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Aus der aktuellen Loyal: „Gefangen in einem Käfig“




Traumatisierungen unter Soldaten: Der Psychotherapeut und ehemalige Bundeswehrpsychologe Dr. Norbert Kröger sprach mit "Loyal"-Chefredakteur Marco Seliger über die Ursachen der Posttraumatischen Belastungsstörung unter Kriegsheimkehrern.

Herr Dr. Kröger, Sie haben viele Jahre im Bundeswehrkrankenhaus Berlin gearbeitet, sind jetzt pensioniert und selbstständiger Psychologe. Behandeln Sie immer noch Bundeswehrsoldaten?
Vereinzelt. Schwerpunkt sind im Moment aber Menschen von Berufsgenossenschaften, Überfall- und Kriminalitätsopfer. Ich arbeite intensiv mit der Opferhilfe Weißer Ring und der Polizei zusammen. Polizisten benötigen meine Hilfe, nachdem sie ihre Schusswaffe einsetzen mussten.

Gibt es Parallelen bei den Erkrankungsbildern von Soldaten und zivilen Gewaltopfern?
Im Prinzip sind die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die nach einem erlebten extremen Ereignis auftreten können, bei allen Patienten ähnlich: Albträume, Flashbacks, Rückzug in die Einsamkeit, Vermeidung aller Handlungen, die Gedanken an das Erlebte hervorrufen könnten. Dazu kommt die permanente Anspannung, die Antennen sind ständig ausgefahren. Nehmen wir den Soldaten, der eine Bombenexplosion erlebt hat: Der geht zu Hause durch die Straßen, hört den Knall eines Autoauspuffs und wirft sich hinter einen Mauervorsprung. In seinem Gehirn schreit alles nach Deckung, Schutz suchen, weil es sofort das Verhaltensmuster im Fall einer Bombenexplosion abruft.

Was sind Traumata?
Schlimme, ungewöhnliche Situationen: ein Messer am Hals, ein Raubüberfall, ein Talibanangriff, der Tod eines Kameraden. Es ist ganz natürlich, wenn Menschen unmittelbar darauf mit körperlichen und psychischen Symptomen wie Albträumen reagieren, wenn sie mehr Alkohol als sonst trinken, wenn sie stark rauchen, stark aggressiv sind.

Aber sind Albträume nicht schrecklich?
Träume sind eine Informationsschnellkompostieranlage. Das Erlebte wird auf diese Weise verarbeitet. Bei den meisten Menschen normalisiert sich der Zustand in der Regel nach vier bis sechs Wochen wieder.

Und was ist eine Traumafolgestörung?
Das ist die sogenannte PTBS. Wenn die Symptome nach sechs Wochen oder später nach einem halben Jahr immer noch auftreten, dann handelt es sich um diese Erkrankung. Als Ursache nimmt man an, dass frühere Erlebnisse nicht verarbeitet wurden. Das kann schon Jahre lang in einem Menschen schlummern und wird durch einen Trigger, etwa einen Bombenanschlag, reaktiviert. Ich habe einen Patienten behandelt, den der Verlust eines Elternteils im Alter von fünf Jahren traumatisiert hat. Er hat sein Verlustgefühl unbewusst über Jahre eingefroren. Als er 38 Jahre alt war, brach die Traumatisierung offen aus. Er wurde krank.

Können bei Menschen noch im hohen Alter Traumasymptome auftreten?
Das wissen wir von der Weltkriegsgeneration. Sie musste nach dem Krieg funktionieren, für ihre Erlebnisse und Traumatisierungen hat sich kaum jemand interessiert. Keiner hat ihnen geholfen. Kriegsbedingte Erkrankungen der Seele wurden ja erst Mitte der achtziger Jahre wissenschaftlich untersucht und anerkannt. Jeder kennt in seiner Familie jemanden aus der Kriegsgeneration, der hart, manchmal aggressiv zu seinen Mitmenschen oder verschlossen, unnahbar war, der viel Alkohol getrunken, der Kette geraucht hat. Man hat sich gewundert, man hat ihn geschnitten, man hat ihn auch gehasst. Die Menschen dieser Generation haben ihre Gefühle eingefroren, sie konnten über ihre Erlebnisse an der Front oder ihre Vergewaltigung durch fremde Soldaten nicht reden. Es ging immer nur darum, zu funktionieren, um zu überleben.

