100 Jahre nach der europäischen Urkatastrophe: Gesten des Friedens
100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, kurz vor der 75. Jährung des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges, sind die Nachkommen ehemaliger Kriegsgegner in Köln vereint. Sie stehen friedlich zusammen und mahnen. Die Redner sind sich einig, dass es sich beim Ersten Weltkrieg um eine Urkatastrophe für Europa handelte. Der Zweite Weltkrieg brachte noch mehr Leid über die Menschen. Der Ort des Gedächtnisses – die Kirche Alt St. Alban – ist seither eine Ruine als Mahnung. In den Gebeten wird dazu aufgerufen, dass es Frieden werden möge in der Ukraine, dem aktuellen Schauplatz von Gewalt in Europa – quasi direkt vor unserer Haustür.
Trauerndes Elternpaar mahnt zum Frieden
Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters sagte: "Kaum ein Ort in Köln ist als Gedenkstätte gegen Krieg und Gewalt besser geeignet, als diese Kirchenruine." Hinter ihm die "Trauernden Eltern" der Künstlerin Käthe Kollwitz. Ein Selbstbildnis der berühmten deutschen Bildhauerin, eine Kopie des Originals vom Soldatenfriedhof in Vladslo. Dort liegt ihr Sohn Peter, der zu Beginn des Ersten Weltkriegs fiel.
Freundschaftliche Gesten
Später im Rathaus kommt die Jugend zu Wort. Dominic Baker, ein Schüler von der Gammar School im englischen Portsmouth, spricht über das heutige Europa, in dem die meisten Menschen in Frieden leben können. Als er sich wieder auf seinen Platz setzt, klatscht ihm der deutsche Schüler Deniz Anwar Haghighi (17) anerkennend mit der Hand ab – ein freundschaftlicher Blick, ein gegenseitiges Lächeln. Applaus vom Publikum. Rund 300 Menschen sind gekommen. Der Festsaal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Unter den Gästen ist Sascha Rahn. Der Korvettenkapitän der Reserve ist an dem Abend höchster Repräsentant des Reservistenverbandes. Sein Fazit: "Das ist eine würdige Veranstaltung. Der Bezug der Stadt Köln mit ihrem gleichnamigen Schiff der kaiserlichen Marine bringt Betroffenheit und Verbundenheit. Besonders gut war, dass Marineverbände, Vertreter der damaligen Kriegsgegner und die Jugend zu Wort kamen. Das ist die Wahrnehmung unserer Mittlerrolle für den Frieden."
Sieg der Propaganda über die Vernunft
Die Kölner Schüler Louise Mayer, Mette Zimmat und Deniz Anwar Haghighi treten gemeinsam ans Mikrofon. Sie lesen aus Aufsätzen und geben einen Rückblick auf die Entwicklungen des Jahres 1914. Sie beschäftigen sich mit dem Irrsinn, der Propaganda der damaligen Zeit mit dem unverrückbaren Freund- und Feindschema. Louise Mayer, 17 Jahre, sagt: "Ich kann nicht verstehen, wieso Wissenschaftler einen solchen Krieg unterstützt haben. Ohne sie wäre es vielleicht nicht zu einer solchen Kriegsbegeisterung gekommen."
Brüderlich
Zum Abschluss eine bewegende Geste der britischen und deutschen Marine. Ein deutscher Soldat steht an einer Trommel, Pipe Major David E. Moir der Royal Navy kommt mit einem Dudelsack auf ihn zu. Sie spielen "Nehmt Abschied Brüder". Sie blicken sich an, voller Respekt – Auge in Auge. Dann gehen sie friedlich auseinander. Das Lied verstummt. Pause. Langanhaltender Applaus.
Mit 20 Leuten gerechnet
Louise und Mette haben sich für diesen Abend in der Schule ausführlich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt. Mette ist 18, sie will nach dem Abitur im kommenden Jahr "etwas in Richtung Wirtschaft machen". Louise denkt an ein Medizinstudium. Die beiden können nicht verstehen, wie schnell sich Menschen von Medien und Politik manipulieren lassen, um gar in einen mörderischen Krieg zu ziehen. Beide hatten zuvor auch nicht gedacht, wie viele Menschen sich für ein Ereignis interessieren, das 100 Jahre zurückliegt. Louise: "Wir hatten mit vielleicht 20 Leuten gerechnet. Jetzt haben wir vor über 300 Menschen gesprochen. Das war schon bewegend."
Signal für dauerhafte Versöhnung
Organisator des Tages mit insgesamt vier Gedenkveranstaltungen war H.-Peter Hemmersbach vom "Freundeskreis Marineschiffe Köln". Er sagt: "Besonders glücklich bin ich darüber, dass wir die Jugend in das Gedenken an die Tragödie von damals einbinden konnten. So haben in diesem Jahr Jugendliche aus neun Nationen 14 Tage lang die Gräber auf einem Soldatenfriedhof gereinigt und es wird einen Schüleraustausch zwischen dem Apostelgymnasium der Stadt Köln und der Portsmouth Grammer School geben. Das trägt zur dauerhaften Versöhnung der Völker bei."
Detlef Struckhof
Bild oben: Links: das "Trauernde Ehepaar" von Käthe Kollwitz
in der Kölner Kirchenruine Alt St. Alban. Eine Kopie von 1954.
Das Original befindet sich auf dem deutschen Soldatenfriedhof
in Vladslo. Es handelt sich um ein Selbstporträt der Künstlerin.
Damit trauerte Kollwitz um ihren Sohn Peter, der 1914 im
Ersten Weltkrieg fiel. Rechts: Kränze anlässlich der Gedenkstunde
um die Opfer des leichten Kreuzers SMS Cöln
(Foto: Detlef Struckhof).
2. Bild: Auch viele Jugendliche waren bei der Gedenkfeier in der
Kölner Kirchenruine Alt St. Alban anwesend.
Sie wurden vom Jugendoffizier der Bundeswehr aus Köln
(2. Reihe in Marineuniform), Kapitänleutnant Moritz Brake,
betreut. Die Jugendlichen (vorne) stammen aus Portsmouth
und Köln, 2. von links: Kölns Oberbürgermeister
Jürgen Roters (Foto: Detlef Struckhof).
3. Bild: Höchster Repräsentant des Reservistenverbandes:
Vizepräsident Sascha Rahn (vorne links) unter den
Zuhörern im Alten Kölner Rathaus (Foto: Detlef Struckhof).
4. Bild: Besondere Ehre für zwei Kölner Schülerinnen.
Mette Zimmat (links) und Louise Mayer (Mitte) durften sich
ins Goldene Buch der Stadt Köln eintragen.
Oberbürgermeister Jürgen Roters schaute ihnen
dabei über die Schulter (Foto: Detlef Struckhof).
5. Bild: Hauptorganisator der Veranstaltung:
H.-Peter Hemmersbach (Mitte) während der Gedenkveranstaltung
im Alten Kölner Rathaus (Foto: Detlef Struckhof).