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Ersan, Konstantin, Alexander und Marcelino dienen Deutschland. Sie haben ausländische Wurzeln und sind dennoch bereit, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes mit ihrem Leben zu verteidigen. Sie tun der Bundeswehr gut, mehr noch: Migranten wie sie sind die Zukunft der deutschen Streitkräfte.

Von Andelka Krizanovic

Deutsche mit Migrationshintergrund dienen in der Bundeswehr, machen dort Karriere und sind sogar bereit, im Einsatz für die Bundesrepublik zu sterben. Wie zum Beispiel die Russlanddeutschen Sergej Motz und Roman Schmidt, die in Afghanistan ihr Leben ließen. Einige schaffen es bis in den Generalstab der Bundeswehr, zum Beispiel Dr. Ferdi Akaltin, ein Oberst beim Kommando Heer. Ist die Bundeswehr ausländerfeindlich? Ein Hort rechtsradikaler Spinner, wie ein häufig gehörtes Vorurteil lautet? Wohl kaum.

Wie hoch der Migrantenanteil in der Truppe tatsächlich ausfällt, ist unbekannt. Das liegt daran, dass die Bundeswehr die ethnische Herkunft ihrer Bewerber bisher nicht erfasst. Einer Studie des früheren Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zufolge hatten 2009 zwölf Prozent aller Soldaten in Deutschland ausländische Wurzeln. Ein Spiegelbild der Gesellschaft ist das noch nicht: Menschen mit Migrationshintergrund machen inzwischen ein Fünftel der deutschen Gesamtbevölkerung aus.

Doch gefühlt wird die Truppe schon jetzt immer multiethnischer. Die hier porträtierten Soldaten berichten von immer mehr Kameraden mit ausländischen Wurzeln. "Wir sind nicht wenige", sagt Hauptmann Marcelino Granath. Granath ist Berliner und seine Mutter Deutsche. Sein Vater stammt aus Mosambik. Laut Definition des Statistischen Bundesamts hat Granath damit einen Migrationshintergrund. Auch Bürger mit deutschem Pass, die in Deutschland geboren sind, gelten als "Personen mit Migrationshintergrund", wenn mindestens ein Elternteil zugewandert ist.

Doch wer dienen will, braucht die deutsche Staatsbürgerschaft. Und die haben fast sieben Millionen Migranten in Deutschland nicht. In Zeiten des Personalmangels in einigen Bereichen der Bundeswehr ist das ein riesiges brachliegendes Potenzial. Wolfgang Hellmich, Verteidigungsexperte der SPD, möchte das ändern. Er lässt prüfen, ob wenigstens EU-Ausländern der Zugang zur Bundeswehr erlaubt werden kann. Neuankömmlinge aus Spanien, Griechenland, Italien oder anderen EU-Staaten machen mehr als 60 Prozent der Einwanderer in Deutschland aus.

Es ist ein einfaches Rechenspiel: Laut Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen müssten künftig jährlich 60.000 Bewerbungen eingehen, um den Personalbedarf zu decken. Das sind knapp zehn Prozent eines Jahrgangs. Aktuell haben in Deutschland mehr als ein Viertel aller Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren einen Migrationshintergrund. Wer nach Deutschland kommt, ist jung, vor allem aber jünger als der deutsche Durchschnittsbürger. Es wäre unverständlich und fahrlässig, würde die Bundeswehr aus diesem großen Potenzial nicht auch und verstärkt ihr Personal rekrutieren.

Was sie dazu bisher tut, ist jedoch wenig. Seit einigen Jahren gilt in der EU die Arbeitnehmerfreizügigkeitsregelung. EU-Bürger dürfen ihren Arbeitsplatz frei wählen – und könnten damit auch Soldat in der Bundeswehr werden. Doch in Deutschland ist diese Regelung, anders als beispielsweise im Nachbarland Belgien, bisher nicht umgesetzt worden. Außerdem gibt es keine auf Migranten zugeschnittene Attraktivitätsoffensive. Allenfalls wird Personal mit ausländischen Wurzeln in Broschüren und auf Karriereportalen dargestellt. Gegenwärtig schildert auf dem Portal www.bundeswehr-karriere.de der Hauptgefreite Sohaib El Jarraz, ein Deutschmarokkaner, seinen Werdegang bei der Truppe. Er diene Deutschland, weil "Deutschland mein Zuhause ist". Seinen marokkanischen Hintergrund thematisiert er dabei nicht.

