Loyal-Titelthema des Monats November 2012
Krisenzeiten im Weißen Haus
Von Klaus-Dieter Frankenberger
Die Vereinigten Staaten sind nach wie vor eine Weltmacht – genauer: Sie sind die einzige Macht, die globale Ordnungsfunktionen erfüllt, globale Interessen verfolgt und über die Mittel zu deren Durchsetzung verfügt, jedenfalls potenziell. In der Wirtschaft sind die Vereinigten Staaten (noch) führend; was ihre militärischen Fähigkeiten angeht, so ist der Abstand zu den folgenden Mächten immens. Selbst auf dem Feld der „soft power“ geht von Amerika weiterhin eine Anziehungskraft aus, die den Vergleich nicht scheuen muss. Die Aufsteiger der Weltwirtschaft holen – relativ – auf; eingeholt haben sie die Vereinigten Staaten aber nicht. Selbst China wird das so bald nicht gelingen.
Dennoch haben viele Amerikaner, vielleicht handelt es sich sogar um die Mehrheit, das beklemmende Gefühl, dass es nicht zum Besten steht mit ihrem Land; dass es den falschen Kurs eingeschlagen hat. Es ist eine bemerkenswerte Entwicklung, dass ein Volk, das quasi genetisch auf Optimismus programmiert ist, mittlerweile zu einem nicht geringen Teil – die weiße untere Mittelschicht etwa – der Zukunft skeptisch bis pessimistisch entgegenblickt. Die Gegenwart erleben viele Bürger also nicht gerade als heiteren Spaziergang in einer Welt dramatischer Veränderungen – wie könnten sie auch nach den vielen Kriegsjahren und den Gewissheiten erschütternden Krisenerfahrungen? Die Wirtschaft ist aus der Rezession herausgetreten, auch dank, dem Umfang nach, starker staatlicher Nachfrageimpulse, die eine Erholung eingeleitet haben. Aber das Wachstum ist mit weniger als zwei Prozent im Jahr 2011 vergleichsweise bescheiden; vor allem ist es nicht groß genug gewesen, um die Lage auf dem Arbeitsmarkt spürbar und nachhaltig zu verbessern: Eine Arbeitslosenquote, die viele Monate lang „stabil“ über acht Prozent lag, ist ernüchternd und eine Steilvorlage für jeden, der die Regierung in Wahlen herausfordern will. Erst im vorletzten Monat vor der Präsidentenwahl und noch rechtzeitig vor ihr, im September, ist die Arbeitslosigkeit mit 7,8 Prozent auf den tiefsten Stand seit vier Jahren gefallen – zur Erleichterung von Präsident Barack Obama. Denn der hatte nach seinem Amtsantritt gesagt, wenn beim nächsten Wahltermin die Arbeitslosigkeit noch so hoch sei wie zu Beginn seiner Amtszeit, dann verdiene er keine Verlängerung um weitere vier Jahre.