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Aus der Truppe

„Aus dem aktiven Dienst entlassen heißt, für die Reserve gewonnen“




Vom Dienst in der Truppe zur Reserve: Ein aktiver Soldat bewirbt sich für den anschließenden Reservistendienst.

Foto: Bundeswehr

Strategie der Reserve

Ist die Strategie der Reserve eine bloße Renaissance? Was an ihr neu ist, beantwortet im loyal-Interview Generalleutnant Johann Langenegger, Kommandeur Einsatz und Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres.

 

Herr General, seit Kurzem gilt für die Bundeswehr die neue Strategie der Reserve? Was ist neu daran?

Die sicherheitspolitischen Veränderungen seit der Krimkrise 2014 stellen uns vor ganz neue Herausforderungen. Dies erfordert Anpassungen in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands. Für die Bundeswehr heißt das konkret, dass neben den bisherigen Einsätzen im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements die Landes- und Bündnisverteidigung als gleichrangige Aufgabe hinzugekommen ist. Bei den Landstreitkräften hat Deutschland die Planungsziele der Nato, bis 2032 drei Divisionen bereitzustellen, anerkannt. Dies ist derzeit planungsleitend für das Deutsche Heer und die Schritte dorthin sind im Plan Heer beschrieben. Mit dem gebilligten Personalkörper für das Heer ist diese Zielsetzung allerdings nicht zu erreichen. Daher müssen wir stärker als bisher auf die Reserve zurückgreifen. Die Reserve bekommt in Quantität und Qualität eine ganz neue Bedeutung zur Bereitstellung der geforderten Fähigkeiten. Die Erstellung einer neuen Strategie der Reserve war daher folgerichtig, denn das neue Bedrohungsbild steigert auch die Anforderungen an Ausbildung und Fähigkeiten der Reserve insgesamt. Und hier wird das Neue deutlich: Wir denken die Reserve zukünftig umfassender und eingebettet in die Konzeption der Bundeswehr. Wir schauen dabei nicht nur auf die Ebene Heimatschutz und Landesverteidigung, sondern wir nehmen auch die Bündnisverteidigung fest in den Blick. Dabei sehen wir sie flächendeckend und tief integriert in die bestehenden Verbände und Großverbände, um eine verlässliche Aufwuchsfähigkeit im Rahmen einer krisenhaften Entwicklung sicherzustellen.

Schlüsselbegriff ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Grundbeorderung. Das ist doch nicht wirklich neu, oder?

Wir haben 15.000 ausscheidende aktive Soldatinnen und Soldaten pro Jahr in der Bundeswehr, davon rund 6.000 im Heer. Das reißt bei 60.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten eine enorme Lücke an Fähigkeiten und Potenzial. Wir wollen daher, dass uns zukünftig niemand verlorengeht. Um das zu erreichen, führen wir die verpflichtende, bedarfsgerechte Grundbeorderung für ausscheidende Soldatinnen und Soldaten ein.

Johann Langenegger (Foto: Bundeswehr)

Sie bleiben damit nach ihrem aktiven Dienst für sechs weitere Jahre bei der Bundeswehr eingeplant, was im Bedarfsfall ihre Heranziehung zum Reservistendienst deutlich erleichtert. Wichtig sind uns dabei Qualifikation und Beibehaltung der regionalen Vernetzung der Reservistinnen und Reservisten. Ein in seiner Region verwurzelter Reservedienstleistender verbindet ortsnahen Reservistendienst grundsätzlich mit Heimat und ist so langfristig einfacher für uns zu gewinnen. Nur so kommen wir unserem Ziel näher, durch die Grundbeorderung eine vollständige Bedarfsdeckung der Truppenreserve, also der Ergänzungstruppenteile und Feldersatztruppenteile zu erreichen und gleichzeitig die Territoriale Reserve zu stärken. Konkret meine ich die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien und territorialen Verbindungsorganisationen. Deutlicher als bisher lautet also unser Credo: „Aus dem aktiven Dienst entlassen heißt, für die Reserve gewonnen.“

Wenn wir also die Einsatzbereitschaft des Heeres erhöhen wollen, benötigen wir ausreichend qualifiziertes aktives Personal und eine umfangreiche Reserve. Über welche Größenordnungen sprechen wir hier?

