Rund um den Jahreswechsel hat die Diskussion um einen verpflichtenden Dienst an der Gesellschaft erneut Fahrt aufgenommen. Ein Aspekt dabei ist der Dienst in der Bundeswehr, also die Wehrpflicht. Konkret sprach Verteidigungsminister Boris Pistorius für ein Modell wie in Schweden aus. Das skandinavische war 2018 zur Wehrpflicht zurückgekehrt. „Dort werden alle jungen Frauen und Männer gemustert, und nur ein ausgewählter Teil von ihnen leistet am Ende den Grundwehrdienst. Ob so etwas auch bei uns denkbar wäre, ist Teil dieser Überlegungen“, sagte Pistorius der WELT am Sonntag. „Aber jedes Modell, egal welches, braucht auch politische Mehrheiten“, sagte er. Unterstützung kam jüngst von der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Eva Högl. Sie sprach sich gegen die „alte Wehrpflicht“ aus, wie sie bis 2011 umgesetzt wurde, zeigte sich aber offen für alternative Modelle und Ideen.
„Ohne Wehrpflicht nicht verteidigungsfähig“
„Wir sind ohne Wehrpflicht nicht verteidigungsfähig“, sagte Patrick Sensburg in der Radio-Sendung Deutschlandfunk-Agenda am 13. Dezember. Die Frage nach der Wehrpflicht beinhalte viele weitergehende Aspekte. Wie müssen wir uns verteidigen? Welchen Anteil an der Landes- und Bündnisverteidigung muss die Bundeswehr im Bündnis leisten? Welches Verteidigungs- und Sicherheitsmodell hat Deutschland? Vor der Wiedervereinigung habe die Bundesrepublik eine aktive Stärke von mehr als 500.000 Soldaten und 1,5 Millionen Reservisten gehabt. „Reicht es ohne Wehrpflicht? Ich glaube nicht“, sagte Oberst d.R. Sensburg.
Er argumentierte, dass das Ziel von einer Sollstärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten bei einem Land mit der Größe der Bundesrepublik zur Verteidigung nicht ausreiche. „Es wird nicht reichen, wenn ich 33.000 Reservisten ständig in Übung habe und aber eigentlich hier eine Zahl von 100.000 anpeile. Wir sind so auf die Dauer nicht durchhaltefähig, wenn es um Verteidigung geht. Wir müssen auch an die so genannte zweite und dritte Welle denken. Wenn wir jetzige Szenarien nehmen, wird ein Großteil der Aktiven an der NATO-Ostflanke stehen. Wer sichert den rückwärtigen Raum? Wer macht Verwundetentransport, Logistik und wie lange kann man vorne kämpfen, ohne abgelöst werden zu können? Früher war es fast verboten, in diesen Kategorien zu denken“, sagte der Präsident des Reservistenverbandes.
Mehr Offenheit
Ebenfalls in der Sendung: Professor Dr. Carlo Masala. Er stimmte zu, dass die Bundeswehr ein Personalproblem habe. „Wir müssen eine Debatte über die Wehrpflicht führen, weil wir die Sollstärke an Männern und Frauen nicht erreichen“, sagte Masala. Die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht sei eine von vielen Option, wenn es um die Frage gehe, wie man mehr junge Männer und Frauen begeistern kann, ihren Dienst in der Bundeswehr leisten. Die Situation sei extrem herausfordernd, beschrieb Masala die Personallage der Bundeswehr. Zumal die Bundeswehr in Zeiten des Fachkräftemangels mit der Wirtschaft um die besten Köpfe in Konkurrenz stehe. Er plädierte dafür, das Dienen attraktiver zu machen. Die Bundeswehr müsse mehr auf die Menschen zugehen.
Dem pflichtete der Bundestagsabgeordnete Robin Wagener bei. „Wir brauchen mehr Offenheit“, meinte der Politiker. Er schlug vor, alle jungen Menschen einmal anzuschreiben und sie auf die Möglichkeiten, die es bei der Bundeswehr oder im Bereich der Freiwilligendienste gibt, aufmerksam zu machen. Er hielt es für sinnvoll, dass sich die Menschen so mit den ethischen Fragen über Frieden und Verteidigung wieder auseinandersetzen. „Ich glaube, es ist so, dass wir nicht verstanden haben, warum wir wehrhaft sein müssen. Das Bewusstsein fehlt noch“, sagte Wagener. Die Debatte müsse gesamtgesellschaftlich geführt werden, wie man wieder wehrhafter werden kann. Er sprach sich dennoch gegen die Wiedereinführung einer Wehrpflicht aus, weil sie das Personalproblem der Bundeswehr nicht löse. Dies sei komplexer, sagte Wagener.
Bewusstsein schaffen
Professor Dr. Carlo Masala: „Wenn jeder einzelne nicht das Bewusstsein hat, dass diese Gesellschaft es wert ist, vor den Bedrohungen von außen und von innen verteidigt zu werden, wird alles andere Makulatur sein. Wir müssen viel stärker in den Dialog mit den Menschen treten und ein Bewusstsein dafür schaffen, wo die Probleme sind und sagen, was jeder Einzelne tun kann, um zusammen mit staatlichen Strukturen daran zu arbeiten.“
Wir sollten in der Debatte auch das Gute herauszustellen, schloss Patrick Sensburg. „Sich dafür einzusetzen, dass wir Wohlstand bewahren, dass wir Freiheit bewahren und die Freiheit auch weiter genießen können. Das sollten wir auch betonen, dass es das eben Wert ist, das zu verteidigen.“
Lesetipp
„Wenn ich als Außensteher einen Rat an die Bundeswehr geben darf: stellt fest welche Probleme eine Reaktivierung lösen soll“, schrieb jüngst Kapitän zur See Jonas Hård af Segerstad, Verteidigungsattaché der schwedischen Botschaft in Berlin, in einem Gastbeitrag auf augengeradeaus.net. Er war mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Schweden als Referatsleiter im Verteidigungsministerium mit der Thematik befasst und erläutert in dem Beitrag, was dieses schwedische Modell ist, wofür es gedacht ist – und wofür nicht.