Die Bundeswehr ist sich noch unschlüssig, wie sie bei der Nachwuchsrekrutierung mit dem "Migrationshintergrund" von Interessenten umgehen soll. Auf der einen Seite schreibt sie sich Multikulturalität auf die Fahnen und hat im März 2012  die "Charta der Vielfalt" unterzeichnet. Darin verpflichtet sie sich, die vielfältigen Fähigkeiten und Talente ihrer Mitarbeiter zu fördern. Auch bemerkt sie langsam, welche Vorteile Soldaten mit Migrationshintergrund besonders in Auslandseinsätzen mitbringen. Oberstabsgefreiter Ersan Rastgeldi zum Beispiel, einer der vier weiter unten porträtierten Soldaten, fiel es als Deutschtürken und Muslim in seinem Afghanistaneinsatz leichter, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen als seinen Kameraden.

Auf der anderen Seite verzichtet die Bundeswehr darauf, Herkunft und Religionszugehörigkeit ihrer Soldaten systematisch zu erfassen oder gar strategisch zu nutzen. "Es kommt auf die Selbsteinschätzung jedes Einzelnen an, inwieweit er oder sie Religion oder Herkunft nach außen tragen und im Einsatz einbringen möchte", sagt Hartmut Stiffel von der Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz am Zentrum Innere Führung (ZKIK). Zudem: Soldaten werden nach Leistung, Eignung und Befähigung eingestellt, nicht nach Migrationshintergrund.

Sind die Rekruten mit ausländischen Wurzeln aber erst einmal bei der Bundeswehr, treffen sie meist auf gut vorbereitete Vorgesetzte. Das Zentrum Innere Führung in Koblenz hat vor einigen Jahren zwei Arbeitspapiere herausgegeben, die militärischem Führungspersonal helfen sollen, auf Soldaten jüdischen und muslimischen Glaubens einzugehen. Darin finden sich Abhandlungen zur Religionsgeschichte und einige Grundbegriffe des Islams und des Judentums. Grundsätzlich dürfen Muslime bei der Bundeswehr im Ramadan fasten, auf die Gebetszeiten sollen Vorgesetzte so gut wie möglich im Dienst Rücksicht nehmen. Seit kurzem bietet das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg eine Gebetsbox für muslimische Patienten mit Gebetskette, Gebetsteppich und dem Koran in drei Sprachen an. Kopftuch tragen dürfen Musliminnen bei der Bundeswehr aber nicht. Das widerspräche der Anzugsordnung.

Die Bundeswehr schult nicht nur ihre Vorgesetzten in interkultureller Kompetenz. Jeder Soldat soll mindestens einmal in seiner Dienstzeit einen Kurs bei der Zentralen Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz (ZKIK) besuchen. Darin wird den Soldaten vermittelt, wie sie mit der wachsenden kulturellen und religiösen Vielfalt in der Bundeswehr umgehen sollen. Diese Kurse sind notwendig. Denn auch in der Bundeswehr gibt es Extremismus und Fremdenfeindlichkeit. Im jüngsten Jahresbericht des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus (FDP) sind 63 Vorkommnisse für das Jahr 2014 gelistet – fünf mehr als im Jahr davor. So spielten Soldaten Musik rechtsradikaler Bands ab, andere zeigten den Hitlergruß. Rassistisch motivierte körperliche Übergriffe wurden Königshaus aber nicht angezeigt. Er sieht hier vor allem die Vorgesetzten in der Pflicht: "Sie sollen erkennen, ob es sich bei Ausfällen wirklich um eine rechtsradikale Grundhaltung oder um Dummheit und Angeberei handelt." Die Bundeswehr ahndet Vergehen mit rechtsradikalem Hintergrund streng. Die Strafen reichen bis zur Entlassung.

