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Die Umwidmung des Feldlagers in einen Trainingspark ist auch so etwas wie die deutsche Antwort auf den Traum vieler junger Kosovaren. Sie wollen ihr Land verlassen und nach Deutschland auswandern. Ein Viertel seiner Abiturienten sei im vergangenen Jahr nach Deutschland gegangen, sagt Pater Axel Bödefeld, der das Loyola-Gymnasium in Prizren leitet. Das Gymnasium ist ein Schulprojekt der deutschen Jesuiten. Die Auswanderer, so Bödefeld, waren seine besten Schüler. Alle sprachen fließend Deutsch. Das macht die Abiturienten interessant für deutsche Firmen. Deren Vertreter reisen auf Bödefelds Einladung jährlich nach Prizren, um sich vorzustellen und um Ausbildungsverträge abzuschließen. Für die deutschen Firmen ist das attraktiv. Sie suchen händeringend Auszubildende. Und für die jungen Kosovaren ist das ein tolles Angebot, denn sie wissen, dass sie im eigenen Land weniger Chancen haben als in Deutschland. Nur für das Kosovo ist es schlecht.

Text von Julia Egleder
 
Das Land blutet aus. Das weiß auch Pater Bödefeld. Deshalb startet er nun bald sein neuestes Projekt – die Mechatroniker-Ausbildung im ehemaligen Feldlager. "Damit wollen wir den jungen Menschen signalisieren, dass sie hier eine Zukunft haben." Er wirbt jetzt bei einheimischen Firmen für sein Projekt. Sie sollen sich einen Abiturienten aussuchen und dessen dreijährige Ausbildung finanzieren. Im Gegenzug soll sich der Auszubildende verpflichten, nach der Ausbildung mindestens einige Jahre in seinem Ausbildungsbetrieb zu arbeiten – und damit im Kosovo zu bleiben.
 
Doch das Vertrauen der Kosovaren in die lokale Wirtschaft und das politische System in ihrem Land ist gering. Die meisten suchen ihr Glück im Ausland. Zu ihnen gehört Alba S. Sie hat in den vergangenen acht Jahren als Physiotherapeutin im Feldlager gearbeitet. Die deutschen Soldaten seien vor allem mit Rückenbeschwerden zu ihr gekommen, berichtet sie. Sie würden einfach zu viel vor dem Computer sitzen. Jetzt hat sie ein Jobangebot aus Aachen und wartet auf einen Termin bei der deutschen Botschaft in Pristina. "Ich habe die Hoffnung verloren, dass es in meinem Land besser wird", sagt sie. Korruption, keine Krankenversicherung, keine Zahlkraft der Patienten – das alles mache es ihr im Kosovo so gut wie unmöglich, Geld zu verdienen. "Dass ich mein Land verlassen muss, um weiterzukommen, macht mich sehr traurig", sagt sie in fast perfektem Deutsch. Ihre Großmutter und ältere Verwandte hätten allerdings andere Sorgen. "Sie befürchten, dass die Serben zurückkommen könnten, jetzt wo die deutschen Soldaten abziehen", berichtet Alba S. Sie selbst hält das für abwegig. "Die Welt hat sich verändert", sagt sie. Junge Leute hier könnten mit Hass und Nationalismus nichts mehr anfangen. "Wir wollen doch alle in die EU", sagt sie. "Wir wollen frei reisen und einen guten Job".
 
Einige Kilometer südlich von Prizren befindet sich in einem Tal der Bistrica das Erzengelkloster. Vor wenigen Jahren noch glich das Kloster einer Festung. Seine Mauern waren mit Stacheldraht bewehrt, vor dem Tor hatte die Bundeswehr einen Wachturm aufgebaut und Panzer aufgefahren. Heute verwittert der Holzwachturm ungenutzt im feuchten Schatten der umliegenden Berge. Statt einer Gruppe Soldaten gibt es noch einen Polizisten, der Wache schiebt. Im Klosterinnenhof sitzt Ratko Mujucic, ein Novize, und trinkt Tee mit einer jungen Frau. Das sei eine Bekannte aus Serbien, berichtet er, leger mit Jeans und Poloshirt bekleidet. Das Erzengelkloster sei ein offener Ort, jeder sei willkommen. Ein Gästehaus haben sie gebaut, jährlich pilgern hunderte Serben zu den heiligen Stätten im Kosovo. "Angst habe ich nicht", sagt Mijucic, der seit vier Jahren gemeinsam mit vier Mönchen und einem weiteren Novizen im Kloster lebt. "Gott wird uns beschützen".
 
