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Er war als Beobachter der Vereinten Nationen (UN) in Syrien. Von April bis Mai 2012 erlebte er als Nachrichtenoffizier im Stab der UN-Beobachtermission UNSMIS wie Radikalisierung, Hass und Gewalt in Syrien zur absoluten Eskalation führten. Unter dem Pseudonym Eric Hagen hat er ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben. Es trägt den Titel „Axt im Kopf – Bericht aus Syrien“. Mit der loyal hat der Offizier über das Buch und über seine drastischen Eindrücke von der Beobachtermission gesprochen.
Welche Intention steckt hinter Ihrem Buch, warum trägt es den Titel „Axt im Kopf“?
Die Intention, die hinter dem Buch steckt, erkennt man, wenn man an die Stelle kommt, wo ich über das Massaker in Houla schreibe. Das war im Mai 2012. Bei diesem Massaker wurden mehr als 200 Menschen ermordet und 40 kleine Kinder getötet. Ich kam am Folgetag nach diesem Massaker dorthin und habe mir alle erschlagenen Kinder angeschaut. Die jüngsten waren Babys, die ältesten neun oder zehn Jahre alt. Ich guckte der UN-Mitarbeiterin bei der Katalogisierung über die Schulter. Sie nahm eine grobe Aufnahme der Leichen vor, die in einem Vorraum einer Moschee lagen. Sie führte eine Liste. Ich las: ‚#Nr. 33, Mädchen, Todesursache: Axt im Kopf.‘ Daher kommt der Titel des Buches. Dann habe ich die Nummer 33 gesucht, habe das Mädchen gefunden. Das war in der Tat ein kleines Mädchen, das einen gespaltenen Schädel hatte. Die wurden alle nicht erschossen, sondern erschlagen oder an die Türen genagelt. Die Intention war, dass ich etwas von diesem Mädchen erzähle und von diesen Kindern, die dort symbolisch für diesen Krieg erschlagen wurden. Das ist einer der Hauptgründe für dieses Buch gewesen. Der zweite Grund ist, dass uns der Beruf des Soldaten doch in Lagen führen kann, die besondere Herausforderungen mit sich bringen. Das sollten viele Kameraden zur Kenntnis nehmen, weil es zur Vollständigkeit unseres Berufes mit dazugehört. Dieses Massaker ist ein zentrales Erlebnis. Das Buch kumuliert in dieser Katastrophe. Danach habe ich die Täter gesehen.
Wer steckte dahinter?
Das waren ‚ganz normale Männer‘. Sie kennen vielleicht den gleichnamigen Buchtitel des Historikers Christopher Browning. Da ging es um die soziale Herkunft der SS-Mannschaften, die die Juden in den Lagern bewacht und getötet haben. Das gleiche Phänomen, wie in Brownings Buch beschrieben, trifft auch auf Syrien zu. ‚Ganz normale Männer‘ werden radikalisiert und sie werden zu Mördern, in diesem Fall die Shabiha-Milizien, die die Drecksarbeit für Assad gemacht haben. Diesen Bogen, das heißt die schleichende Radikalisierung, versuche ich aufzuzeigen: die Internationalisierung der Rebellen und dann aber auch die Verpflichtung weiter Teile der Bevölkerung für Assad zu kämpfen, die auch darin münden, dass sie morden und das Land in Trümmern legen.
Das sind heftige Erlebnisse. Was geht einem da durch den Kopf?
Mit den militärischen Bedrohungen konnte ich gut umgehen. Ich bin Fernspäher und damit gewohnt, dass man in kleinen Gruppen auf sich allein gestellt Verantwortung übernimmt und in selbstständiger Wahrnehmung seinen Auftrag erfüllt. Das ist mir geläufig. Das waren keine wesentlichen Belastungen. Die Belastungen, wie ich sie wahrgenommen habe, waren diese Vielfältigkeit, das hohe Tempo von Ereignissen und Vorfällen und die Brutalität. Auf die war ich nicht hundertprozentig Prozent vorbereitet. Diese Ermordung von Zivilisten, dass man darauf die Soldaten vorbereiten kann, das finden Sie in keinem militärischen Ausbildungsprogramm. Insofern ist es immer ein gewisses Konfrontationserlebnis. Man kommt damit am besten in einer intakten kameradschaftlichen Umgebung und mit einer gewissen Reife klar.