Die Jugend in Deutschland wird bunter. Ein Drittel der Fünf- bis Zehnjährigen hat heute ausländische Wurzeln. In 15 bis 20 Jahren werden sie einen Großteil des Rekrutierungspotenzials der Bundeswehr darstellen. Im vergangenen Monat hat das Verteidigungsministerium damit begonnen, Mitarbeiter nach ihrer ethnischen Herkunft zu befragen. Vier dieser Mitarbeiter, besser: Soldaten, stellen wir vor. Ersan Rastgeldi, Konstantin Schiroteko, Alexander Detzel und Marcelino Granath dienen Deutschland.

Alexander Detzel
Als Kind hat Oberfeldwebel Alexander Detzel einmal erlebt, wie die Integration von Migranten funktionieren kann. Der Bürgermeister von Baumholder hatte die Familie Detzel und alle anderen zugezogenen Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion eingeladen, beim Stadtfest einen eigenen Stand mit traditionellem Essen zu betreiben. "Das war toll", erinnert sich Detzel. Die einheimische Bevölkerung war vom fremdländischen Essen begeistert und die Detzels kamen mit ihren neuen Mitbürgern ins Gespräch. "Das hat meinen Eltern das Gefühl gegeben, endlich angekommen zu sein." Integration funktioniere nur, wenn beide Seiten aufeinander zugehen, sagt er.

Alexander Detzel ist kaum ein Jahr alt, als seine Eltern im August 1990 für immer die Koffer packen und mit den Kindern aus Kasachstan nach Deutschland ziehen. Die Detzels sind Wolgadeutsche und stolz auf ihre Identität. Die Großeltern bestehen darauf, dass zu Hause Deutsch gesprochen wird. "Das war für meine Familie in einem russischsprachigen Umfeld nicht von Vorteil", erinnert sich Detzel.

Der erste Wohnsitz in der "neuen" deutschen Heimat war eine Sammelunterkunft für Aussiedler im niedersächsischen Bergen, dann ein Lager im rheinland-pfälzischen Baumholder. Die Eltern müssen einen Deutschkurs belegen, obwohl sie Muttersprachler sind. Die Familie zieht oft um, für die Eltern ist es schwierig, Arbeit zu finden. Detzel erinnert sich an den strengen Erziehungston daheim, nimmt ihn seinen Eltern aber nicht übel: "Uns Kinder mussten sie in dem ganzen Trubel auch noch erziehen." Die Familie lässt sich schließlich in Birkenfeld nieder. Alexander wächst zweisprachig auf, spricht neben Deutsch auch Russisch.

Zur Bundeswehr kommt der heute 25-Jährige, als er bereits berufstätig ist. Als er den ersten Musterungsbescheid erhält, geht er noch zur Schule, beim zweiten befindet er sich in der Berufsausbildung. Der dritte kommt zur richtigen Zeit. Detzel will sich beruflich umorientieren, was seinem Chef nicht gefällt. Doch der IT-Systemelektroniker lässt sich mustern und wird nach dem Wegfall der Wehrpflicht im Frühjahr 2011 einer der ersten Rekruten im Freiwilligen Wehrdienst. Es ist ein Bund, der beiden nützt: Die Bundeswehr braucht Leute wie ihn, er wiederum findet in der Bundeswehr die berufliche Sicherheit, die er sucht. "Als Zeitsoldat weiß ich, dass ich zwölf Jahre lang einen festen Job habe."

Heute ist Alexander Detzel IT-Systemelektroniker beim Führungsunterstützungsbataillon 282 in Kastellaun. Er macht seinen Weg im Militär, hat zugleich aber auch schon seine Zukunft und vor allem seine beruflichen Aussichten im zivilen Leben nach dem Wehrdienst im Blick. Darin unterscheidet er sich nicht einen Deut von seinen deutschen Kameraden. Die Bundeswehr bietet ihm die Möglichkeit, seinen Meister zu machen. Und diese Möglichkeit will er nutzen.

