„Alle gesetzgebende Gewalt ruht im Kongress der USA“
Um die zukünftige Ausrichtung der Vereinigten Staaten und um das transatlantische Verhältnis ging es bei der letzten Veranstaltung der Reservistenarbeitsgemeinschaft (RAG) Brüssel im alten Jahr. Als Gast in der Videokonferenz konnte der Vorsitzende Michael Gahler MdEP Ben Hodges begrüßen, ehemaliger Kommandierender General der US Army Europe in Wiesbaden. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass die Lage in Washington so eskalieren könnte wie in der vergangenen Nacht.
Am Anfang ist Ben Hodges nur eine Kachel. Wie das so ist mit den Online-Konferenzen in Pandemiezeiten. Ein paar Kacheln daneben wird der frühere US-Drei-Sterne-General von Michael Gahler, dem Chef der RAG Brüssel, begrüßt. Der Europaabgeordnete ist im Hauptberuf Außen- und Sicherheitspolitiker. Diesen beiden und weiteren Teilnehmenden ist gleich zu Anfang der Diskussion anzumerken, dass sie die Zeit nach dem Regierungswechsel in den USA als Chance und Wende begreifen, nicht als Problem. Wie soll es auch anders gehen nach Trump?
Frederick Benjamin „Ben“ Hodges, so sein kompletter Name, ist nicht irgendein pensionierter General. Er ist vor allem ein treuer und verlässlicher Freund Deutschlands. Das hat auch mit seiner Biografie zu tun, die viele Jahre Dienst in Deutschland bedeuteten, zuletzt als Kommandierender General der US Army Europe in Wiesbaden. Während viele US-Soldaten in den südlichen Standorten Schweinshaxe, Spießbraten oder Saumagen erleben durfte, musste der junge Hodges 1981 nach Garlstedt bei Bremen. Und dazu gehörten, wie Hodges schmunzelnd berichtet, Haake-Beck-Bier und Werder Bremen – „mit Rudi Völler“. „Wie bei mir“, ruft einer der Brüsseler Reservisten dazwischen. So klein ist die Welt…
„Biden führt USA auf internationale Bühne zurück“
Nachdem Hodges, derzeit „Pershing Chair in Strategic Studies“ am Center for European Policy Analysis um Verständnis für seinen Dialekt aus dem Norden Floridas gebeten hat („Bitte kalibrieren Sie mein Englisch!“) wendet er sich den USA unter Joe Biden zu. Er glaube, dass die USA unter in ihrem neuen Präsidenten auf die internationale Bühne zurückkehrten. Die vielfältigen Probleme – einschließlich des Klimawandels – ließen eine andere Ausrichtung nicht zu. „In strategischer Hinsicht ist Deutschland unser wichtigster Partner“, sagt Hodges. Dies habe mit der geografischen Lage, der wirtschaftlichen Stärke und der moralischen Autorität unseres Landes zu tun. Er, der nach eigenen Angaben immer die Republikaner gewählt hatte – bis zum Bruch mit Trump im letzten Sommer – weist aber auch auf die 75 Millionen US-Amerikaner hin, die den bisherigen Präsidenten gewählt hätten. „Joe Biden wird sie und ihre Anliegen in den Blick nehmen.“
Rückkehr zu traditioneller US-Diplomatie, Zusammenarbeit mit Alliierten, Wiedereinstieg beim Pariser Abkommen und dem Nuklearvertrag mit Iran, Aufhebung des Truppenrückzugs aus Deutschland, Sicherung der Ost-Flanke der Nato – diese Vorschau klingt vernünftig und beruhigend. Doch Ben Hodges macht dann sehr undiplomatisch klar, wie er die neue US-Administration einschätzt: „Europa muss einen viel größeren Teil der Verantwortung schultern.“ Joe Biden werde nicht weniger streng sein in seinen Erwartungen an Deutschland. Er hoffe auf eine breite, öffentliche Debatte über die Führungsrolle unseres Landes. Nötig sei ein größerer Druck auf Russland.
Vieles in der Bundeswehr „nicht einfach zu verstehen“
Der Ex-General wird zum Zustand der Bundeswehr gefragt, will aber nicht direkt darauf eingehen. Er werde sich etwa nicht zur Drohnen-Diskussion in Berlin äußern. Vieles aber sei nicht einfach zu verstehen, lässt Hodges dann doch durchblicken. Es werde viele Jahre dauern, bis sich die Kultur („mind set“) im Hinblick auf moderne, durchhaltefähige Streitkräfte wieder geändert habe. Und verweist auf jene Zeit in Garlstedt, wo er mit seinen Kameraden noch freitags nachmittags an Panzern herum schraubte, damit sie wieder einsatzfähig waren. Er sei aber überzeugt, dass militärische Führer wie Generalleutnant Kai Rohrschneider und Generalleutnant Markus Laubenthal in der Lage seien, das Blatt zu wenden. Im Übrigen habe die Bundeswehr in ihren Einsätzen immer alle Anforderungen erfüllt.
Viel Zeit bleibt nicht für den vorweihnachtlichen Austausch in Pandemiezeiten. Es geht noch um die Ostflanke der Nato. Hodges: „Deutschland ist der logistische Knotenpunkt und sollte hier die Führung übernehmen, der ‚enabler‘ (Möglichmacher) sein.“. Dann die viel zu große Zahl unterschiedlicher Waffensysteme des Bündnisses. „Wenn man einen Krieg plant, sollte man nicht nur auf die Systeme des Feindes schauen, sondern besonders auf die Logistik-Kette dahinter.“ Zur Rolle der Reservisten sagte Hodges: „Wir Amerikaner sind stolz auf unsere Reservisten, sie sind unabdingbar.“
„Der Präsident kommt danach“
Nochmal die USA: Ben Hodges tritt Befürchtungen entgegen, in seiner Heimat könne ein gewählter Präsident die Demokratie aussetzen. Er kramt unter seinem Schreibtisch seine Tasche hervor und nimmt eine abgegriffene Version der US-Verfassung zur Hand: „Die habe ich immer bei mir.“ Der erste Artikel lautet: „Alle in dieser Verfassung verliehene gesetzgebende Gewalt ruht im Kongress der Vereinigten Staaten, der aus einem Senat und einem Repräsentantenhaus besteht.“ Der Präsident kommt danach. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand ahnen, wie sich die Ereignisse in der Nacht vom 6. auf den 7. Januar (MEZ) überschlagen würden – Liveblog zur Lage in Washington.
Michael Gahler dankt dem General und verspricht ihm, noch eine kleine Überraschung vorbeizubringen. Nicht etwa nach Florida. Ben Hodges bemüht sein Deutsch: Im Frankfurter Westend sei sein „zweiter Wohnsitz“, sagt er schmunzelnd. Der Europaabgeordnete Gahler wohnt um die Ecke. Eine kurze, kontaktlose Begegnung sollte möglich sein – auch im Lockdown.