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loyal-Titelthema des Monats März 2016




Über die Lage der Menschen in den Kriegsgebieten Syriens können westliche Journalisten schon länger nicht mehr aus eigenem Erleben berichten. Die Gefahr ist zu groß, dass sie entführt und getötet werden. Carsten Stormer war als einer der letzten europäischen Reporter dort. Er hat islamistische Rebellen in der eingeschlossenen Stadt Zabadani begleitet.

80 Granaten pro Tag

von Carsten Stormer

Abu Jabers Welt hat sich auf die zerstörten Straßenzüge seiner Heimatstadt reduziert. Das trockene Knallen der Scharfschützengewehre ist zum Soundtrack seines Lebens geworden. „Komm, ich zeige dir die Stadt“, sagt er. Doch daraus wird nichts. „Kosov! Kosov! Kosov!“, krächzt es aus dem Funkgerät, das Abu Jaber immer bei sich trägt. Granaten! Die syrische Armee hat wieder damit begonnen, die Stadt von ihren Stellungen in den Bergen aus zu beschießen. Wir müssen die Stadtrundfahrt verschieben.

Drei Monate lang habe ich diese Reise vorbereitet, mit Aktivisten der syrischen Untergrundbewegung geskypt, Routen gecheckt, verhandelt, umgeplant, Übersetzer gesucht. Ich will in die Stadt Zabadani. Ein ehemaliger Luftkurort, 30 Kilometer von Damaskus entfernt und seit fast zwei Jahren eingekesselt von der syrischen Armee. Ich will schreiben, wie die Menschen in einer Stadt leben, in der sie täglich sterben können. Wie wird diese Stadt versorgt? Wie verwaltet? Wer sorgt für Recht und Ordnung? Wovon leben die Menschen? Wie überleben sie? Das ist wichtig, dachte ich.

Es ist mein zweiter Versuch, Zabadani zu erreichen. Im Mai 2013 bin ich kläglich gescheitert. Damals hatte ich viel Geld und Zeit verschwendet, ohne auch nur in die Nähe des Ortes zu gelangen. Von den 40.000 Menschen, die dort einst lebten, sollen nur noch 3.000 in der Stadt ausharren. Tagelang saß ich zunächst im Libanon und dann in einem syrischen Kaff fest. Erst kam eine Offensive der Armee dazwischen, dann griff die Hizbullah in den Krieg ein. Später regnete oder schneite es so heftig, dass ich unmöglich die Berge überqueren konnte.

Diesmal ist alles gut vorbereitet: das Handgeld des Schmugglers ausgehandelt, die Sonne lacht. Im einzigen Café eines staubigen Nests, zwei Stunden von der libanesischen Hauptstadt Beirut entfernt, treffe ich meine Kontaktperson. Es ist ein dürrer Mann mit Sonnenbrille, der sich auffällig unauffällig bewegt. Er setzt sich neben mich, zündet eine Zigarette an, bläst mir Rauch ins Gesicht, nimmt die Sonnenbrille ab, schaut mir in die Augen – und sagt kein Wort. Es ist wie in einem zweitklassigen Agentenfilm und ich muss lachen, setze meine Sonnenbrille auf und zünde mir eine Zigarette an. Jetzt lachen wir beide.

Das Briefing ist kurz. „Pass auf“, sagt Fadi, wie sich mein Schleuser nennt, „in einer halben Stunde kommt mein Cousin Aiman und bringt dich an die Grenze; dort wartet ein Auto, das mit dir nach Zabadani fährt.“ Der Weg sei sicher, beteuert der 22-Jährige, der aus Zabadani geflüchtet ist. „Nur zwei Stunden, heute Abend bist du da“, versichert Fadi.

Bei Einbruch der Dunkelheit erreichen wir die erste größere syrische Stadt. Sie wird von der Armee gehalten. In einer Obstbaumplantage wartet ein Geländewagen. „Schneller, schneller“, ruft der Fahrer, kaum älter als 16 Jahre. Wir springen auf die Ladefläche, meine Begleiter tauschen ihre Uniformen gegen Jogginghosen und T-Shirts, werfen eine Plane über mich und mein Gepäck und bringen mich in die Wohnung eines Untergrundaktivisten. Dort verstecken wir uns bis spät in die Nacht.

Stunde um Stunde laufen wir dann durch Obstplantagen, entlang stillgelegter Gleise, robben an einem Checkpoint der Armee vorbei, so nahe, dass ich Soldaten lachen höre. Wir sprinten über eine Landstraße, dabei fällt ein Rebell in ein Abflussloch, schlägt sich die Nase blutig, wir hetzen Berg auf, Berg ab. Zwischendurch verliert unser Führer die Orientierung. An einem zerstörten Haus auf einem Gipfel muss ich mich vor Erschöpfung übergeben. In der Ferne höre ich das dumpfe Knallen von Panzergranaten. „Zabadani!“, sagt einer der Schmuggler und deutet mit dem Finger nach Süden, wo die Explosionen den Nachthimmel wie zuckende Blitze erleuchten.

Um fünf Uhr morgens erreichen wir die eingekesselte Stadt. Ich steige in das Tal von Zabadani wie in ein kaltes Bad. Am Stadtrand warten Rebellen auf Motorrädern. Der Morgen graut. Im Licht des anbrechenden Tages fahren wir durch eine Ruinenlandschaft. Links und rechts zerstörte Häuser, Panzerwracks, Schuttberge.

„Schnell. Komm rein. Granaten! Granaten!“, ruft jemand. Ich werfe meine Rucksäcke ab und stürme panisch in den Hauseingang vor mir, suche Schutz, presse meinen Helm auf den Kopf und warte auf den Einschlag. Mein Herz rast. „War nur ein Witz, mein Freund“, sagt der Mann und kichert. „Willkommen in Zabadani, Christ. Ich bin Fadis Onkel. Du wohnst bei mir.“ Der Witzbold heißt Abu Jaber. Er nimmt mir einen Rucksack ab und führt mich in seine Wohnung im Erdgeschoss. Die oberen Stockwerke sind ausgebombt. In Abu Jabers kleinen Wohnzimmer schlafen sechs Rebellen auf der Couch und auf dem Boden. Es riecht nach Schweiß und Käsefüßen.

Ich bin so erschöpft, dass ich mich neben einen der Schlafenden lege und sofort wegdöse. Als ich erwache, blicke ich in das Gesicht von Abu Jaber, nur wenige Zentimeter neben mir. „Frühstück?“, fragt er.