Beim "Bund" entwickelt Detzel einen Ehrgeiz, den er in der Schule habe missen lassen, wie er zugibt. Früher habe ihm eine solide Drei gereicht, sagt er. "Jetzt strenge ich mich für eine Eins vor dem Komma an." In seinem Freundeskreis sei er für seinen beruflichen Neuanfang bei der Bundeswehr belächelt worden. Seine Eltern hingegen unterstützen ihn bis heute. Sein Vater hatte in der Sowjetarmee gedient, sein älterer Bruder den Grundwehrdienst geleistet und dabei Ordnung gelernt. Das sei vor allem bei seiner Mutter gut angekommen, sagt Detzel und grinst. Auch er weiß jetzt, was Ordnung ist.

Dass er Aussiedler aus Kasachstan ist, habe bei der Bundeswehr nie eine Rolle gespielt. Er werde nicht schlechter und nicht besser als seine Kameraden behandelt. "Die Herkunft der Soldaten interessiert bei der Bundeswehr niemanden. Auch mich nicht", sagt Detzel. Man habe zwanzig Mann links und rechts neben sich, die alle durch den Dreck kriechen müssen. Danach sind alle gleich müde und schmutzig, das verbinde. Der 25-Jährige hat in der Bundeswehr Freunde fürs Leben gefunden – jenseits aller kultureller Unterschiede. Das war auch früher schon so in der Bundeswehr. Die Armee ist ein Schmelztiegel – ob mit oder ohne Migrationshintergrund.

Seitdem Alexander Detzel vor vier Jahren eingestellt worden ist, hat sich in der Bundeswehr einiges verändert. Sie sei offener für Neues geworden, sagt er. Für Soldaten, die aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch essen, gibt es in der Kantine jetzt immer Fisch oder Geflügel. Bei Kameradschaftsabenden bringen Soldaten mit ausländischen Wurzeln auch mal Spiele aus ihrem eigenen Kulturkreis mit. Dennoch erlebe er auch "Grüppchenbildung", sagt Detzel. So hätten sich auf manchen Lehrgängen einige seiner russlanddeutschen Kameraden abgeschottet und nur Russisch untereinander gesprochen, auch dann, wenn Soldaten dabei waren, die kein Russisch verstanden. "Das führt nur zu Missverständnissen und schließt Kameraden aus", kritisiert er. Deshalb spricht er im Dienst kein Russisch. "Es sei denn, ich werde in der Ausbildung als russischsprachiger Statist gebraucht." Dann, und nur dann, spielt Alexander Detzel einen Fremden. In Deutschland aber ist er längst heimisch geworden.

Ersan Rastgeldi
Ersan Rastgeldi wird in Südostanatolien geboren. Als er 1994 nach Deutschland kommt, ist er acht Jahre alt. "Ich galt als Familiennachzug", sagt er. Im tadellosen Deutsch des Oberstabsgefreiten schwingt eine Spur Hessisch mit. Bei seiner Ankunft in Wiesbaden war ihm seine neue Heimat aber fremd, die Umgebung ungewohnt, die Sprache anders. Seine Integrationsgeschichte, das "Zurechtfinden", wie er es nennt, nimmt ihren Lauf. In seiner Berufsfachschulklasse ist Rastgeldi einer der wenigen Schüler mit ausländischen Wurzeln. "Das war gut", sagt er. Er hat deutsche Freunde und Mitschüler. Sein Deutsch wird immer besser.

Schon in seiner Jugend liebäugelt Rastgeldi mit einer Karriere beim Militär. Der Deutschtürke kann sich entscheiden, ob er in Deutschland oder in der Türkei dienen will. Rastgeldi informiert sich über die Bundeswehr, spricht mit Freunden und Verwandten, die in der Türkei gedient haben. Im Vergleich zeigt sich: Die  Bundeswehr kommt viel besser weg, hier herrscht ein professionellerer und offenerer Umgangston als in der türkischen Armee.

