Aus der aktuellen ‚loyal‘: Ende eines Einsatzes – Teil 1
Text von Julia Egleder
Was war das für eine Begeisterung, als die deutschen Soldaten vor zwanzig Jahren in einer schier endlosen Kolonne auf ihren Panzern in Prizren ankamen. Sie hatten damit gerechnet, in den Straßen der Stadt auf Widerstandskommandos der geschlagenen Serben zu stoßen. Stattdessen säumten zehntausende Kosovo-Albaner die Wege und jubelten den deutschen Truppen zu. Blumen auf Schützenpanzern, Soldaten, die von den Einwohnern umarmt wurden – diese Bilder gingen um die Welt. Heute wirken sie wie aus einer fernen Zeit. Die Bundeswehrsoldaten sind aus dem Straßenbild Prizrens verschwunden. Nur das Feldlager am Rand der Stadt zeugt noch davon, dass sie noch da sind.
"Camp Prizren" ist im Lauf der Zeit zu einer Kleinstadt angewachsen. Es gibt ein Krankenhaus, eine Kirche, einen Sportplatz, eine Bar und zwei Restaurants. Doch nun herrscht Abbruchsstimmung. Alles, was in der Heimat oder in künftigen Einsätzen gebraucht werden kann, wird abgebaut und verpackt. Zehn bis 15 Lkw machen sich wöchentlich mit Containern beladen auf die Fahrt nach Deutschland. Die 23 festen Gebäude aber bleiben. Sie sollten ursprünglich zehn Jahre lang halten, erweisen sich aber als robuster als gedacht. Tennis- und Sportplatz rechts von der Lagerstraße gehen ebenso an die Kosovaren über wie der Glas-Beton-Bau der Kantine. Die 250 Soldaten, die hier noch stationiert sind, leben zunehmend in einem Provisorium. Nicht einmal die Milleniumbar hat noch geöffnet. Hier haben Tausende Soldaten einst ihr Feierabendbier getrunken. Jetzt zerlegen einheimische Handwerker das Gebäude.
Oberstleutnant Offermann ist der 50. und letzte Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents in Prizren. Früher saßen an seiner Stelle Brigadegenerale. Seine Vorgänger blicken von Fotos an der Wand hinter seinem Schreibtisch. Darunter befinden sich der ehemalige Generalinspekteur Volker Wieker und Erhard Bühler, der heutige Abteilungsleiter Planung im Verteidigungsministerium. Ein Kommandeursposten in Prizren war für viele Offiziere eine wichtige Sprosse auf der militärischen Karriereleiter. Im Vergleich zum Abzug aus Afghanistan müsse die Bundeswehr in Prizren weit weniger Soldaten, Fahrzeuge und Gerät bewegen, sagt Offermann. Außerdem werde fast alles per Lkw transportiert. Nur Waffen und Munition gingen per Flugzeug Richtung Heimat.
Was sie an jenen Tagen erlebten, war nicht nur ein freundlicher Empfang, sondern auch Chaos und Anarchie. Noch am Tag des Einmarschs begannen sich die Kosovo-Albaner an ihren serbischen Nachbarn für die jahrelange Unterdrückung und die Vertreibung durch die serbische Armee zu rächen. Häuser brannten, Serben wurden verjagt. Damit hatten die deutschen Soldaten nicht gerechnet. Feldjäger wurden zu Polizisten und Gefängniswärtern, die Kosovo-Albaner festnehmen und einsperren mussten. Soldaten setzten in der Altstadt von Prizren Gewalttätern nach, die gegen die Sperrstunde verstießen und in das serbische Stadtviertel eindringen wollten. Die Autobrücke über den Fluss Bistrica heißt im Volksmund noch heute "Fuchsbrücke", weil dort lange deutsche Fuchspanzer zur Abschreckung standen. Die Ruinen des Serbenviertels am Hang des Burgbergs sind zum Symbol für diese dunklen Stunden geworden.
Nur wenige Schritte vom Serbenviertel entfernt tobt das Leben. Scharen junger Menschen schlendern durch die Altstadt von Prizren oder sitzen in den zahlreichen Cafés. Die jungen Frauen tragen enge Röhrenjeans oder Miniröcke, offene Haare und Sonnenbrille, die jungen Männer einen Kurzhaarschnitt, Dreitagebart und T-Shirts von Nike oder Adidas. Sie sehen aus wie Jugendliche überall in Europa. Sie wirken ausgelassen und entspannt. Ein paar Meter von der Szenerie entfernt streift ein Touristenpaar durch den Garten der frisch sanierten serbisch-orthodoxe Kirche St. Georg. Das Tor zum Gotteshaus steht offen, kein Stacheldraht mehr wie früher, keine Kontrollen durch deutsche Soldaten. "Die Sicherheitslage hat sich normalisiert. Wir können mit gutem Gewissen reduzieren", sagt Oberstleutnant Offermann. Er betont, dass die Präsenz der Bundeswehr falls nötig schnell wieder vergrößert werden könnte. Im Kfor-Hauptquartier in Prishtina bleiben noch 70 deutsche Soldaten, vor allem um die kosovarischen Sicherheitskräfte zu beraten. Doch: "Die Probleme, die es im Kosovo noch gibt, können wir nicht militärisch lösen", sagt Offermann.
Jahrzehnten im Feldlager angesammelt.
Jetzt wird es in Container verladen und
per Lkw nach Deutschland gebracht.
(Foto: Christian Lettau)
Bild 2: Das deutsche Feldlager in Prizren.
Die letzten deutschen Soldaten werden das Camp
in wenigen Monaten verlassen. Dann soll daraus
ein Ausbildungs- und Innovationspark werden.
(Foto: Christian Lettau)
Bild 3: Das Camp war ein eigenes kleines Dorf
am Rand der Stadt Prizren.
In weißen Gebäuden wohnten die Soldaten.
(Foto: Christian Lettau)
Bild 4: Eric Offermann (vor der Galerie seiner Vorgänger)
ist der 50. und letzte Kommandeur des
deutschen Einsatzkontingents in Prizren.
(Foto: Christian Lettau)
Bild 5: Das Serbenviertel am Burgberg bestand
vor Kurzem noch aus Ruinen.
Heute sind viele Häuser wieder aufgebaut,
die Bewohner aber nicht zurückgekehrt.
In Prizren leben heute nur noch 25 Serben.
(Foto: Christian Lettau)
Bild 6: Junge Menschen und volle Cafés –
in der Altstadt von Prizren pulsiert es bis tief in die Nacht.
(Foto: Christian Lettau)