DAS MAGAZIN

Monatlich informieren wir unsere Mitglieder mit der loyal über sicherheitspolitische Themen. Ab sofort können Mitglieder auch im Bereich Magazin die darin aufgeführten Artikel lesen!

Mehr dazu
DER VERBAND

Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (VdRBw) hat mehr als 115.000 Mitglieder. Wir vertreten die Reservisten in allen militärischen Angelegenheiten.

Mehr dazu
MITGLIEDSCHAFT

Werden Sie Teil einer starken Gemeinschaft

Mehr dazu

Verband

Am Ziel, aber noch nicht ganz angekommen




Kollege Abdul Samim an seinem Arbeitsplatz, auf dem Tisch der Reibert, an der Wand ein Bild, das ihn im Einsatz als Sprachmittler zeigt.

Foto: Sören Peters

Es gibt Deutsche, die heißen Michael und sind in München geboren, sie heißen Peter und sind in Berlin geboren. Oder sie heißen Abdul und sind in Kunduz geboren. Wie unser Kollege Abdul A. Samim. Er war seit 2008 bis 2014 für die Bundeswehr als Sprachmittler in Afghanistan im Einsatz. Beim Reservistenverband unterstützt er seit inzwischen mehr als zwei Jahren das Sachgebiet Militärische Ausbildung als Bürosachbearbeiter. Und ist seit vergangenem Herbst nun auch deutscher Staatsbürger.

Nun könnte man meinen, Abdul wäre „angekommen“, er könnte einen Haken an seine Vorgeschichte machen und mit seiner Familie in ein neues Leben starten. Doch ganz so einfach ist das nicht. Klar, er hat einen sicheren Job, eine Frau und drei Kinder. Sie wachsen hier auf, besuchen in Köln das Gymnasium, bzw. die Grundschule und den Kindergarten. Die kleinen alltäglichen Kämpfe – die nach 2000 geborene Generation würde von „struggles“ sprechen – gehen weiter. Aber mal von Anfang an.

Im Jahr 2008 war Abdul 18 Jahre alt. Nach seinem Schulabschluss bewarb er sich beim Provincional Reconstruction Team (PRT) Kunduz als Sprachmittler für Englisch, Persisch und Paschtu. Seit fünf Jahren war die Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt vor Ort, im Oktober 2003 hatten die deutschen Soldaten das Regionalkommando Nord von den US-Amerikanern übernommen. Seine Cousine war bereits als Schneiderin im Feldlager beschäftigt. Nach der Sicherheitsüberprüfung durch den MAD wurde Abdul zum 1. August 2008 eingestellt und war als Sprachmittler in verschiedenen Teams tätig, unter anderem begleitete er die Feldjäger und die Quick Reaction Force, später einen Kompaniechef des Ausbildungs- und Schutzbataillons.

Der Tag, der alles veränderte

Im Gespräch mit der Redaktion spricht Abdul wiederholt über „Unfälle“. Er sieht die Fragezeichen über unseren Köpfen. „Ja, IEDs halt“, erläutert er schulterzuckend, als hätte jemand mit dem Dingo einen Laternenpfahl angedötscht. Ein Erlebnis, das sich in seine Erinnerung eingebrannt hat, ereignete sich am 25. Mai 2011. „Wir waren im Polizei-Hauptquartier in Char Darah“, erzählt der 33-Jährige. „Der S2 [Anm.d.Red.: Militärisches Nachrichtenwesen] wollte einen Übersetzer dabeihaben.“ Ebenfalls mit dabei: Hauptman Markus Matthes von der Division Schnelle Kräfte in Stadtallendorf. „Die Region gehörte zu den gefährlichsten in Nordafghanistan. Als wir dann weiterfuhren, stiegen wir in einen ‚Fuchs‘ statt in einen ‚Dingo‘ ein. Wir hatten beide kein gutes Gefühl.“

Das letzte, an das er sich erinnern kann, ist der laute Knall der Sprengfalle und das Loch im Boden des Fahrzeugs. Hauptmann Markus Matthes verlor bei dem Anschlag sein Leben, Abdul wachte im Krankenhaus in Masar-e-Sharif wieder auf. Zwei Wochen lang wurde er zusammengeflickt, leidete an Posttraumatischen Belastungsstörungen und kämpfte sich nach und nach wieder ins Leben zurück. Vor allem das linke Ohr machte ihm Probleme. Nach der Therapie fuhr er nicht mehr raus. Er bekam eine Tätigkeit an der Wache übertragen, nebenbei begann er einen Bachelor-Studiengang in Wirtschaft.