Rastgeldi entscheidet sich für die Bundeswehr. Die gute Aus- und Weiterbildung beim Bund und "dass die Soldaten in Deutschland mehr Rechte als die Soldaten in der Türkei haben", geben den Ausschlag. Für junge Deutschtürken werde die Bundeswehr immer attraktiver, sagt Rastgeldi. "In meinem Bekanntenkreis sehe ich immer mehr türkischstämmige Bundeswehrsoldaten." Die Eltern unterstützen die Entscheidung ihres Sohnes von Anfang an. Er hat damit sogar bei seiner kleinen Schwester Eindruck gemacht. Nach ihrem Abitur will sie eine Offizierslaufbahn einschlagen. Der familiäre Zuspruch für eine Karriere bei der Bundeswehr habe viel mit seinen türkischen Wurzeln zu tun, sagt Rastgeldi. "In der Türkei wird das Militär geachtet."

Die Grundausbildung absolviert Rastgeldi beim Jägerregiment 1 in Schwarzenborn. Mit dieser Einheit wird er im Herbst 2009 nach Afghanistan geschickt und gehört sechs Monate lang der damaligen Quick-Reaction-Force (QRF) an, die an den Konfliktherden in Nordafghanistan kämpft. So wird seine Einheit etwa in der Provinz Baghlan gegen Taliban und andere Aufständische eingesetzt. Es handelt sich um einen Kampfeinsatz, der als Operation "Taohid" bekannt wird. Rastgeldi erhält anschließend die Gefechtsmedaille, womit ihn die Bundesrepublik Deutschland dafür ehrt, dass er unter Einsatz seines Lebens "aktiv an Gefechtshandlungen teilgenommen" hat. Als der Sohn unversehrt nach Deutschland zurückkehrt, sind die Eltern "heilfroh".

In Afghanistan merkt Rastgeldi, dass er als muslimischer Bundeswehrsoldat von der afghanischen Bevölkerung anders wahrgenommen wird als seine nicht-muslimischen Kameraden. "Wenn ich Dorfälteste mit 'Selam Aleyküm' begrüßt habe", erinnert er sich, "waren sie zuerst erstaunt. Meine Aussprache war ihnen nicht fremd, also wurde ich auch nicht als Fremder wahrgenommen." Sie seien daraufhin eher als sonst bereit gewesen zu helfen oder eine Auskunft zu geben. Seine muslimische Erziehung und Prägung hätten ihm geholfen, die Menschen in Afghanistan und ihre Kultur besser zu verstehen. "Ich hatte weniger Einsatzstress als einige meiner Kameraden, die hinter jedem Fremden mit Bart eine Gefahr gesehen haben", sagt er. 

In der Bundeswehr hat Rastgeldi wegen seiner Religion und seiner Herkunft nie ein Problem gehabt. "So etwas wie strukturellen Rassismus, also dass einem Vorteile oder eine gute Ausbildung verwehrt bleiben, weil man Migrant ist, gibt es hier nicht", sagt er. Rassismus sei eher ein Problem in der Gesellschaft – und damit meint Rastgeldi den Alltag außerhalb der Bundeswehr. Allein das Wort "Migrationshintergrund" sei für ihn problematisch, weil es viel zu allgemein gefasst sei: "Darunter fallen Salafisten, die in Köln auf der Straße randalieren, aber auch der türkische Familienvater, der jeden Morgen zu Opel zur Arbeit fährt."

Auch in der Bundeswehr gebe es Soldaten, die Vorurteile gegenüber Ausländern hätten. Doch das seien Einzelfälle, sagt Rastgeldi, bei denen er meist sofort das Gespräch mit dem Gegenüber gesucht habe. "Wir haben das unter vier Augen geklärt und die Kameraden waren einsichtig", berichtet er. In der Schule sei es schlimmer gewesen. Dort habe er mehr Diskriminierung und Vorurteile erlebt als bei der Bundeswehr, bei der er besonders die Kameradschaft schätzt. Ihm gefalle, dass es im Militär keine äußerlichen Unterschiede gebe, auch keine Diskriminierung wegen der Kleidung. "Alle tragen Uniform, alle sehen gleich aus. Das verbindet", sagt er. Wenn er aber in Uniform an einem Bahnsteig stehen müsse, dann habe er damit Probleme. Er werde zwar nicht beschimpft, aber schief angeschaut. Und das behage ihm nicht. Als Migrant aus der Türkei mag Ersan Rastgeldi in Deutschland angekommen sein. Als Soldat aber fühle er sich in der Gesellschaft nicht willkommen. "Ich reise jetzt lieber in Zivil", sagt er. 