Ihr Buch legt offen, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen zum Syrien-Krieg sind. Man hat das Spielfeld Akteuren wie Russland, dem Iran und Terrororganisationen überlassen. Die UN-Beobachtermission war vielleicht die letzte Chance, Ordnung zu schaffen. Hätte der Westen entschlossener eingreifen müssen?
Sie sprechen einen zentralen Punkt an. Es sind in der Tat unterschiedliche Wahrnehmungen, die es bezüglich Syrien gibt. Es ist mitunter schwer vermittelbar, darüber anschaulich zu berichten, dass Leute sich das nicht nur vorstellen können, oder vielleicht sogar eine Entscheidungsgrundlage erkennen. In Syrien ist es eine klassische Tragödie. Wann wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um dort physisch einzugreifen, um Schlimmeres zu verhindern und wann nicht? Alle waren geprägt durch die Erfahrungen aus Afghanistan und dem Irak. Keiner der Akteure hatte große Lust, sich auf ein drittes Abenteuer einzulassen. So ist es dann anderen überlassen worden. Irgendwann war es in der Tat zu spät.
Sie schreiben von beunruhigenden Entwicklungen. Zum Beispiel die Anwesenheit von ausländischen Kämpfern unter den Rebellengruppen, vermehrte Anschläge mit Improvised Explosive Devices (IED, unkontrollierte Spreng- und Brandvorrichtung) und Angriffe auf UN-Patrouillen. Warum wurde die Mission nicht zu einem robusten Friedenseinsatz ausgeweitet?
Der Wille hat gefehlt. Aber die Großwetterlage hat vermutlich kein anderes Handeln zugelassen. Wir hatten in den Jahren 2011 und 2012 den Arabischen Frühling. Es gab Schwierigkeiten in Libyen, große Unruhen in Tunesien, die Machtübernahme der Moslembrüder – Mursi – in Ägypten, und nun Syrien. Der Irak und Afghanistan sind ohnehin längere Geschichten. Es war sehr ungewiss, welche Entwicklung dieser ganze Gürtel Naher und Mittlerer Osten nehmen würde. Niemand hatte Appetit und Mut, ein Wagnis einzugehen, dass man nur mit großer Entschlossenheit hätte führen müssen.
Welche Eindrücke hat der Einsatz bei UNSMIS hinterlassen?
Ganz unvorbereitet war ich nicht. Ich war mit der Rahmenlage vertraut, weil ich die verantwortlich in New York mit zu bearbeiten hatte. Neu war im Prinzip die Gewissheit, dass es in Syrien von Anfang kein einfaches Schwarz-Weiß-Schema gegeben hat. Es gab sehr viele zuverlässige und auch belastbare Hinweise aus der Regierungsseite von Assad, die die gesamte UN-Beobachtermission nach Kräften unterstützten. Das war sehr fair. Das war mitunter auch lebenserhaltend für uns. Auf der anderen Seite waren die Beispiele von allergrößter Gewalt, wie sie von beiden Seiten aber eben auch von der Assad-Seite verübt wurde, die einen sprachlos gemacht hat. Diese Ambivalenz der Eindrücke ist ein wesentliches Kriterium gewesen, um diesen Einsatz persönlich zu charakterisieren. Die große Dynamik und die Intensität der Ereignisse waren von ihrer Häufigkeit und von ihrem ansatzlosen Eintreten her ganz anders als das beispielsweise in Afghanistan es der Fall gewesen ist. In Afghanistan konnte ich Dinge mehr planen und gestalten. Hier in Syrien war das immer nur eher ein Reagieren. Die Eindrücke und Belastungen waren so hoch, dass man das über längere Zeit nicht hätte durchstehen können. Insofern war das für mich persönlich gut, dass nach ein paar Wochen der Einsatz beendet war.
Sie sprechen von ambivalenten Eindrücken. Wie schwer war es für die UN-Beobachter, aufgrund der Unübersichtlichkeit der Akteure, Erkenntnisse über die Einhaltung des Sechs-Punkte-Plans von Kofi Annan und zur Einhaltung der Waffenruhe zu gewinnen?
