loyal-Titelthema der Ausgabe Dezember 2015
Mit Excel gegen Al-Shabaab
Aus Mogadischu von Marco Seliger
Irgendwo da draußen vor den Mauern und dem Stacheldraht schleifte vor 22 Jahren ein Mob die Leichen von Gary Gordon, Randall Shughart und anderen US-Elitesoldaten durch die staubigen Straßen. Marcus und Tobi waren damals erst elf Jahre alt, aber natürlich kennen sie die Geschichte. Jedem hier im europäischen Feldlager am Flughafen von Mogadischu ist das Desaster der Operation „Irene“ vom 3. Oktober 1993 bekannt. 160 Amerikaner kämpften nach dem Abschuss zweier „Black Hawk“-Hubschrauber 14 Stunden lang gegen Tausende schwer bewaffnete Milizionäre des Warlords Mohammed Farah Aidid. Am Ende waren 18 von ihnen tot und mehr als 70 verwundet. Die Fotos der geschändeten Leichen amerikanischer Soldaten gingen um die Welt und empörten die USA. Der damalige Präsident Bill Clinton beendete den Einsatz. Bald verließen auch die in Somalia stationierten UN-Friedenstruppen das Land. Der zerrüttete Landstrich wurde sich selbst überlassen.
Inzwischen geht das 24. Bürgerkriegsjahr in Somalia zu Ende. Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 herrschen dort Hunger, Tod und Vertreibung. Die Welt interessierte das lange nicht. Somalia war ein zerfallender Staat, bitterarm und strategisch uninteressant. Ein hoffnungsloser Fall. Vergessen, bis auf See somalische Piraten Handelsschiffe kaperten und an Land islamistische Terroristen die Macht ergriffen. Plötzlich musste etwas geschehen. Die Vereinten Nationen schickten erneut Friedenstruppen und die Europäische Union 160 Militärausbilder. Zwei von ihnen sind Marcus und Tobi, ein Hauptmann und ein Leutnant aus dem Bataillon für elektronische Kampfführung in Daun.
Die beiden sitzen frisch geduscht auf einer Terrasse in ihrem Camp am Flughafen von Mogadischu. Wer hier über Monate stationiert ist, soll es gut haben. Die Soldaten leben in umgebauten Schiffscontainern, in denen die Betten von ugandischen Servicekräften gemacht werden. Es gibt einen Pool mit Bar und Bedienungen, die in der Kantine die Teller abräumen. Einen Steinwurf entfernt hebt dröhnend ein Flugzeug ab. Die Start- und Landebahn des „Aden Adde International Airport“ ist zum Greifen nah, der Indische Ozean braust mit tosenden Wellen bis an den Rand der Runway. Als die Amerikaner damals mit ihren „Black Hawk“ und „Little Bird“ zu ihrem desaströsen Einsatz aufbrachen, starteten sie von hier in Richtung Stadtzentrum.
Das ist lange her und scheint hier oben auf der Terrasse weit weg. „Mit uns hat das nun wirklich gar nichts zu tun“, sagt Marcus, steckt sich eine Zigarette an und nimmt einen Schluck Kaffee aus einer weißen Tasse. „Anders als die Amerikaner damals sind wir nicht hier, um zu kämpfen.“ Doch wenn Soldaten wie er über Somalia sprechen, dann kommt die Rede automatisch auf die „Schlacht von Mogadischu“. Die meisten hier haben das Buch „Black Hawk Down“ gelesen oder den gleichnamigen Film gesehen. Ihr Bild von Somalias Hauptstadt ist vorgeprägt. Auch Marcus macht sich seine Gedanken. Er weiß aus Afghanistan, wie es ist, wenn ihm die Kugeln um die Ohren fliegen. „Das Adrenalin lässt dich die Angst, die Anstrengungen, Müdigkeit und Erschöpfung nicht spüren“, sagt er. Aber zu Fuß durch Mogadischu, nur mit einem Gewehr und Munition, so wie es die Amerikaner damals getan hatten, bedrängt von Tausenden Somalis, das wolle er sich lieber nicht vorstellen. Muss er aber auch nicht. Denn Marcus und Tobi, zwei von vier Bundeswehrausbildern in Mogadischu, sollen nicht Warlords jagen, sondern somalische Soldaten ausbilden.