Als die Deutschen im Oktober 2013 aus Kunduz abzogen und das Lager an die afghanische Armee und Polizei übergaben, verlor Abdul seinen Job. Drei Monate lang war er arbeitslos, hielt währenddessen aber den Kontakt zur Bundeswehr. Tut sich vielleicht in Masar-e-Sharif eine Chance auf? Oder klappt es vielleicht sogar mit der Ausreise nach Deutschland? Anfang 2014 schließlich kam der erlösende Anruf aus dem Camp Marmal: Abdul würde die Chance bekommen, im Rahmen eines Hilfsprogramms für afghanische Ortskräfte nach Deutschland zu reisen.

Ausreise nach Deutschland

„Das dauerte erstmal ein bisschen, bis ich alle Unterlagen zusammen hatte für das Visum. Wir waren gerade in Kabul, um alles zu organisieren“, erinnert sich Abdul. „Plötzlich kam der Anruf aus der deutschen Botschaft und dann ging alles ganz schnell.“ Naja, ganz so schnell dann auch wieder nicht. Als Abdul, seine Frau und die älteste Tochter im Februar 2014 am Flughafen Köln-Bonn landeten, bekamen sie erstmal eine Lektion in rheinischer Gemütlichkeit. „Kaum in Köln gelandet, schon ist Karneval“, schmunzelt er.

Knapp zwei Stunden und ein paar Anrufe später wurden die Samims schließlich abgeholt. Abdul hatte Verwandte in Köln, bei denen konnten sie erstmal unterkommen. „Das war recht beengt“, erinnert er sich. Nach vier Wochen wurden sie dann erst in einer Unterkunft in Godorf im Süden der Stadt einquartiert, zumindest für die nächsten fünf Monate, ehe es in eine eigene kleine Wohnung in Köln-Weiden ging.

In Köln das Studium abgeschlossen

Die Zeit nutzte Abdul, um Deutsch zu lernen. Das Patenschaftsprogramm der Bundeswehr half ihm, sich in der neuen Heimat zu orientieren. „Ich wollte erstmal mein Studium abschließen.“ Mit Hilfe der Cologne Business School und des Rotary Club bekam er ein Stipendium und machte seinen Bachelor in International Business and Trade. „Den beiden Institutionen möchte ich von ganzem Herzen danken“, sagt Abdul. Das war um August 2018, zehn Jahre, nachdem er bei der Bundeswehr eingestellt worden war. Doch selbst mit dem Abschluss in der Tasche hatte er Schwierigkeiten bei der Jobsuche. „Ich hätte mich auch in die Hängematte legen und Sozialleistungen beziehen können“, sagt er. Stattdessen durchlief er jedoch mehrere Weiterbildungen. Eine Anstellung bei der Deutschen Sparkassenstiftung für internationale Kooperation e.V.  lief Ende 2019 aus.

Aber nicht die Pandemie, sondern vor allem das Visum machte ihm immer wieder Schwierigkeiten. „Rückblickend wäre es leichter gewesen, mit einem Studentenvisum einzureisen und dann weiterzuschauen“, sagt er. „Vermutlich waren sich viele Arbeitgeber unsicher, ob ich wirklich bleiben und arbeiten darf.“ Abdul ist ständig im Kontakt mit der Ausländerbehörde, besorgt alle Dokumente, um dauerhaft in Deutschland bleiben zu können, und wird am Ende doch immer wieder von Pontius zu Pilatus geschickt. Es ist die Suche nach dem berühmten „Passierschein A38“ aus dem Asterix-Film. Er nimmt diese „struggles“ auf sich, gibt nicht auf.