Auf der einen Seite haben Sie eine militärische Organisation, militärische Streitkräfte. Da waren Organisationsgrade erkennbar, die waren zuverlässig. Das waren Soldaten, da gab es eine gemeinsame Basis. Die syrischen Behörden, es gab ja nicht nur die Streitkräfte, haben uns mehrmals aus prekären Lagen gerettet. Das kann man schon sagen. Von syrischer Seite, von der Regierungsseite her ist mir kein Beispiel bekannt, bei dem es zu einer lebensbedrohlichen Entwicklung für die UN-Kameraden gekommen wäre. Das kann ich nicht für die Rebellen so sagen. Die Rebellen waren diejenigen, die sich von Anfang an nicht an die Waffenstillstandsinhalte gehalten haben. Die Rebellen in ihrer Fragmentierung und in ihrer völligen Zerrissenheit in den Zielstellungen in ihrem Streben nach Anerkennung und Aufmerksamkeit waren völlig unberechenbar. Gleichzeitig sind die Rebellen und die Zivilbevölkerung auch Opfer. Die 4. Division des Syrischen Heeres, die Assads Bruder Maher geführt hat, das sind nichts anderes als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in der Masse, in der Häufigkeit, aber auch in der Radikalität wie das mit politischen Zielsetzungen verbunden war.
Welchen Eindruck hatten Sie von den Rebellen, konnte man eine Radikalisierung bereits 2012 erkennen?
Zur Zeit der UN-Beobachtermission im Jahr 2012 konnte man die beginnende Radikalisierung gut beobachten. Das wuchs von Woche zu Woche. Ich schildere Beobachtungen, wo Jugendliche, Burschen und Kinder, von einer etwas älteren Frau aufgestachelt wurden in der Verhöhnung und in der Verspottung von Soldaten. Das Ganze endete in einer Konfrontation, in einer Provokation. Wenige Tage später haben wir gesehen, wie Jugendliche mit IEDs hantierten und damit UN-Patrouillen angriffen. Am Beispiel der Radikalisierung von jungen Leuten und Kindern kann man erkennen, dass der extremistische Einfluss relativ früh vorhanden war. Der Einfluss von radikaler Ideologie, der nachher im sogenannten Islamischen Staat kumulierte, war von Anfang an erkennbar. Er wurde durch externe Kräfte finanziert und unterstützt. Dieses Phänomen nahm ab 2012 kontinuierlich zu.
Sie schreiben von 1.200 verschiedenen Rebellengruppen, darunter auch Al-Qaida. Was haben Sie darüber während UNSMIS erfahren?
Von den 1.200 von uns identifizierten Gruppierungen gibt es eine gewisse Unübersichtlichkeit. Übermittlungsfehler und sprachliche Unschärfen haben sicherlich in der Differenzierung und Katalogisierung geschadet. In der großen Tendenz kann man sagen, dass die Radikalisierung in den teilweise sich aus einer Graswurzelbewegung formierenden Rebellenorganisationen kontinuierlich stattgefunden haben. Der Zustrom oder der Einfluss von Al-Qaida hat sich in der Jabhat Al-Nusra manifestiert. Die Jabhat Al-Nusra stand in Konkurrenz zum sogenannten Islamischen Staat. Al-Qaida unterlag später dem IS. Der sogenannte Islamische Staat wurde später ab 2013/2014 zur bestimmenden Rebellenstruktur in Syrien. Die Anfänge, die ließen sich eindeutig bis Anfang 2012 zurückverfolgen. Die Unterstützung, die Finanzierung, die Logistik, die Ausbildung und das Training, das hat sicherlich Ursprünge im Irak, teilweise in Afghanistan.
In einem Kapitel berichten Sie über eine Begegnung mit düster in schwarz gekleideten Männern, auf die Sie während einer Patrouille in der Region um Idlib treffen. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um tschetschenische Kämpfer handelt. Ist Ihnen in dieser Situation die Rolle von fremden Kräften bewusst geworden?
