Loyal-Titelthema des Monats Juli/August 2010
Die Bundeswehr steht vor dem größten Umbau ihrer Geschichte. Noch ist nicht ausgemacht, was er bringen wird. Einstweilen gilt: In jeder Krise liegt eine Chance. Von Marco Seliger.
Alles wird anders
Die Herren sind extra aus Hameln gekommen. Mit ihren Fahrzeugen nehmen sie die Straße Am Park, an ihrem Ende versperrt ein eisernes Tor die Weiterfahrt. Dahinter beginnt das Militärgelände. Die Besucher sind angemeldet, pensionierte Soldaten, die sich einen Nachmittag lang in der Kaserne der Panzertruppenschule in Munster die neuesten Entwicklungen im Heer darlegen lassen wollen. Nachdem die Formalitäten erledigt sind, passiert der Konvoi die Einfahrt und nimmt Kurs auf das Stabsgebäude des Ausbildungszentrums. An der ersten Kreuzung macht die Gruppe halt, die Blicke gehen nach links. Dort stehen die Hauptwaffensysteme der Truppengattungen an diesem Heeresstandort: der Schützenpanzer Marder der Panzergrenadiere, der Kampfpanzer Leopard der Panzertruppe, der Spähpanzer Luchs der Heeresaufklärungstruppe und der Gepard der Heeresflugabwehrtruppe. Der Gepard ist ein Flugabwehrkanonenpanzer. Das erste Modell wurde im Dezember 1976 an die Bundeswehr geliefert. 34 Jahre später, ebenfalls zum Jahresende, endet die Geschichte des Gepard in den deutschen Streitkräften. „Wir werden ihn außer Dienst stellen“, sagt ein Offizier den sachkundigen Besuchern. „Die Finanzlage zwingt uns dazu.“ Die Herren nicken, sie wissen das bereits. „Ich befürchte, das ist erst der Anfang“, sagt einer von ihnen. Das war Ende Mai.
Anfang Juni tritt im Kanzleramt in Berlin die Bundesregierung zusammen. Dass die beiden Klausurtage turbulent würden, war in Anbetracht der Euro- und Finanzkrise sowie der prekären Haushaltslage schon vorher absehbar. Doch was das Kabinett dann beschließt, kommt in seinen Auswirkungen auf die Streitkräfte einem Erdrutsch gleich. Bis Ende 2014 soll das Verteidigungsressort 8,3 Milliarden Euro einsparen, unter anderem durch die Streichung von 40.000 Dienstposten für Zeit- und Berufssoldaten. Verteidigungsexperten in Berlin zufolge, ginge dies mit einem Einstellungsstopp und weitreichenden Folgen für die Regeneration der Bundeswehr einher. Zeitgleich wären damit erhebliche Einschnitte in die Struktur, die Ausrüstung und die militärischen Fähigkeiten sowie – zwangsläufig – Standortschließungen verbunden. Zur Zukunft der Wehrpflicht, von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zuletzt mehrfach in Frage gestellt, trifft das Kabinett keine abschließende Entscheidung. Kanzlerin Angela Merkel kündigt eine „ergebnisoffene“ Diskussion darüber an, doch halten es Verteidigungsexperten für vorstellbar, dass die Wehrpflicht zum 1. Januar 2011 ausgesetzt und damit quasi abgeschafft wird. Dient die Euro- und Finanzkrise also als probates Argument, um die Reform der Bundeswehr und ihre Umwandlung von der Wehrpflicht- zur Berufsarmee zu beschleunigen? Deutschland bekommt eine andere Armee. So viel scheint jedenfalls sicher.