Die Fahrt von Prizren nach Velika Hoca dauert anderthalb Stunden. Das Dorf ist eines von wenigen verbliebenen serbischen Dörfern im Zentralkosovo. Es liegt zwischen sanften Berghängen, an denen Wein wächst. Doch nur wenige Autofahrer biegen von der Hauptstraße zum Ort ab. Der Name des Dorfes auf dem Ortsschild ist mit schwarzer Farbe übermalt. In den Straßen von Velika Hoca sind nur wenige Menschen zu sehen. "Hier zu leben, fühlt sich an, wie lebendig begraben zu sein", sagt ein bärtiger Mann in Jogginghose, der die Blumen vor seinem Haus gießt. Er möchte eigentlich nicht reden, zu viele Journalisten seien schon hergekommen. Ob sie zu Serbien gehören wollten? Diese Frage sei ihm immer wieder gestellt worden. Er schüttelt den Kopf. "Wir haben genug von Politik. Politiker haben uns noch nie geholfen", sagt er resigniert.
 
Oberhalb des Dorfes hatte die Bundeswehr jahrelang einen Beobachtungsposten. Rund um die Uhr überwachten die Soldaten zum Schutz der serbischen Bewohner die Zugänge zum Ort. Gelegentlich mussten sie dabei Warnschüsse abgeben. Bis vor kurzem hat der Mann am Straßenrand Souvenirs an die Soldaten verkauft: Kirschschnaps in selbstgestalteten Flaschen oder geschnitzte Kfor-Abzeichen. Wenn er daran zurückdenkt, treten ihm Tränen in die Augen. Tolle Menschen seien die deutschen Soldaten gewesen, sagt er. Der Souvenirverkauf war seine einzige Einnahmequelle. Wie alle Serben im Dorf schlägt er sich jetzt mit Gelegenheitsjobs durch, die, wie er sagt, kaum zum Leben reichen.

Der Weg von Prizren nach Mitrovica führt über eine nagelneue Autobahn, die sich wie ein Band durch bergiges Land zieht. 130 km/h sind hier erlaubt. Es gibt aber auch Radfahrer oder Fußgänger, die den Seitenstreifen benutzen. In nur zwei Stunden ist Mitrovica erreicht. Vor dem Bau der Autobahn dauerte die Fahrt von Prizren aus fünf Stunden und mehr. Die Stadt Mitrovica hat traurige Berühmtheit erlangt. Sie ist seit dem Krieg geteilt in einen albanischen und einen serbischen Teil. Immer wieder kam es hier zu Gewalt, vor allem an der Austerlitz-Brücke über den Fluss Ibar, dem Symbol der ethnischen Teilung des Kosovo.
 
Heute ist es hier ruhig. Die Stahlbögen der Brücke blitzen in der Sonne. Auch dieses Bauwerk wurde, wie so vieles im Kosovo, mit EU-Geld renoviert. Bänke laden zum Verweilen ein. Doch nur wenige Einwohner nutzen diese Möglichkeit. "Wer nicht unbedingt rüber muss, der bleibt im eigenen Stadtteil", sagt Tamara Partaljevic. Sie arbeitet im Jugendzentrum, das sich am albanischen Ufer des Ibar befindet. Die Einrichtung wird von der deutschen Diakonie betrieben und steht allen Jugendlichen offen. Doch serbische Jugendliche kommen selten. "Die Mauern in den Köpfen sind noch da", sagt Partaljevic.
 
Es gibt sie auch in der Realität. Eine Blechwand versperrt auf der serbischen Seite von Mitrovica den Weg zwischen Brücke und Promenade. An dieser Stelle wollten Nationalisten vor kurzem eine Mauer aus Stein bauen – um sich symbolisch gegen den Süden abzugrenzen. Die EU intervenierte, die Blechwand blieb trotzdem. Dahinter hängen serbische Nationalfahnen in den Straßen. In den Bars wird serbisches Bier ausgeschenkt, bezahlt wird mit serbischen Dinar. Nord-Mitrovica gehört zu Kosovo, doch die Menschen fühlen sich als Teil Serbiens.
 
Auf dem Weg zur serbischen Grenze fallen vor allem die Unterschiede zum albanisch bewohnten Teil Kosovos auf: Die Straßengräben sind sauberer, weniger Bausünden verschandeln die Landschaft. In diesem Gebiet hat es vor sechs Jahren massive Unruhen gegeben. Einwohner blockierten die Straßen. Sie protestierten dagegen, dass kosovarische Grenzpolizisten den Warenverkehr aus Serbien kontrollieren wollten. Die Bundeswehr musste hunderte Soldaten schicken, um die Lage in den Griff zu bekommen. Kugeln flogen, serbische Heckenschützen schossen auf deutsche Soldaten. Von dem provisorisch errichteten deutschen Feldlager auf einem Plateau gegenüber dem Grenzübergang "Jarinje" ist heute nichts mehr zu sehen. Wo einst Unterkunftszelte, Dixi-Klos und Behelfsduschen standen, befindet sich wieder eine Wiese.
   