Die Begegnung mit den auffällig in schwarz gekleideten Tschetschenen hat mich schon ein bisschen erschrocken. Zum einen habe ich mich über mich selbst geärgert, weil ich das im Voraus nicht erkannt habe und es war zu spät, da noch zu reagieren, als wir uns praktisch gegenübergestanden haben. Das machte deutlich, dass bis in irgendwelche Dorfstrukturen die Radikalisierung schon angekommen war. Man konnte anhand der Reaktionen in der Bevölkerung sehen, sie blickten zu diesen Tschetschenen und es gab immer Augenkontakt, dass die praktisch die Steuerung in diesem Ort übernommen hatten.
In dieser Situation wurden Sie zunächst von einer Menschenmenge umringt. Kommt in solchen unübersichtlichen Lagen nicht ein mulmiges Gefühl auf?
Das war es auch. Das waren teilweise Tausende Leute, die dort die Straßen versperrt hatten, die wild skandierten. Sie redeten auf uns ein, gestikulierten, schrien durcheinander. Es war eine große Unübersichtlichkeit. Diese Mengen, waren sehr schwer zu durchschauen. Es war schwer, dort Ansprechpartner zu finden und mitunter war es ein völliges Durcheinander. In einem Beispiel führte das einmal zur Eskalation.
Was bedeutet das?
In Douma in der Provinz Goutha fand eine Erkundung statt, die aus internen Überlungen heraus gegen meinen Willen durchgeführt werden sollte. Das war eine Aktion, vor der ich gewarnt habe, aber an der ich teilgenommen habe. Ich habe das im Buch beschrieben. Mein Personal wurde dazu eingeteilt. Die haben mich gebeten, mitzukommen, weil ich eben über bestimmte Vorkenntnisse verfüge. Wir kamen in einen Ort, wo die Stimmung sehr schnell kippte und wir fliehen mussten. Wir wurden mit Pick-Ups und Motorrädern verfolgt. Wir gerieten durch den Pick-Up unter (Maschinengewehr-)Beschuss. Unsere beiden Fahrzeuge wurden sehr stark beschädigt. Wir haben jede Menge Treffer abbekommen. Wir haben es nur mit einer zerrissenen Ölleitung und im ersten Gang zurück zu den Regierungsstellungen geschafft. Der syrische Nachrichtendienst hat uns dann wieder sicher durch Damaskus geleitet. Das hätte böse enden können. Schlimmeres wurde nur durch die gute Panzerung unserer Fahrzeuge verhindert.
Ein Glück, dass Sie das überstanden haben. Sie konnten sich ja nicht verteidigen, oder?
Nein, meine Einstellung zu unbewaffneten UN-Beobachter-Einsätzen hat sich seit Syrien geändert. Das sollte man nicht wieder verantworten, in einem Umfeld, wo es keinen politischen Willen zu einer friedlichen Lösung gibt. Das war in Syrien der Fall. Darin liegt vielleicht auch die Schwäche von diesem Mandat, dass man dort unbewaffnete Leute reingeschickt hat, wo eigentlich zu diesem Zeitpunkt von beiden Seiten kein Wille erkennbar war, den Konflikt zu beenden.
Nachdem der UN-Sicherheitsrat quasi über Nacht dem Sechs-Punkte-Plan Kofi Annans zugestimmt hatte, musste man möglichst schnell und in wenigen Tagen die Mission UNSMIS aufbauen. Aus Ihrem Buch gewinnt man den Eindruck, dass einige UN-Mitarbeiter und Soldaten dabei ins Kalte Wasser geworfen wurden. Gibt es keine grundsätzlichen Strukturen und Einsatzgrundsätze für UN-Beobachtermissionen?