Seit Februar ist Ersan Rastgeldi im Einsatz für Deutschland. Er hat ihn zurück in seine alte Heimat geführt, wo er als Sprachassistent für fünf Monate in einer Patriot-Luftabwehreinheit der Luftwaffe arbeitet. Sein Einsatzort Kahramanmaras ist nur 150 Kilometer von seinem südostanatolischen Geburtsort entfernt, er hat noch Verwandte dort. Die ganze Familie sei sehr stolz auf ihn, sagt er. Rastgeldi lächelt zufrieden. Er ist angekommen. Als Türke, der für Deutschland im Türkei-Einsatz dient.

Konstantin Schiroteko
Konstantin Schiroteko stammt aus einer Familie mit großer Militärtradition: Urgroßvater und Großvater waren Generale in der sowjetischen Armee, einer seiner Vorfahren war General im russischen Zarenreich. Auch Vater, Mutter und Onkel waren beim Militär. Das hat den 21-Jährigen geprägt. Er berichtet, wie sich sein Vater mit 16 Jahren freiwillig zur Roten Armee meldete und Marineoffizier wurde. Aus den Schilderungen des Vaters weiß Schiroteko, dass Soldaten in der Sowjetarmee würde- und respektlos behandelt wurden. 

Als er erzählt, dass er zur Bundeswehr wolle, rät ihm sein Vater ab. "Bloß nicht!", sagt er knapp und entschieden. Doch der Sohn setzt sich durch. Nach seinem Berufsfachabschluss meldet er sich im Juli 2013 zum Freiwilligen Wehrdienst. "Mein Vater dachte wohl, es gehe bei der Bundeswehr genauso schlimm zu wie in der Sowjetarmee", erinnert sich Schiroteko. Doch jetzt seien seine Eltern stolz auf ihn. Der Hauptgefreite ist beim Landeskommando Hessen als Materialverwalter tätig. Nach dem Wehrdienst will er sich als Zeitsoldat verpflichten.

Schiroteko erlernt das Militärhandwerk in der 7. Kompanie des Führungsunterstützungsbataillons 241 in Gerolstein. Er gewöhnt sich schnell an die Disziplin, Gehorsam kennt er von zu Hause. Die Sorgen des Vaters um den militärischen Drill bei der Bundeswehr sind allerdings unbegründet: "Es gibt Befehl und Gehorsam", sagt Schiroteko. Klar. Aber in der deutschen Armee werde humaner mit den Soldaten umgegangen als in der russischen. Bei der Bundeswehr könne er als Hauptgefreiter einem Feldwebel etwas vorschlagen und dieser könne es befolgen. In Russland sei das unvorstellbar. Ein Feldwebel würde ihn gar nicht beachten, es gebe eine strenge Hierarchie der Dienstgrade. Das sage jedenfalls sein Vater.

Konstantin Schiroteko ist Sohn eines Kasachen und einer Wolga-Deutschen. 1994 zieht die Familie aus Kasachstan in die "Heimat der Mutter", ins rheinland-pfälzische Diez. Schiroteko ist damals anderthalb Jahre alt. Seine Familie gehört zu den mehr als 1,7 Millionen Spätaussiedlern, die in den Neunziger Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kommen. Der Junge wächst mit der deutschen Sprache auf. Er lernt auch Russisch, es wird in der Familie nach wie vor gesprochen.

