loyal-Ausgabe März 2022
Neutral, aber oho
von André Uzulis
Österreich hat sich 1955 zu einer „immerwährenden Neutralität“ verpflichtet. Die ersten Wehrpflichtigen des wiedergegründeten Bundesheeres rückten 1956 in die Kasernen ein. Das Rückgrat der österreichischen Streitkräfte bilden heute die 25.000 Milizsoldaten, eine Reserve mit enger Anbindung an die Truppe. Die Herausforderungen sind groß – nicht alles Notwendige und Wünschenswerte kann finanziert werden, manche Verbände haben Personalprobleme.
Kaum eine Kaserne in Europa ist schöner gelegen als die Maria-Theresien-Kaserne in Wien. Sie schließt von Süden an den Schlosspark Schönbrunn an. Von hier, dem Fasangarten, öffnen sich Sichtachsen in den Schlosspark. Schönbrunn ist das größte Schloss Österreichs und eines der meistbesuchten Kulturdenkmäler des Landes. Im 18. Jahrhundert erging sich Erzherzogin Maria Theresia in dem Schloss und seinem großen Garten. 1967 wurde aus Anlass ihres 250. Geburtstags die benachbarte Kaserne nach ihr benannt. Vorher hieß sie Fasangartenkaserne, kurz „Faskas“ genannt. Die Gebäude waren Ende der 1930er-Jahre von der SS errichtet worden und beherbergten im Zweiten Weltkrieg ein SS-Panzergrenadierregiment und die Kraftfahrttechnische Lehranstalt der Waffen-SS. Ein Außenlager des KZ Mauthausen war hier untergebracht. 1945 zog die britische Besatzungsmacht ein, 1955 übernahm das wiedergegründete Bundesheer die Liegenschaft.
Heute sind auf dem weitläufigen Areal das Heeresnachrichtenamt, ein Militärpolizeikommando und die Garde untergebracht. Wenn Mauern erzählen könnten, dann wüssten diese einiges zu berichten. Zum Beispiel, dass hier 2004 erstmals ein islamischer Gebetsraum in einer Bundesheerkaserne eingerichtet wurde. Oder dass im Herbst 2014 wegen Umbauten im Tiergarten Schönbrunn ein Ausweichquartier für Giraffen geschaffen wurde. Dem Bullen Kimbar und zwei Artgenossen gefiel es in der Kaserne so gut, dass man ihm wegen seines hohen Alters 2017 den Umzug in den erneuerten Tiergarten nicht zumuten wollte; er durfte seinen Lebensabend bei der Armee verbringen.
Die Mauern der Maria-Theresien-Kaserne erzählen aber auch etwas vom Zustand des österreichischen Bundesheeres. Denn die meisten Fassaden sind in die Jahre gekommen und schreien geradezu nach Putz und frischer Farbe. Doch es fehlt an Geld. Immerhin, einige Gebäudeteile sind instandgesetzt, zum Beispiel die nordwestliche Ecke des Exerzierplatzes, wo Oberstleutnant Thomas Güttersberger residiert. Er ist Kommandeur – in Österreich sagt man Kommandant – der Garde, einem ganz besonderen Verband. Die Garde ist eine Mischung aus Ehrenformation und infanteristischer Kampftruppe – und eine klassische Verwendung für Grundwehrdienstleistende, die in der Alpenrepublik Grundwehrdiener genannt werden.
Während sich an der Kasernenmauer ihre erst vor wenigen Wochen eingezogenen Kameraden erstmals voll aufgerödelt und unter den Augen olivgrün-schwarz geschminkt mit vorschriftsmäßigem Rucksack, Patronentaschen am Koppel, Stahlhelm auf dem Kopf und Sturmgewehr um den Hals über die Hindernisbahn quälen, trifft loyal drei Grundwehrdiener im Besprechungsraum von Oberstleutnant Güttersberger. Die jungen Männer haben ihre sechs Monate Grundwehrdienst bald hinter sich und schauen ganz unterschiedlich auf diese prägende Zeit.
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