Die UN hatte schon mehrere Versuche unternommen, mal mehr und mal weniger intensiv sich um eine Standing Force zu bemühen. Das haben die Mitgliedsstaaten bisher immer verweigert. Insofern sind die Strukturen nicht vorhanden, beziehungsweise es gibt lediglich die knapp 140 Leute im UN-Hauptquartier in New York, die eigentlich zu kurzfristigen Verfügungen des Sekretariats vorhanden sind. Ansonsten muss sich die UN immer an Mitgliedsländer wenden. Das macht es sehr mühsam und sehr schwierig. 2012 hatte die UN keine eigenen Kräfte zur Verfügung außer dem militärischen Stab im Office of Military Affairs. Wir waren fünf Offiziere, die der Mission beigegeben wurden. Der kommandiere General war der Norweger Roberts Mood. Er war vorher der Leiter der Mission UNTSO mit Sitz in Jerusalem. Er war in der Region erfahren. Dem hat man ein paar zivile UN-Beamte zur Seite gegeben. Ansonsten hat sich New York um den Aufwuchs von 300 Offizieren bemüht. Das war teilweise ein Auskämmen von Personal aus anderen Missionen. Die Motivationslage war teilweise so, dass ärmere UN-Mitgliedsstaaten wegen der besseren Finanzierung von der einen Mission nach Syrien befohlen haben. Da kam zum großen Teil Personal an, das mit der Lage, mit dem Umfeld und mit dem Auftrag nicht vertraut war. Das war ein zusätzliches Handicap für den Einsatz. Es gibt im Buch einige Beispiele, woran man das erkennen kann.
Wie lief die Zusammenarbeit unter den Beobachtern?
Gemeinsam ist uns allen ein gewisses militärisches Grundverständnis. Aber die Sozialisierung, die tiefe der Ausbildung, die Mentalität und die kulturellen Unterschiede sind natürlich unverkennbar. Die gibt es. Es ist mitunter mühsam und recht anstrengend, gemeinsame Vorstellungen und gemeinsame Grundlagen zu entwickeln. Aber im Ergebnis kann man sagen: Nach einer gewissen Zeit stellen sich die Erfolge ein. Es funktioniert. Aber es ist nicht so, dass man in relativ kurzer Zeit maximale Erfolge hätte erwarten können. Das ist ein Handicap gewesen, unter dem diese 300 Männer und Frauen von Anfang an litten. Es gab kein landestypisches Training und keine Familiarisierung mit dem Auftrag.
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Waren der hohe politische Druck und das schnelle Handeln ein Grund, warum es nicht funktioniert hat?
Der hohe politische Druck hat letztendlich dazu geführt, dass Syrien und Russland einem UN-Mandat zugestimmt haben. Der hohe politische Druck war also Voraussetzung für das Anlaufen der Mission. Er war aber auch gleichzeitig ein Faktor, der zulasten der Sorgfalt und Präzision in der Durchführung und der Vorbereitung beigetragen hat.
Wurde die Mission abgebrochen, weil die Gefährdung zu groß war?
Das ist richtig. Der norwegische General kam irgendwann zu dem Schluss, dass die Gefährdungslage in keinem Verhältnis mehr zu den zu erreichenden Erfolgen steht. Er hat dann zunächst auf seine eigene Verantwortung alle Bewegungen suspendiert. Es war nicht mehr beherrschbar. Es war eigentlich nur eine Frage des Zeitpunktes, wann es für die UN zu Verlusten an Personal gekommen wäre.
Was würden Sie im Nachhinein sagen, worauf sie sich eingelassen haben?
Der Einsatz hat auf vielfältige Weise mein persönliches Erleben verändert. Die Eindrücke, die Erlebnisse und die Intensität waren stärker als bei allen anderen Einsätzen zuvor. Syrien ist ein sehr nachhallendes Erlebnis.
Das Buch „Axt im Kopf -Bericht aus Syrien“ ist als E-Book über die Kindle-App oder über diesen Link erhältlich. Eine Veröffentlichung als Druckausgabe ist in Vorbereitung.
Auszug aus dem Buch „Axt im Kopf“
Eric Hagen schildert in dem Buch seine Erlebnisse aus der Sicht der fiktiven Figur Fritz Traut. Der Auszug steigt an der Stelle in die Handlung ein, als die UN-Beobachtermission von einem verheerenden Bombenanschlag mitten in Damaskus erfährt.