Auch in Leshak erinnert nichts mehr an die Bundeswehr. Das Dorf befand sich in direkter Nachbarschaft zum Feldlager. Grauer Putz bedeckt die Häuser, Wäsche trocknet, auf Leinen gespannt, in den Gärten. "Es waren so viele Soldaten da. Sie brachten nichts Gutes, aber auch nichts Schlechtes", sagt eine Kioskverkäuferin an der Hauptstraße. Auch ein Mann, der vor seinem Haus den Gehsteig kehrt, zuckt, auf die Deutschen angesprochen, die Achseln. Ja, sie seien hier vorbeigegangen und hätten freundlich gegrüßt, sagt er. Was er sich für seine Zukunft wünscht?  Er lacht höhnisch. "Wir erwarten nichts mehr", sagt er verbittert. Zu viele seien mit Heilsversprechen aus Serbien gekommen, doch nichts habe sich verändert. Er habe 40 Jahre lang in den Minen von Trepca gearbeitet. Jetzt bekomme er 150 Euro Rente im Monat. "Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel."

Was also tun? Sollten die Gebiete nördlich des Ibar vielleicht wieder zu Serbien gehören? "Um Gottes Willen", sagt Vater Sava vom serbisch-orthodoxen Kloster in Decani. Das Kloster liegt idyllisch in einem Tal bei Peja, umgeben von saftig-grünen Wiesen und albanischen Bewohnern. Das Kloster gehört zu den ältesten auf dem ganzen Balkan. Seit 20 Jahren wird es von italienischen Soldaten beschützt. Die Zufahrtsstraße ist mit Schikanen aus Beton gespickt, vor dem Tor steht ein Wachturm.

Vater Sava, der Abt des Klosters, hat die Geschicke des Klosters durch die Wirren der vergangenen Jahre gelenkt. Doch selten war er so beunruhigt wie heute. "Wenn Grenzen verrückt werden, läuft das nie gewaltlos ab", sagt er. "Ich habe Angst, dass wir von hier vertrieben werden." Ursache seiner Befürchtungen ist ein Vorschlag der Präsidenten Kosovos und Serbiens. Sie wollen einen Gebietstausch. Das von Albanern besiedelte Presevo-Tal in Serbien soll an Kosovo gehen, während der Norden Kosovos Serbien zugeschlagen werden soll. Damit entstünden monoethnische Gebiete. Sein Kloster, so fürchtet Vater Sava, würde dieser Lösung zum Opfer fallen. Die Gespräche über den Gebietstausch sind allerdings vorerst gescheitert.
 
20 Jahre nach dem Einmarsch der Bundeswehr ist das Kosovo für die meisten Bewohner ein sicheres, friedliches Land. Seine Unabhängigkeit von Serbien wird von 111 Staaten – darunter Deutschland – anerkannt. Aber die Befriedung hatte einen hohen Preis. Gebiete, in denen Serben und Albaner wie vor dem Krieg zusammenleben, gibt es kaum mehr. Doch beide Volksgruppen eint die hohe Arbeitslosigkeit, die Perspektivlosigkeit – und die Hoffnung auf die Mitgliedschaft in der EU. Die Soldaten aber spielen im Leben der meisten Menschen keine Rolle mehr. Was bleibt, ist große Dankbarkeit. Alba S., die Physiotherapeutin aus dem Feldlager Prizren, sagt, die Kosovaren seien den Deutschen sehr verpflichtet. Und doch wird sie fortgehen. Nach Deutschland.

zu Teil 1 des Artikels

 

Bild 1: Symbol der Abgrenzung: Serben haben
im Nordteil der Stadt Mitrovica einen Blechzaun aufgestellt,
um sich vom albanisch bewohnten Teil abzukapseln.
(Foto: Christian Lettau)

Bild 2: Die Kosovo-Albanerin Alba S. war
Physiotherapeutin im deutschen Feldlager.
Jetzt möchte sie nach Deutschland auswandern,
um dort zu arbeiten.
(Foto: Christian Lettau)

Bild 3: Ein hölzerner Wachturm vor dem Erzengelkloster
nahe Prizren erinnert an vergangene Zeiten.
(Foto: Christian Lettau)

Bild 4: Ratko Mijucic ist Novize im Erzengelkloster nahe Prizren.
Angst vor den albanischen Nachbarn hat er nicht,
obwohl ein albanischer Lynchmob das Kloster im Jahr 2004 zerstört hatte.
Damals wurden die Mönche in letzter Minute
von deutschen Soldaten in Sicherheit gebracht.
(Foto: Christian Lettau)

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