Doch die Gesamtsituation schlägt ihm aufs Gemüt. Er bekommt erst einen PTBS-Schub, dann Fieber, aber keinen Termin beim Arzt. Erst als das Fieber runtergeht, kann er zum Hausarzt. „Der meinte nur, ich hätte nichts.“ Durch die Blume unterstellt der Arzt ihm, zu simulieren. Was er aber nicht bemerkt, ist der Hörsturz, den Abdul erleidet. Wieder dieses verdammte linke Ohr, dieser verdammte 25. Mai 2011.

Reservistenverband gibt ihm eine Chance

Das Blatt wendet sich im Spätsommer, als ihn ein Bundeswehr-Kontakt auf die Stellenausschreibungen beim Reservistenverband aufmerksam macht. Es ist zwar nichts mit Wirtschaft, aber Abdul möchte endlich arbeiten. Bundesgeschäftsführer Christoph Max vom Hagen honoriert seinen Willen: „Warum sollten wir es nicht einfach mal ausprobieren und ihm eine Chance geben!? Gerade bei seiner Vorgeschichte…“ Er wird zunächst als Auszubildender eingestellt, doch schon nach kurzer Zeit wird deutlich, dass er für seine Tätigkeit keine zusätzliche Ausbildung braucht. Auch mit der deutschen Sprache klappt es immer besser. Abdul bekommt schließlich einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das Team unterstützt ihn, die Personalstelle hilft ihm beim Zusammentragen der Dokumente für die Ausländerbehörde.

Das einzige Problem, das nun noch besteht: Um die Kollegen in der Militärischen Ausbildung zu unterstützen, muss er in eine Kaserne kommen können. Mit dem afghanischen Pass gab es immer wieder Schwierigkeiten; und das, obwohl er – gerade deshalb – doppelt und dreifach überprüft ist. Die Lösung: „Abdul, Du musst Deutscher werden!“ Auch hier unterstützte die Personalstelle ihn bei der Antragstellung und beim Zusammentragen aller nötigen Unterlagen. Die erlösende Nachricht kam im Oktober des vergangenen Jahres: Der Antrag auf Einbürgerung wurde bewilligt.

Auf Wohnungssuche im Köln-Bonner Raum

Ist das nun das Happy End? Noch nicht ganz. Denn Familie Samim sucht händeringend nach einer anderen Wohnung. Vermutlich ist es leichter, deutscher Staatsbürger zu werden als auf dem Wohnungsmarkt im Köln-Bonner Raum eine bezahlbare Bleibe zu finden. Die fünf wohnen noch immer in der Zwei-Zimmer-Wohnung in Köln-Weiden. Vater Abdul pendelt jeden Morgen und jeden Abend rund eineinhalb Stunden in die Bundesgeschäftsstelle in Bonn-Bad Godesberg und wieder nach Hause, seine älteste Tochter braucht Ruhe zum Lernen. Sollte also jemand einen kennen, der einen kennt…a.samim@reservistenverband.de.

Verwandte Artikel

Laufteam sammelt Spenden für Hochwasser-Helfer

Starke Regenfälle sorgten Anfang Juni in Teilen Süddeutschlands für Überschwemmungen. Die Deutsche Reservistenmeisterschaft und der Tag der Bundeswehr wurden daraufhin...

09.07.2024 Von Redaktion / spe
Allgemein

Bundeswehr und Reserve - Newsblog KW 28

Was berichten die Medien in dieser Woche über die Bundeswehr und ihre Reserve? Welche Themen stehen auf der sicherheitspolitischen Agenda?...

09.07.2024 Von Sören Peters
Die Reserve

Freistellungen für Reserve: Arbeitgeber sind gefragt

Vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Zeitenwende haben das Verteidigungsministerium und der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) die Initiative Arbeitgeber und Reserve...

08.07.2024 Von Redaktion