Und plötzlich bricht das alles aus ihnen heraus, wenn sie ihr Leben gelebt haben.
Richtig. Sie glauben nicht, welche Dramen sich in diesem Zusammenhang in deutschen Altersheimen abspielen. Da sind viele Menschen, deren traumatische Erlebnisse aus der Jugendzeit so kurz vor ihrem Tod hochgespült werden.

Muss man damit nun auch im Zusammenhang mit dem Afghanistankrieg rechnen?
Ja, mit Sicherheit. Das wird ein Dauerthema sein, wenn wir die Soldaten nicht adäquat behandeln.

Gibt es eigentlich die eine Behandlungsmethode, die allen Erkrankten hilft?
Wir stehen noch ganz am Anfang der Behandlungsgeschichte bei PTBS. Es gibt verschiedene Behandlungsmethoden, die bei dem einen besser, bei dem anderen schlechter wirken, auch abhängig von den Fähigkeiten des Therapeuten. Die reine Psychotraumatherapie kann bei einem PTBS-Erkrankten innerhalb von fünf bis zehn Sitzungen abgeschlossen werden, wenn es sich nicht um eine Chronifizierung handelt. Manche Soldaten aber schleppen sich von einem Psychotherapeuten zum nächsten und erfahren keine wirkliche Linderung. Es ist schwierig, einen Therapeuten zu finden, der etwas von Militär und Krieg versteht, der vielleicht selber Einsatzerfahrung hat und der Soldaten nicht ablehnt.

Es gibt Psychotherapeuten, die es ablehnen, Soldaten zu behandeln?
Ja, die gibt es. Vor einiger Zeit hat eine Interessenvereinigung von mehr als 200 Ärzten und Psychotherapeuten dazu aufgerufen, keine Kriegsveteranen zu behandeln. Sie machen dafür pazifistische Gründe geltend und versteigen sich auf die Behauptung, die Soldaten seien freiwillig in Afghanistan gewesen, sie seien selbst schuld, wenn es ihnen heute dreckig geht.

Ist es nicht die Pflicht von Ärzten und Psychotherapeuten, jeden Menschen zu behandeln?
Die Kollegen berufen sich auf einen Aufruf des Verteidigungsministeriums, Therapieplätze zur Verfügung zu stellen, der mit der Bedingung verbunden war, den Aufgaben der Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen nicht ablehnend gegenüberzustehen. Das lehnen diese Ärzte und Psychotherapeuten ab, genauso wie sie einer Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan negativ gegenüberstehen. Sie sagen, man könne eine Therapie nicht ohne kritisches Hinterfragen des politisch-militärischen Kontextes betreiben.

Und, stimmt das?
Ich sagte ja bereits: Es gibt unterschiedliche Methoden und Behandlungsansätze. Aber ob eine Psychotherapie unbedingt gleich zum Streitgespräch über den Sinn des Afghanistankriegs werden muss, bezweifele ich doch sehr. Der Kranke sollte im Mittelpunkt stehen.

Woran kann man erkennen, dass sich jemand mit eingefrorenen Gefühlen plagt?
Er hat nicht mehr seine frühere Herzlichkeit, zieht sich immer stärker zurück, reagiert oft unwirsch, wirkt nervös und geistig abwesend, ist oft leicht erregbar, teilweise aggressiv, hat oft Beziehungsstörungen. Er hat alles aus seinem früheren Leben vergraben, was soweit gehen kann, dass er mit seiner Partnerin auch keinen Sex mehr will.