Die Fahrt dauerte weniger als 15 Minuten. Dennis wusste, wohin sie fahren mussten. Je näher sie an den mutmaßlichen Anschlagsort kamen, desto dünner wurde der Verkehr, in beide Richtungen. Schon von weitem sah man eine fette, dichte schwarze Rauchwolke mit einem breiten Stamm im blauen Himmel stehen. Es musste eine gewaltige Explosion gegeben und es schien einen Großalarm ausgelöst zu haben. Ein Krankenwagen nach dem anderen eilte an ihnen auf der vierspurigen Stadtautobahn vorbei, gefolgt von Einsatzfahrzeugen der Sicherheitskräfte. Die ersten Passanten kamen ihnen mit entsetzten Gesichtern entgegen, viele schrien durcheinander und weinten. Die UN-Beobachter näherten sich dem Platz, an dem für so viele Damaszener sich heute ihr Leben verändert haben würde. Es verhieß nichts Gutes. (…)
Dann sahen sie es selbst. Links vor ihnen, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, zeigte sich ihnen ein unübersichtliches Bild rauchender Verwüstung und menschlichem Chaos, das man mit einem Blick gar nicht erfassen konnte. Traut wusste nicht, worauf er zuerst achten sollte, versuchte eine Struktur zu erkennen, doch er fand keine. Rasch stiegen sie aus. (…) Energisch, aber freundlich und sich immer wieder entschuldigend, schlängelten sie sich durch die durcheinanderlaufende, verstörte und wild schreiende Menge, bis sie auf die andere Straßenseite gelangten. Es mussten mindestens an die zweitausend Menschen sein, die sich hier scheinbar planlos drängten. Zuschauer, Gaffer eben, die zwar lamentierten, aber eigentlich hier nichts zu suchen hatten, hilflos verirrte Passanten, die irgendwie in das Schlamassel hineingeraten waren und nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten und höchst angespannt wirkende Sicherheitskräfte, die teilweise den Ausdruck nervlicher Überforderung in ihren Augen hatten – und alle behinderten sie sich gegenseitig. Verkehrspolizei, die mit ihren penetranten, aber völlig unnützen Trillerpfeifstakkati ihre Hilflosigkeit überspielen wollten, Presse- und Kamerateams, die sich wie Jungwölfe in einer Höhle um die besten Aufnahmeplätze rangelten – alles war ein Einziges, lautes unorganisiertes Knäuel. (…)
Als die Leute registrierten, dass die UN gekommen war, wurde General Mood ganz schnell umzingelt, eingekreist und von der Masse nach vorn geschoben. Mehrere Leute, Zivilisten, Polizisten schrien gleichzeitig aus weit aufgerissen Augen und Mündern wie Irre auf ihn ein. Sie schoben ihn an den aufgeworfenen Rand eines riesigen Bombentrichters, wo einmal ein Gebäude gestanden haben musste. Nur schwelende Mauerreste waren davon noch übriggeblieben. Vor ihnen klaffte ein riesiges Loch. Es musste mehr als zwanzig Meter im Durchmesser messen und war so tief, dass im Erdreich Reste eines Auto steckte, das man nur erkennen konnte, wenn man am Rand stehend direkt in den Schlund des Trichters blickte. Alles war auf ganz engem Raum zerstört. Hinter, vor und neben ihnen wurden immer mehr Verwundete auf Tragen weggebracht. Traut erkannte die Blutfahnen, die von abgerissenen Gliedmaßen durch die Körperstoffe der Tragen auf den Boden troffen. Zivilisten liefen schreiend den Krankenträgern hinterher und hielten abgerissene Beine und Arme vor ihrer Brust, vermutlich nicht einmal wissend, wessen blutverschmierten Gliedmaßen sie da überhaupt an ihren Leib pressten. Polizisten stießen wilde Flüche aus, schubsten die Leute umher und trieben Aufräumkolonnen an. Überhaupt, das Aufräumen schien von allerhöchster Priorität zu sein und in den Handlungsanweisungen volle Aufmerksamkeit zu bekommen. Tatortsicherung, Absperrung, gar forensische Untersuchungen, um gegebenenfalls Hinweise auf Sprengstoff und Attentäter zu finden? Mitnichten! (…)
