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Mit den Auslandsmissionen hat sich in der Bundeswehr eine eigene Einsatzkultur herausgebildet. Sie ist für viele Soldaten heute der Referenzpunkt – und nicht die deutsche Militärgeschichte.

von Philipp Fritz

Die deutsche Beteiligung an Auslandseinsätzen hat das Selbstverständnis der Bundeswehrsoldaten nachhaltig verändert. Mit den internationalen Missionen hat sich in der Truppe eine militärische Einsatzkultur herausgebildet, die sich an den soldatischen Realitäten und an den Gefechtserfahrungen im Ausland ausrichtet. Heute ist die Idee von der Bewährung im Einsatz einer der wichtigsten militärischen Referenzpunkte für Bundeswehrangehörige. In diesem Zusammenhang wird im Ausland und im Inland eine Einsatzkultur tradiert, deren soziokulturelles Fundament von Einsatz- und Gefechtserfahrungen in den "Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr" von 1982 keine hinreichende Würdigung erfahren hat.  

Vorbilder aus der Militärgeschichte vor 1945 überhaupt noch nötig?
Der Entwurf des neu überarbeiteten Traditionserlasses stellt im Gegensatz zu seinem Vorgänger die Leistungen und die Eigentradition der Bundeswehr in den Mittelpunkt. So heißt es in dem Entwurf: "Zentraler Bezugspunkt der Tradition der Bundeswehr sind ihre eigene, lange Geschichte und die Leistungen ihrer Soldatinnen und Soldaten, zivilen Angehörigen sowie Reservistinnen und Reservisten". Mit dem Fokus auf die Leistungen von Bundeswehrangehörigen ergibt sich aber auch die Frage, inwieweit eine bundeswehreigene Tradition oder die Einsatzkultur auf Vorbilder – eventuell gar Helden – angewiesen sind? Und sind hierbei Vorbilder aus der Militärgeschichte vor 1945 überhaupt noch nötig?

Rollenkonflikte um das soldatische Selbstverständnis
Die Soldaten der "Bundeswehr im Einsatz" stehen der Herausforderung gegenüber, sich in einer Armee zu verorten, die komplexen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen unterliegt, wechselnden Gefährdungspotenzialen Rechnung tragen muss und sich durch einen fortwährenden Transformationsprozess im Veränderungsstress befindet. In Anbetracht dieser Ausgangslage wurden in den Streitkräften Rollenkonflikte um das soldatische Selbstverständnis aufgeworfen. Die parallele Herausbildung einer Tradition, welche sich an den neuen Einsatzerfahrungen orientiert, blieb jedoch aus. Unter diesen Rahmenbedingungen taten sich in der Truppe Freiräume für individuelle Aushandlungsprozesse eines soldatischen Berufsbildes und Traditionsverständnisses auf. In eben diese Freiräume trägt eine Generation von einsatz- und kampferfahrenen Bundeswehrsoldaten ihre Einsatzrealitäten und Gefechtserfahrungen hinein.

Die Überarbeitung des seit 35 Jahren unberührten Traditionserlasses ist absolut notwendig. Der bisherige Erlass mit dem Dreiklang seiner historischen Traditionslinien von preußischer Heeresreform, militärischem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und der eigenen Geschichte seit ihrem Gründungsjahr 1955 bietet für die Bundeswehr als eine Einsatzarmee mit einer sich immer weiter verfestigenden Einsatzkultur keine hinreichende Traditionsgrundlage mehr. Keine der drei bisherigen Traditionslinien bezieht sich explizit auf unmittelbaren Kampferfahrungen oder bietet hierfür einen historischen Bezugspunkt.

Einsatzkultur ist im Gegensatz zur Historie unmittelbar erfahrbar
In Ermangelung eines solchen Traditionsangebotes wurden in der Truppe immer wieder Bezüge zur Wehrmacht hergestellt. Wehrmachtsangehörige, auf deren handwerkliches Können im Gefecht reduziert, wurden bisweilen als Vorbilder herangezogen, da sie sich unter einem rein militärisch-funktionalen Aspekt und ohne politische Einordnungen als Orientierungspunkte für historische Kampferfahrungen anboten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass solche Bezüge zur Wehrmacht von der binnenmilitärischen Einsatzkultur in Zukunft kontinuierlich verdrängt werden. Die Einsatzkultur ist für die Angehörigen der Streitkräfte im Gegensatz zu historischen Bezugspunkten unmittelbar erfahrbar und hat eine Vielzahl von möglichen Vorbildern und heldhaften Einzeltaten hervorgebracht, auf die die Truppe mit Stolz zurückgreifen kann.

Historische Vorbilder spielen für berufliches Selbstverständnis keine Rolle
In diesem Zusammenhang sollte der Blick auf den vierten und letzten Traditionsworkshop fallen, der im November 2017 an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin stattfand. Im Rahmen dieser Veranstaltung brachte die BAKS ein ressortübergreifendes Panel zum Traditionsumgang in der Bundespolizei und im Bundesnachrichtendienst ein. Es zeigte sich, dass für die Bundespolizei und ihre Spezialeinheit GSG-9  die Eigentradition und erfolgreich abgeschlossene Missionen zwar einen besonderen Stellewert haben, jedoch historische Vorbilder für das berufliche Selbstverständnis kaum eine Rolle spielen. Folglich können staatliche Organisationen auch ohne personifizierte Vorbilder oder die heroisierte Hervorhebung von Einzelpersonen eine sinngebende Tradition entwickeln.   

In der Folge sollte sich die Tradierung und die Traditionspflege auf vorbildhafte Handlungen konzentrieren, die in der Geschichte der Bundeswehr selbst zu finden sind. Dabei gilt es, die Eigentradition der Bundeswehr zu stärken, die Einsatzkultur zu würdigen und sich die Tradition in einem politisch klar gesetzten Rahmen entwickeln zu lassen – was die Vorbildsuche außerhalb der Bundeswehr nicht ausschließt. Die Freiheit hierfür sowie das Vertrauen in die Bundeswehrangehörigen wurde im aktuellen Entwurf des überarbeiten Traditionserlasses zum Ausdruck gebracht.

Klare Trennlinie zwischen Geschichte und Tradition
Hierzu bedarf es allerdings einer kontinuierlichen politischen sowie historischen Bildung,  die die Angehörigen aller Dienstgradgruppen zur reflektierten und umsichtigen Traditionspflege befähigen. Es muss eine klare Trennlinie zwischen Geschichte und Tradition gezogen und verdeutlicht werden, dass die deutsche Militärgeschichte nicht ausnahmslos traditionswürdig oder sinnstiftend für die heutige Bundeswehr sein kann.

Tradition ist vielmehr die gewissenhafte Auseinandersetzung mit dieser Geschichte. Nun gilt es für die Soldaten, die Möglichkeit der Ausgestaltung einer bundeswehreigenen Tradition als Chance zu begreifen. Und falls es am Ende keine militärischen Vorbilder aus der Zeit vor 1945 mehr braucht, spricht dies umso mehr für die bisherigen Verdienste aller Bundeswehrangehörigen.

Über den Autor
Der Ethnologe Philipp Fritz promoviert und arbeitet an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist er Oberleutnant der Reserve mit Einsatzerfahrung.


Symbolbild oben:
Deutsche Soldaten im Einsatz.
(Foto: Bundeswehr)
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