In der zukünftigen Einsatzstruktur verfügen wir im Heer über 60.787 Dienstposten. Zusätzlich planen wir im Heer mit einem Ergänzungsumfang, der nach gegenwärtigem Stand aus circa 20.000 Dienstposten in der Verstärkungsreserve sowie aus einer noch abschließend zu bestimmenden Anzahl von Dienstposten der Personalreserve bestehen wird. Aktuell verfügen wir im Heer über einen Ergänzungsumfang, der insgesamt 16.000 Beorderungsmöglichkeiten umfasst, davon 8.000 Dienstposten der Personalreserve und 8.000 Dienstposten in der Verstärkungsreserve. Diese gliedern sich wiederum in 6.500 Verstärkungsdienstposten in unseren Ergänzungstruppenteilen und 1.500 Verstärkungsdienstposten in der aktiven Soll-Organisation Heer. Gerade auf diese 8.000 Dienstposten der Verstärkungsreserve kommt es nun an, denn – wie sich aus der eingangs von mir erwähnten Zahl 20.000 ergibt – erweitern wir die Beorderungsmöglichkeiten in der Verstärkungsreserve des Heeres um 12.000 Dienstposten. Derzeit haben wir heeresweit lediglich 6.800 Reservistinnen und Reservisten beordert. Das entspricht einem Beorderungsgrad von 42 Prozent und zeigt: Genau hier ist unsere Baustelle, hier müssen wir ansetzen.

Der Mehrbedarf an Reservedienstleistenden ist also unbestritten. Nun steht die Bundeswehr ja als Arbeitgeber auch in Konkurrenz zur Wirtschaft. Was heißt das für die Reserve?

Hier müssen wir in zwei Richtungen denken. Erstens stellen wir uns die Frage, wie können wir den Dienst für Reservedienstleistende attraktiver gestalten und zweitens müssen wir eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für Reserve und Bundeswehr insgesamt erreichen. Das heißt konkret, wir als Heer bieten unseren Reservistinnen und Reservisten einen attraktiven und fordernden Dienst, regionale Ausbildung und Heimatnähe, modernes Arbeitsumfeld, Vereinbarkeit von Reservistendienst mit Familie und Arbeitgeber, eine eigene materielle Ausstattung, Wissens- und Ausbildungsmanagement und Durchlässigkeit auch für Nichtgediente, um nur einige Punkte zu nennen. Dazu gehört natürlich neen finanziellen Anreizen auch erlebte Kameradschaft gepaart mit Stolz auf eigene Leistungen. Das schafft „Heimat“ nicht nur durch Verwurzelung in der Region, aus der man kommt und in der man dient, sondern auch durch aufgehoben sein in der Truppe. Das haben wir selbst in der Hand.

Reservisten bei der DRM 2018. (Foto: Bundeswehr)

Auf der anderen Seite muss die Wirtschaft, müssen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber den Mehrwert der Reserve überhaupt erst einmal erfahren, um die Freistellung unserer Reservistendienstleistenden bereitwillig zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist neben anderen Maßnahmen die Einführung eines Bildungspasses geplant, in dem die bei der Bundeswehr erworbenen und zivil verwertbaren Qualifikationen dokumentiert werden. Dies kann die Akzeptanz für Freistellungen zum Reservistendienst bei den zivilen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern natürlich fördern und sie der Reserve gegenüber gewogener machen. Ich finde das eine gute Sache. Digitalisierung und neue Medien haben wir im Blick. Beides bestimmt bereits weite Teile unseres zivilen und militärischen Lebens und das wird sich zukünftig auch für die Reserve positiv auswirken. Ich spreche beispielsweise von einem im Internet auf der Bundeswehrseite integrierten Extranet, einer App für Reservistinnen und Reservisten, einer Stellenbörse für Reservistinnen und Reservisten und einem Bürgertelefon Reserve. Das hatten wir in dieser Breite vorher so nicht. In der Umsetzung bedarf es jetzt natürlich der Erarbeitung eines umfassenden „Kommunikationskonzepts Reserve“, in dem wir die von uns bereits begonnenen Maßnahmen, sowie weitere innovative Ansätze zusammenführen werden. Und wir brauchen Mittler und Multiplikatoren, nach innen wie nach außen, und dazu ein entsprechend breites Lehrgangsangebot im Zentrum Informationsarbeit Bundeswehr.

