loyal-Ausgabe November 2022
Geschönte Meldeketten
von Julia Weigelt
Der Personalmangel bedroht die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Der Frauenanteil verharrt seit Jahren auf niedrigem Niveau. Soldaten klagen darüber, dass sie nicht offen mit ihrer jeweiligen Führung sprechen können. Das Konzept der Inneren Führung scheint in der Krise. Eine Spurensuche.
Woran man merken könne, dass Innere Führung in der Bundeswehr nicht ausreichend gelebt wird? Oberleutnant Robert Reinhardt (Name von der Redaktion geändert), zieht die Augenbrauen zusammen, seine Gesichtszüge verhärten sich. „Das können Sie doch schon daran erkennen, dass ich überhaupt mit Ihnen rede.“ Mit einer Journalistin über das reden, was in der Bundeswehr schiefläuft ‒ das geht dem Fallschirmjäger eigentlich gegen den Strich. „Mir wäre es lieber, ich könnte das intern klären. Und eigentlich sollte es mit der Inneren Führung möglich sein, dass konstruktive Kritik gehört, verstanden und ernst genommen wird. Doch das können Sie sich abschminken.“
Reinhardt ist frustriert. Seine Erfahrung ist: Wer nicht zu allem Ja und Amen sagt, bekommt schlechtere Beurteilungen oder bei Versetzungen miese Dienstposten. „Manche denken, Kritik an der Sache ist Kritik an der Person.“ Deswegen würden Meldungen nach oben häufig geschönt. „Wenn die Einsatzbereitschaft abgefragt wird – zum Beispiel der Klarstand bei Fahrzeugen und Gerät oder wie gut Soldaten ausgebildet sind, dann würden rote Ampeln zu gelben, und ein paar Ebenen weiter oben heißt es: alles top, alle einsatzbereit. „Mein Alltag besteht darin, Excel-Tabellen auszufüllen, die keinen interessieren und nichts verändern“, sagt Reinhardt. Der Offizier ist nicht nur frustriert ‒ er ist auch unter Druck. Denn er spürt seine Verantwortung: „Wenn Menschen nicht richtig ausgebildet und mit unzureichendem Material in den Einsatz gehen, dann sterben sie eher. Wie soll ich unter solchen Bedingungen meiner Fürsorgepflicht nachkommen? Ich fühle mich ohnmächtig. Und wenn ich General Mais höre, wenn er sich jetzt beschwert, das Heer stehe blank da, dann fragt man sich als junger Offizier: Mensch, du warst Jahrzehnte Teil des Systems – was hast du denn gemacht, um das zu verhindern?”
Innere Führung sei zu einer Art Religion geworden, über jede Kritik erhaben. Äußere man sie dennoch, laute die Antwort, man habe einfach zu wenig Erfahrung. „Wie alt muss man denn sein, um das Konzept oder dessen Umsetzung kritisieren zu dürfen? Innere Führung muss jeder verstehen, auch junge Mannschafter. Wenn das nicht der Fall ist, dann stimmt an dem System etwas nicht.” Vielleicht ist das System aber gar nicht kaputt, sondern läuft genau so, wie es laufen soll? Wenn „Augen-zu-und-durch“-Soldaten bessere Bewertungen bekommen, stützt sich das System selbst.
Ein weiterer Kritikpunkt von Oberleutnant Reinhardt: Das Prinzip Auftragstaktik laufe nicht rund, also die Idee, dass Vorgesetzte Ziele definieren und die Ausführenden deren Umsetzung weitgehend selbst bestimmen. „Wenn Aufträge nicht klar formuliert sind, dann höre ich immer: Das ist Auftragstaktik, Oberleutnant, figure it out! Wenn aber Aufträge wichtig sind, dann betreiben Vorgesetzte oft Mikromanagement, vor allem im Einsatz. Wenn jedes Detail über Berlin laufen muss, zeigt das, dass denen Vertrauen in uns fehlt und Innere Führung nur eine hohle Phrase ist.“
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