Schiroteko gehört zu einer Generation von Jugendlichen, für die kulturelle Vielfalt in Deutschland normal ist. Er geht mit Deutschen, Russen, Polen, Albanern, Türken und Marokkanern zur Schule. Als er bei der Bundeswehr auf eine ähnliche Vielfalt trifft, ist er allerdings verblüfft. Russlanddeutsche, Polen, Deutschtürken – vor allem bei den Mannschaftsdienstgraden sind Soldaten mit ausländischen Wurzeln keine Seltenheit mehr. "Die Bundeswehr ist viel offener und bunter geworden. Das hat ihr nicht geschadet", sagt Schiroteko. Was Soldaten mit ausländischen Wurzeln auszeichne, sei Zweisprachigkeit und die Fähigkeit, zwischen den Kulturen zu vermitteln. "Die Bundeswehr kann von der Vielfalt ihrer Soldaten profitieren."

An die erste Standpauke seines Vorgesetzten erinnert sich der junge Hauptgefreite noch gut: "Egal, wer ihr seid, ihr müsst zusammenwachsen wie eine Familie." Wenn es um Kameradschaft oder ums Überleben in einem Einsatz gehe, sei Herkunft Nebensache, sagt Schiroteko. "Ganz gleich woher der Kamerad neben mir stammt, das ist der Mann, der mich im Ernstfall retten könnte oder ich ihn." Bei der Bundeswehr sei er noch nie diskriminiert worden, weil er aus Kasachstan komme. Polenwitze habe er aber schon einige gehört. In der Schule sei das anders gewesen. Schiroteko  erzählt von Rangeleien unter Schülern. Oft sei er wegen seiner Herkunft beleidigt und angepöbelt worden. Er lernt Kampfsport, um sich zu wehren.

Konstantin Schiroteko mag Deutschland. Es ist seine Heimat, hier fühlt er sich wohl. Und er weiß, was Integration bedeutet. "Als Migrant sollte ich die deutsche Sprache sprechen, die Gesetze dieses Landes achten und auf gutes Zusammenleben bauen", sagt er. Es klingt ein wenig so, als hätte er es für einen Termin bei der Ausländerbehörde auswendig gelernt. Aber es ist ihm ernst. Für Leute wie den Gangster-Rapper Bushido, der für seine diskriminierenden Lieder den Medienpreis "Bambi" für Integration verliehen bekam, hat Schiroteko ebenso wenig Verständnis wie für Migranten, die Deutsche und Deutschland ablehnen. Besser wären mehr Vorbilder für eine gelungene Integration. Solche wie ihn.

Marcelino Granath
Marcelino Granath hat eine Mission: politische Korrektheit aufspüren und Vorurteile zerschlagen. Er spielt mit seiner Herkunft, macht seine Hautfarbe selbst zum Thema, setzt Humor ein. Einer seiner Lieblingsscherze: "Das sagst du doch jetzt nur, weil ich schwarz bin!" Mal erzählt er seinen Mitmenschen, er komme aus Berlin, wo er geboren wurde, mal aus Wuppertal, wo er aufgewachsen ist. Und mal aus Mosambik, um seine Gesprächspartner zu schocken. "Die meisten denken nämlich, dass es dort ganz schlimm ist", sagt Granath und lacht.

In Mosambik ist der gebürtige Berliner nie gewesen, er spricht auch kein Portugiesisch, wie es die Menschen in dem Land tun. Sein Vater war als Vertragsarbeiter aus dem damals sozialistischen Mosambik in die DDR gekommen und hatte dort seine Mutter, eine Deutsche, kennengelernt. Marcelino wächst in Ost-Berlin und Wuppertal auf. In seiner Kindheit bekommt der Junge von der afrikanischen Kultur des Vaters kaum etwas mit. "Meine Familie ist komplett die deutsche Schiene gefahren", sagt er. Er macht sein Abitur, strebt eine Ausbildung an. Im Karrierecenter der Bundeswehr macht ihm der Berater eine Ausbildung bei der Bundeswehr so schmackhaft, dass Granath schon während der Grundausbildung weiß, dass er sich für zwölf Jahre verpflichten will. Er studiert Bildungs- und Erziehungswissenschaften an der Bundeswehr-Universität in Hamburg. Heute ist er Hörsaalleiter in der II. Inspektion an der Infanterieschule in Hammelburg.   