Hört sich gut an, bedeutet aber mit Sicherheit enormen Arbeits- und Verwaltungsmehraufwand. Reichen die vorhandenen Strukturen dafür aus?

Verwaltung ist immer aufwendig und kostet Geld. Aber dieser Mehraufwand lohnt sich, wenn entsprechend positive und gewollte Effekte erzielt werden. Ich sprach davon, dass wir das Strategiepaket wirksam umsetzen müssen. Das macht es notwendig, alle die Reserve betreffenden Aspekte aus einer Hand zu steuern. Hierzu haben wir im Streitkräfteamt bereits das Kompetenzzentrum für Reservistenangelegenheiten, das – sozusagen als unsere Werkbank – nun weiter verstärkt wird. Gleichzeitig verfügen wir auf allen Führungsebenen der Bundeswehr – vom Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr an abwärts – über Beauftragte für Reservistenangelegenheiten. In meiner Funktion als Kommandeur Einsatz und Stellvertretender Inspekteur des Heeres bin ich beispielsweise gleichzeitig der Beauftragte für die Reservistenangelegenheiten im Heer.

Und schauen wir einmal auf unsere Landeskommandos. Dort werden die Stabsoffiziere und Feldwebel für Reservistenangelegenheiten die Belange der Reserve ebenso zielführend weiter vorantreiben, wie es auch die einzelnen Karrierecenter tun. Gerade diesen Aspekt darf man auf keinen Fall unterschätzen, denn hier sind wir bereits in der Fläche, in der Region, haben die Ohren am Puls der Heimat.

Besonders verweisen möchte ich an dieser Stelle noch auf den Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr. Er vertritt nicht nur die Angelegenheiten unserer Reservistinnen und Reservisten aktiv nach innen, sondern er stellt das Personal, die Mittler der Bundeswehr zur Gesellschaft. Er betreut Familienangehörige unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Er kümmert sich auch um die Erfüllung der Vorgaben zu den individuellen Grundfertigkeiten und hilft bei der Ausbildung.

Wie gestaltet sich dann zukünftig die Ausbildung der Reserve?

Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass die aus dem aktiven Dienst ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten, die wir als Reservistinnen und Reservisten gewinnen, hervorragend ausgebildet sind. Sie waren beispielsweise zehn Jahre Richtschütze auf dem Kampfpanzer Leopard 2 oder Fluggerätemechaniker in einem Hubschrauberregiment.

Wenn sie uns verlassen, wollen wir sie als Reservistinnen und Reservisten genau auch in dieser oder einer vergleichbaren Funktion weiter an uns binden. Hier geht es eher um Weiterbildung als um Ausbildung. Unser Ziel ist, dass die Aus- und Weiterbildung zur Wahrnehmung von Aufgaben in Beorderungsverwendungen in der aktiven Truppe erfolgt. Im Zuge dessen bietet sich eine Aus- und Weiterbildung am Arbeitsplatz im Rahmen von Reservistendienst an. Auch die Nutzbarmachung ziviler Qualifikationen kommt hier zum Tragen. Ein Regierungsdirektor aus dem Regierungspräsidium Karlsruhe kann zum Beispiel durchaus auf einem entsprechenden Dienstposten im Kommando Heer üben, wie es ja längst schon gängige Praxis ist.