Mood wurde inzwischen von ersten Pressevertretern bedrängt, die ihm von den übereifrigen Polizisten vor die Nase gesetzt wurden. Beim besten Willen konnte er sich bisher noch kein eigenes Bild machen, geschweige denn, sinnstiftende Zusammenhänge erkennen. Traut verstand nichts von dem, was der General in die ihm vorgehaltenen Mikrophone sprach, auch weil seine wenigen Sätze von dem unbeschreiblichen Lärm um sie herum verschluckt wurden. Es war einfach chaotisch. Während der General sprach, liefen orangefarben gekleidete Männer der städtischen Müllabfuhr mit armlangen Stulpen- und Plastikhandschuhen herum, aber welche auch ohne, und sammelten die abgerissen Körperteile und -fetzen ein und warfen sie in Müllsäcke. Andere hoben irgendwelche Überreste auf, liefen damit zum Hundertschaftführer, denn so viele mussten hier im Einsatz sein, doch scheinbar ohne Ziel und Verständnis für die eigentliche Arbeit, die man hier verrichten musste. Die Müllabfuhr als Ersatz für Katastrophenmanagement. Dieser Anblick war bitter und komisch zugleich. (…)
„Es hat eine zweite Explosion gegeben. Da hinten“, zeigte Adam mit der Hand auf die Reste einer ehemals großen Gebäudewand, die sich anklagend und rauchend vor ihnen erhob. „Hier rede mal mit dem“, ordnete Adam an und ließ ihn bei dem Syrer stehen. Der Mann starrte in den zweiten Trichter und blickte Traut kurz an, bevor er begann. „Hier muss es gewesen sein. Sind von da gekommen“, er wies in eine bestimmte Richtung, „und haben dann hier gehalten – und dann – Bumm!“ Der Mann sagte, er hätte hier gearbeitet. Er sei heute Morgen zu spät zur Arbeit gekommen. Sonst wäre er auch – seine Stimme stockte. Traut legte ihm seine Hand auf die Schulter. „Was war das hier?“, wollte er wissen. Der Mann schaute ihn mit seinem Dreitagebart aus wässrigen Augen an. „ich habe hier gearbeitet, zwanzig Jahre lang! Ich sollte auch hier sterben!“ Traut wiederholte geduldig seine Frage. Schließlich konnte der Mann in einigermaßen verständlichem Englisch erzählen, dass dies einmal das Gebäude des Mukhabarat gewesen sei. Es sei das Hauptgebäude der Palastine Branch gewesen. Traut horchte auf. Ein erster Hinweis, warum ausgerechnet hier zugeschlagen wurde. Der Mann, der offensichtlich um seine Kollegen weinte, fing an zu reden, und es kam Traut wie eine Beichte, ein Geständnis vor, ein Abschluss. Die Palastine Branch sei zuständig für die Bekämpfung von Al-Qaida. Hier liefen alle Fäden zusammen, um den Einfluss radikaler Islamisten zu begrenzen. Im Keller seien Hunderte Gefangene gewesen – Traut bedeutete dem Mann, innezuhalten. „Hunderte Gefangene? – hier, unter all diesen Schuttbergen?“ „Ja“, antwortete der Mann nickend. „Wohl alle tot.“ Traut brauchte eine Sekunde, um das einordnen zu können. Doch der Mann ließ ihm keine Zeit, fuhr mit seinen An- und Einsicht fort. Das sei wohlmöglich die Absicht gewesen: Entweder die Gefangenen zu befreien, oder aber nur das Mukhabarat-Gebäude anzugreifen – vielleicht auch beides. Oder, das fiel Traut erst später ein, die Anschlagsplaner wussten nichts von den Gefängnisinsassen, was aber eigentlich nicht sein konnte. Terroristen auf der ganzen Welt wissen sehr wohl, in welchen Folterkellern ihre Genossen gequält werden. Oder war es am Ende sogar Absicht, war deren Tod gewünscht? Der Mann gab an, dass die zweite Explosion von einem Fahrzeug herrührte, das wenige Minuten zuvor auf das Gelände gelassen wurde. Der Fahrer habe sich selbst in die Luft gesprengt. So gab es keinen Zweifel, dass das Ziel das Hauptgebäude der berüchtigten Palestine Branch das Hauptziel des Doppelanschlags gewesen sein musste.
Eine lieb gewonnene Tradition der Gebirgsjägerbrigade 23 ist die Reichenhaller Stall-weihnacht. Die Vorstellungen in der in der Reichenhaller Hochstaufen-Kaserne sind...