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loyal-Ausgabe November 2024




Putins Gift

Editorial von Chefredakteur André Uzulis

In Russland gibt es nicht mehr viele Menschen, die ihre Meinung frei zu äußern wagen. Eine Ausnahme ist der Soziologe Lew Dmitrijewitsch Gudkow. Der 77-Jährige leitet das Lewada-Zentrum in Moskau, das als letztes demografisches Institut mehr oder weniger unbehelligt Meinungsumfragen durchführen und veröffentlichen darf. Gudkow ist so etwas wie Putins Hofnarr, dem die Wahrheit auszusprechen erlaubt ist. Kürzlich trat Gudkow in Berlin vor der Deutschen Sacharow-Gesellschaft auf.

Er stellte dort Umfragen seines Instituts vor, nach denen die russische Gesellschaft mit überwältigender Mehrheit Putin unterstützt. Die Russen stehen hinter der Staatsmacht, die das Land brutal gegen den „kollektiven Westen“ positioniert. Drei Viertel der Bevölkerung befürwortet die russische Großinvasion in der Ukraine. Die Russen, so Gudkow, hätten weder Mitleid mit den Ukrainern noch irgendwelche Gefühle von Schuld oder moralischer Verantwortung. Im Gegenteil: Nach der jüngsten Umfrage unterstützten 83 Prozent der Russen Putin und seinen Kurs der Vernichtung der Ukraine.

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Gudkows Befund zeigt, welche Wirkung Putins Gift in der russischen Gesellschaft inzwischen entfaltet. Putins Propaganda wirkt, sie hat den Russen den Verstand vernebelt. Unter staatlicher Propaganda litten die Russen schon zu Sowjetzeiten, doch das Sowjetregime unterschied sich deutlich vom heutigen Russland. Die Sowjetunion war geopolitisch auf den Erhalt des Status quo im Kalten Krieg bedacht. Das heutige Russland ist hingegen offen aggressiv-imperialistisch. Während der Sowjetstaat seinen Bürgern einen bescheidenen Wohlstand und verlässliche Regeln bot, ergeht sich das Russland von heute in mythischen Bildern einer vergangenen zaristischen Größe. Korruption, mafiöse Strukturen, eine moralisch verkommene politische Elite und eine kleine Schicht von Superreichen haben das Land in Besitz genommen.

Putins Gift wirkt aber auch weit über Russland hinaus, wie Ende Oktober der massenhafte, von Moskau gesteuerte Wahlbetrug in der Republik Moldau gezeigt hat. Dort ist das Referendum zum EU-Beitritt hauchdünn durchgekommen – aber das ist nur den Auslands-Moldauern zu verdanken, deren Stimmen Putin nicht kaufen konnte. Und in Deutschland verspritzt vor allem die Kommunistin und Talkshow-Kommandantessa Sahra Wagenknecht Putins Gift. Ihr Mann Oskar Lafontaine hat seinerzeit die SPD schwer beschädigt; sie selbst hat die Linken pulverisiert – und nun macht sie sich an die Zerstörung der CDU. Sie versucht im Zusammenhang mit der Regierungsbildung in Thüringen und Sachsen die CDU mit friedenspolitischen Forderungen im Sinne Putins zu erpressen, deren Annahme die CDU ihre transatlantische Seele kosten würde. Lässt die CDU das mit sich machen, wäre es wohl das Ende dieser letzten Volkspartei der Mitte in ihrer bisherigen Form. Und Putin würde feiern.

Wie hat es die diesjährige Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, die Osteuropa-Historikerin und Putin-Kennerin Anne Applebaum sinngemäß gesagt: Demokratien sterben nicht durch Kriege oder Revolutionen, sondern durch innere Zersetzung. Putins Gift hat die Blutbahnen der deutschen Demokratie längst erreicht. Bleibt zu hoffen, dass die Gegenmittel ausreichen: Zusammenstehen mit unseren Partnern in der NATO, Freundschaft mit den USA, Wehrhaftigkeit, Kriegstüchtigkeit, gesellschaftliche Resilienz. Kurz: Rückbesinnung auf das, was seit mehr als 70 Jahren unsere Freiheit garantiert hat – die Westbindung der Bundesrepublik.


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