Als Granath seiner Mutter von seinen Karriereplänen bei der Bundeswehr erzählt, warnt sie ihn: "Deine Hautfarbe ist für jeden sichtbar." Sie macht sich Sorgen: Würde ihr Sohn zur Zielscheibe von Rechtsradikalen bei der Bundeswehr werden? Doch Marcelino Granath kann seine Mutter beruhigen. "Das Umfeld stimmt, die Kameradschaft auch." Wegen seiner Hautfarbe sei er bei der Bundeswehr nie aggressiv angegangen worden, berichtet der 29-Jährige. Doch blauäugig ist er nicht. Hauptmann Granath weiß um die fremdenfeindlichen Vorkommnisse in der Bundeswehr. "Es ist kein Klischee, das die Gesellschaft von der Truppe hat", sagt er. Aber Rassismus sei auch kein spezielles Problem der Bundeswehr. Die Armee sei ein Abbild der Gesellschaft und in dieser gebe es Rassismus und Vorurteile, mal als Vorurteil gegenüber Schwarzen, mal in Gestalt von Ossi- und Wessi-Witzen. Strafbare fremdenfeindliche Vorfälle aber kämen nur vereinzelt vor. Granath sagt, er fühle sich sicher. Denn die Bundeswehr verfolge und ahnde rechten wie linken Radikalismus in ihren Reihen.   

Die ständigen Fragen der Kameraden nach seiner Herkunft stören ihn nicht. "Die Leute fragen ja auch nach meinem Namen. Wie sollen wir uns denn anders kennenlernen?", sagt er. Was ihn störe, sei die künstliche "politische Korrektheit". Sie sorge in den Köpfen der Menschen für viel Distanz und hindere sie daran, die Fragen zu stellen, die sie stellen möchten. Nur weil wir aus politischer Korrektheit Begriffe wie "Negerkuss" zensierten, würde der Rassismus damit nicht automatisch verschwinden, meint Granath. Wer fremdenfeindlich sei, dem falle es nicht schwer, sich neue Ausdrücke auszudenken.   

Granath ist direkt, er scheut keine Diskussion, auch wenn das Wort mit "N" fällt. "Wenn jemand 'Neger' sagt, dann ist das erstmal so", erklärt er. Granath sucht dann sofort das Gespräch, will wissen, ob derjenige es abwertend meine oder kein anderes Wort kenne. Er spricht mit Menschen in seiner Umgebung, setzt sich unermüdlich mit ihren Motiven auseinander. Das erfordere viel Energie. Doch für Marcelino Granath ist Verständigung und Dialog eine Herzensangelegenheit. Er träumt von einem friedlichen Zusammenleben zwischen Migranten und Mehrheitsgesellschaft. "Wir wachsen bereits zusammen", sagt er. Dass Menschen mit ausländischen Wurzeln in Deutschland geboren werden und hier aufwachsen, sei mittlerweile nichts Exotisches mehr.

Als 2010 die Debatte um Thilo Sarrazin entbrennt, will Granath ein Zeichen setzen. Zusammen mit anderen Offizieren der Bundeswehr gründet er in Hamburg die Initiative "Deutscher.Soldat. e.V.", getragen von Soldaten aller Dienstgrade mit und ohne ausländische Wurzeln. Sie schreiben sich eine "Utopie" auf die Fahnen: ein Deutschland des Miteinanders, in dem gemeinsame Werte mehr zählten als Unterschiede wie Hautfarbe oder Abstammung. "Wir konnten das Feld doch nicht einem Thilo Sarrazin überlassen", sagt Granath. Seitdem kämpfen er und seine Mitstreiter um ein positiveres Bild von Migranten in den Medien und in der Gesellschaft. Denn schließlich seien sie Deutsche mit Migrationshintergrund, die bereit seien, für dieses Land ihr Leben zu geben.

Fotos:
Jonas Ratermann für loyal (5) und
Michael Mueller / IMZ Bildarchiv (1)
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