Afghanistan steht vor Quantensprung
Möglicherweise ahnten die Sowjets damals schon, was nun Gewissheit ist. Das Land ist reich, sehr reich. Der Weltmarktpreis der Rohstoffe wird auf derzeit rund 825 Milliarden Euro geschätzt. Die Bevölkerung ahnte bisher nicht, was unter der Erde ihres zentralasiatischen Landes an Schätzen liegt – und das über Jahrhunderte hinweg. Die vermutlich 32 Millionen Einwohner – genaue Zahlen kennt niemand – lebten in ihrer eigenen Welt, scheinbar für ewig im Altertum versunken. Eine Industrialisierung fand nicht statt. Jeder Agressor von Außen wurde erfolgreich bekämpft und hinausgeworfen. Das war gut für die Freiheit der einzelnen Stämme, jedoch ging so auch die technische Entwicklung an den Afghanen vorbei. Die Masse der Asiaten am Hindukuschgebirge ist bettelarm. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen wird auf etwa 350 US-Dollar geschätzt. Dabei gehört die Masse des Besitzes wenigen Clanführern. Die meisten Familien müssen hungern und im Winter frieren.
Hinzu kommen Kriege, die das Land – doppelt so groß wie Deutschland – immer wieder in Schutt und Asche legten. Engländer und Sowjets führten blutige Feldzüge gegen die tapferen Krieger auf ihren Eseln und Pferden. Nach der grausamen Herrschaft der Taliban versuchen nun die Nato-Truppen das in sich zerstrittene Land zu befrieden. Auch Deutschland beteiligt sich seit Dezember 2001 an dem Kampf gegen den Terrorismus (OEF: Operation Enduring Freedom) und an den Isaf-Schutztruppen (International Security Assistance Force) mit zusammen 4.490 Männern und Frauen, darunter zurzeit 312 Reservisten.
Nun bieten die ungeahnten Ressourcen dem Land neue Chancen. Doch die gesamte Zukunft wird davon abhängen, wie es sich über die Verteilung des unerwarteten Reichtums einigt. Die Vorkommen sollen sich über das ganze Land verteilen – also auch im Süden und Osten an der Grenze zu Pakistan, den Hochburgen der Taliban. Es könnte also zu einer Ausweitung der Kämpfe kommen. Landbesitz kann künftig unermesslichen Reichtum bedeuten.
Deshalb muss sich der Westen neu ausrichten. Er hat einen Trumpf in Händen: Die Bergbautechnik. Ohne sie werden die Afghanen nicht in der Lage sein, die Schätze zu heben. Hier kann besonders Deutschland punkten. Dank Jahrzehnte langer eigener Förderung verfügen wir Deutschen über ein Know How, das seinesgleichen sucht. Darum ist das Engagement am Hindukusch nicht mehr nur eine Frage der Sicherheitspolitik sondern auch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Wer hätte dies vor Jahresfrist vermutet? Niemand.
Der Einsatz der Bundeswehr muss nun neu diskutiert werden – gesellschaftspolitisch aber unter Berücksichtigung aller wirtschaftlichen Interessen und vor allem der neuen sicherheitspolitischen Lage mit Blick auf eventuell anstehende Verteilungskämpfe um die Rohstoffe. Unsere Soldaten stehen da möglicherweise bald zwischen den Fronten.
Wer Afghanistan voranbringen will, muss es aufbauen helfen. Das war immer das Ansinnen der deutschen Politik. Doch jetzt geht es nicht mehr um Brunnenbau. Es geht darum, die Afghanen zu befähigen, in eigener Regie und zu eigenem Nutzen die Ressourcen ihres Landes auf den Weltmarkt zu bringen. Und so wird dann auch den ideologischen Gegnern des deutschen Engagements am Hindukusch für immer das Argument genommen, "es gehe doch nur um wirtschaftliche Interessen des Westens". Darauf müssen die deutschen Politiker nun ihr Augenmerk legen und zügig hinarbeiten.
Der Autor ist verantwortlicher
Online-Redakteur des Reservistenverbandes
Bild oben: Der Gegensatz von Moderne und
Altertum könnte sich bald auflösen.
Eine Bundeswehrpatrouille im Norden Afghanistans
(Foto: René Marco Frank, Bundeswehr)
Bild unten: Das wunderschöne Land Afghanistan
birgt unter der Erde einen riesigen Schatz
(Foto: Dr. Schlüsche,
Sanitätsdienst der Bundeswehr)