Afghanistan/Pakistan – Tom Koenigs: „Bündnistreue, mehr zivil, weniger Militär“
Wenn man rechtzeitig eine umfassende Entwicklungspolitik ansetze, wären teure Militäreinsätze nicht immer notwendig – diese Bilanz zog der erfahrene Grünen-Politiker Tom Koenigs, Vorsitzender des Ausschusses Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestages, aus dem deutschen sicherheitspolitischen Engagement der letzten Jahre.
Im Rahmen einer Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft Hessen-Süd analysierte Koenigs, der als UN-Sondergesandter bereits im Kosovo, in Guatemala und von 2006 bis 2007 auch in Afghanistan diente, das derzeitige Ringen der internationalen Staatengemeinschaft um Stabilität für Afghanistan und Pakistan.
Drei Motive nannte er dabei für die deutsche Politik, sich weiter am Hindukusch zu engagieren: Afghanistan dürfe nicht erneut zum Hort des islamistischen Terrors werden, Deutschland müsse seiner Bündnistreue gerecht werden und zu seinen Verbündeten stehen und schließlich stehe die westliche Staatengemeinschaft bei der jungen afghanischen Demokratie im Wort, sie nicht allein zu lassen.
Ähnlich wie die Regierung der großen Koalition warnte Koenigs davor, den "bewaffneten Konflikt" in Afghanistan als "Krieg" zu bezeichnen. Eine "Kriegslogik" helfe nicht weiter. Als wesentliche Fehlentwicklungen des internationalen Afghanistan-Engagements bisher nannte er zunächst das Scheitern des militärischen Konzeptes des "Siegfriedens", das einen Staatsaufbau Afghanistans zunächst nicht vorsah. Die goldene Stunde in den Jahren 2001 bis 2003 verstrich hierfür ungenutzt. Kollateralschäden bei militärischen Einsätzen taten ein übriges, um die Stimmung der Bevölkerung zuungunsten der "International Stabilization Force" ISAF zu wandeln. Kollateral-Schäden ließen sich zwar aller Voraussicht nach
auch in Zukunft nicht vermeiden, aber sie müssten schneller und besser aufgearbeitet und die Betroffenen schnell entschädigt werden.
Große Hoffnungen setzte Koenigs in den US-Strategiewechsel unter der neuen Obama-Administration, der eine enorme Kraftanstrengung bedeute. So würden nicht nur neue Truppen nach Afghanistan entsandt, sondern auch das zivile Engagement deutlich ausgeweitet werden.
Koenigs führte weiterhin aus, dass die Besonderheit der Region mit ihren zahlreichen Verflechtungen und Abhängigkeiten zunächst unterschätzt worden sei. Neben Indien und Pakistan müssten auch Iran und die nördlichen Nachbarstaaten China und Russland in das Bemühen um Stabilität in Afghanistan einbezogen werden. Bemerkenswerterweise funktionierte die Kooperation von insgesamt 23 Akteuren mit durchaus heterogenen Interessen im internationalen "Joint Coordination and Monitoring Board" besser, als viele gedacht hätten.
Mit Blick auf die Zukunft riet Koenigs zu einer Aufbaustrategie, die die regionalen Anrainer – vor allem Indien, Pakistan und Iran – mit einbeziehe. Deutschland und auch die EU müssten sich stärker engagieren und unter Führung der USA entschlossen für Afghanistan handeln. Der zivilen Hilfe müsse noch mehr Bedeutung zufallen. Die Bundesrepublik könne beispielsweise eine gemeinsame Militärpolizeitruppe schaffen, die den Aufbau der afghanischen Polizeikräfte weiter voranbringen und auch für ähnliche Einsätze in anderen Regionen zukünftig bereitstehen könne. Vor allem der Aufbau von Schulen und Universitäten sei angesichts des afghanischen "Bildungshungers" vielversprechend. Schließlich müssten
unter gewissen Voraussetzungen auch Verhandlungen mit den – im übrigen sehr heterogenen – Taliban geführt werden.
Mit Blick auf die deutsche Politik bedauerte Koenigs auf Regierungsseite eine Schwächung der Multilateralität und mit Blick auf die Opposition das Fehlen großer "Transatlantiker". Insgesamt sei die deutsche Sicherheitspolitik darüber hinaus noch zu militärzentriert, ein vorausschauender, entwicklungsorientierter Ansatz sei vielversprechender. (ww)