Warum macht er das?
Weil er darauf ausgerichtet ist, alles zu vermeiden, was zu einem Erinnern an die schlimmen Erlebnisse führen könnte. Er sieht zum Beispiel jemanden, der fremdländisch ausschaut und sofort kehrt die Erinnerung an Afghanistan zurück. Also bleibt er lieber zu Hause, distanziert sich auch vom Partner, kapselt sich von seiner Umgebung ab. Andere treiben bis zum Exzess Sport, wiederum andere nehmen Drogen und trinken zu viel Alkohol. Das alles dient nur dem Vergessen, der Verdrängung, nicht der Aufarbeitung der Erlebnisse.

Eine derartige Veränderung von Menschen führt oft zu Trennungen. Was wird dadurch verursacht?
Die Gefahr einer Chronifizierung wird immer größer. Dann ist der Soldat kaum mehr heilbar. Er stellt fest, dass er mit seiner Umgebung nicht mehr zurechtkommt, und dass seine Umgebung nicht mehr mit ihm zurechtkommt. Er verzweifelt immer mehr, weiß aber nicht, woran es liegt. Diese Leute fühlen sich wie in einem Käfig.

Was können Sie und Ihre Kollegen da machen?
Psychotraumatherapie muss versuchen, an die Wurzeln der Probleme zu kommen.

Wo liegen diese Wurzeln?
Meist in der Kindheit oder Jugend. Ein Beispiel: Wer in Geborgenheit aufgewachsen ist und Selbstvertrauen entwickelt hat, ist weniger anfällig für psychische Erkrankungen. Wenn die Eltern jedoch kaum Zeit für ein Kind hatten, dann kann diese emotionale Vernachlässigung häufig krankeitsverursachend sein.

Das heißt, der eine wird krank und der andere nicht, obwohl sie beide dasselbe erlebt haben?
Richtig. Und ob sich die Traumatisierung tatsächlich zur Krankheit auswächst, hängt neben der persönlichen Vorgeschichte noch von weiteren Aspekten ab. Wichtig ist etwa, wie das Umfeld reagiert.

Dazu zählt bei Soldaten die Bundeswehr. Was bewirkt die häufig lange Bearbeitungsdauer von Wehrdienstbeschädigungsanträgen (WDB) durch die Ämter bei betroffenen Soldaten?
Das ist ein schwieriges Feld und kann eine Chronifizierung vorantreiben, besonders auch, wenn sich keine Therapieerfolge einstellen, der Soldat also in einer Behandlungsodyssee steckt. Zum einen verschafft dann eine anerkannte WDB dem Soldaten eine gewisse finanzielle Sicherheit. Zum anderen besteht aber die Gefahr, dass sie von der Hauptaufgabe, der Gesundung, ablenkt.

Wie meinen Sie das?
Posttraumatische Belastungsstörungen vor allem im Anfangsstadium sind behandelbar. Das heißt, der Mensch hat gute Aussichten, wieder gesund zu werden. Aber dabei muss er mithelfen, das kann der Arzt und Psychotherapeut nicht allein. Wenn sie aber durch die Anerkennung einer Krankheit monatlich Geld bekommen, ohne dafür groß etwas tun zu müssen, sinkt die Motivation bei einigen, sich in der Therapie voll reinzuhängen, besonders, wenn sich keine Therapieerfolge einstellen. Doch Geld lindert nicht das Leid. Ich denke, darüber muss in der Bundeswehr unbedingt diskutiert werden. Das Hauptaugenmerk sollte nicht der WDB gelten, sondern der speziellen Traumatherapie und der Gesundung.

Herr Dr. Kröger, vielen Dank für das Gespräch.
 

Das Gespräch führte Marco Seliger.

Zur Person:
Dr. Norbert Kröger war lange Jahre leitender Psychologe am Bundeswehrkrankenhaus Berlin, baute dort mit die Psychotherapie und Psychotraumatologie auf. Als Truppenpsychologe im Auslandseinsatz gewann er Erfahrungen auf dem Balkan. Heute betreibt er eine psychotraumatologische Praxis für Gewalt- und Kriminalitätsopfer in Berlin.

 

Bild oben: Bundeswehr, Rennenkampff, Thierer / Montage: Ralf Wittern
Bild unten: Loyal, Dr. Norbert Kröger

 
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