Reservisten bei der Übung „Haffschlag“ des Panzergrenadierbataillons 908. (Foto: Bundeswehr)

Wichtig ist mir hier vor allem eines: Soldatischer Dienst heißt: Arbeiten, Kämpfen, Bestehen im Team. Das muss unserer Reserve vermittelt werden, und das kann durch regelmäßige Teilnahme an Übungen in der Truppe oder an unseren künftigen regionalen Ausbildungseinrichtungen geschehen. Beispielsweise an Wochenenden durch andere Reservistendienstleistende, durch aktive Ausbilder oder Angehörige des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr. So stärken wir den Regionalbezug der Ausbildung, da alle in der Nähe verankert sind und kurze Wege haben – ich sprach bereits darüber.

Es bietet sich auch an, Material oder Ausbildungseinrichtungen von nationalen Hilfsorganisationen zu nutzen, mit denen wir Kooperationsabkommen geschlossen haben. Das Gleiche gilt für Industrie und Wirtschaft. Wenn wir dann parallel noch die Ausbildungszeiträume für Unteroffiziere und Offiziere der Reserve verkürzen, bin ich zuversichtlich, in absehbarer Zeit deutlich mehr beorderte Reservistinnen und Reservisten bei uns in der Bundeswehr zu sehen.

Herr General, in der Gesamtschau stellt sich die neue Strategie der Reserve also als ein wichtiger Baustein im Rahmen des Paradigmenwechsels der Bundeswehr hin zu Landes- und Bündnisverteidigung dar. Was bedeutet das für die zukünftige Rolle der Reservistinnen und Reservisten?

Ich komme zurück zur Eingangsfrage, zum Neuen an der Strategie der Reserve. Die gemeinsame gesamtgesellschaftliche Bedrohungsperzeption umfasst auch hybride Bedrohungen. Das macht die Stärkung unserer gesamtgesellschaftlichen Resilienz notwendig. Die Bundeswehr leistet dazu einen Beitrag. Reservistinnen und Reservisten wirken quasi als Scharnier zwischen Gesellschaft und Bundeswehr.

Um das leisten zu können, haben wir die neue Strategie der Reserve als Planungsgrundlage geschaffen. Sie schafft Synergien für die Zukunft, für das Morgen, langfristig und nachhaltig. Das macht schon der Untertitel: „Vision Reserve 2032+“ deutlich und das geht weit über eine bloße Renaissance früherer Strukturen und Systeme hinaus. Denn wir leben nicht mehr im Kalten Krieg, das Bedrohungsbild ist wesentlich komplexer. Wir wollen einen erfolgreichen Aufwuchs von Kräften durch die Kernelemente Freiwilligkeit bei verlässlicher Verfügbarkeit dank Grundbeorderung, Ausstattung, Inübunghaltung, Aufwuchs, Mentalität und den Aufbau eines funktionierenden Wehrersatzwesens erreichen. Es gilt jetzt abzuwarten, ob wir mit dem Element der Freiwilligkeit tatsächlich unsere Ziele erreichen. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen wir gegebenenfalls eine neue Diskussion führen, ob wir nicht den Weg zur Verpflichtung gehen müssen. Die Benchmark unseres Handelns muss die Einsatzbereitschaft sein. Darum geht es: Unsere Reservistinnen und Reservisten werden dringend benötigt, um unsere Aufwuchsfähigkeit im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung sicherzustellen. Noch stärker als bisher werden wir also die Reserve wieder mitdenken müssen. Nur so können wir unsere Einsatzbereitschaft weiter steigern. Wir können also festhalten: Die neue Strategie der Reserve ist von zentraler Bedeutung, um die Wiedergewinnung von verlorengegangenen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung zu unterstützen. Dazu trägt jede einzelne Reservistin, jeder einzelne Reservist mit der besonderen persönlichen Einbindung in Region und Gesellschaft als Akteurin und Mittler unmittelbar bei.

Herr General, vielen Dank für das Gespräch!

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