Guido Westerwelle die „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ nennt, erscheint seinen Partnern immer öfter schlicht als Feigheit.