loyal-Titelthema der Doppelausgabe Juli/August 2015
Der Informationskrieg
Von Marco Seliger
Golineh Atai hat nicht gedient. Katrin Eigendorf auch nicht. Doch beide Frauen sind für das Regime von Wladimir Putin bedrohlicher als eine ganze Division der US-Army. Sie sind Fernsehkorrespondentinnen in Moskau, Golineh Atai (40) für die ARD, Katrin Eigendorf (52) für das ZDF. Sie berichten vom Krieg in der Ukraine, ein Millionenpublikum sieht ihre Beiträge in den Nachrichten. Ihre Bilder und ihre Kommentare beeinflussen die Meinung der Deutschen über den Konflikt in Osteuropa – und damit politische Entscheidungen in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten. Für die Kriegsparteien in der Ukraine sind sie ein strategischer Faktor, entscheidend für Erfolg und Misserfolg, Sieg und Niederlage. Das Kreml-Regime betrachtet Journalisten als Kombattanten. Nach dieser Logik sind Golineh Atai und Katrin Eigendorf Kriegsteilnehmer. Soldatinnen.
Ihr Gegner auf der anderen Seite trägt dunkles Haar, hat schwarz geschminkte Augen und ein schmales, hübsches Gesicht. Auch Ludmila Sawtschuk (34) hat nicht gedient. Die Wände ihrer Wohnung zieren bunte Zeichnungen, sie hat zwei Kinder im Vorschulalter. Wie Golineh Atai und Katrin Eigendorf kämpft auch sie an der Informationsfront des Kriegs in der Ukraine. Doch anders als die deutschen Journalistinnen berichtet sie nicht direkt aus dem Konfliktgebiet. Ihr Arbeitsplatz befindet sich in einem Büroraum der „Agentur zur Analyse des Internets“ in der russischen Millionenstadt St. Petersburg.
Von dort aus flutet sie anonym die Kommentarspalten des Internets mit den Propaganda-Stanzen des Kremls. Ihre Vorgesetzten sagen, sie sei ein „Soldat, der für eine gerechte Sache kämpft“. Ihre Waffen sind Worte, ihr Ziel unter anderem westliche Journalisten, die über den Konflikt in der Ukraine berichten. Journalisten wie Golineh Atai und Katrin Eigendorf. Ludmilla Sawtschuk ist eine russische Onlinekriegerin, ein „Troll“ und Soldatin in einer Propaganda-schlacht, die der Kreml seit mehr als einem Jahr gegen westliche Medien um die Deutungshoheit in der Ukrainekrise führt.
Ludmilla Sawtschuk schreibt Posts und benutzt dazu Fake-Profile. Posts sind kürzere Meinungsartikel in Internetforen und Blogs, auf Facebook und bei Twitter. Sie beeinflussen die Diskussion, sie sind eine neue, sehr moderne Form von Sabotage. Dazu bekommt Ludmilla Sawtschuk von ihren Vorgesetzten täglich Themen, Schlüsselwörter und Kriterien vorgegeben, die sie in ihren Texten berücksichtigen muss. Ihr Ziel: den Gegner zu diskreditieren, also seine Glaubwürdigkeit in der Ukraine-Berichterstattung zu untergraben, und mit den Kommentaren eine Diskussion zu provozieren, etwa über Wahrheit und Lüge im Ukrainekrieg…