Bombenopfer kämpft sich zurück ins Zivilleben
Am 14. November 2005 beginnt im Camp Warehouse in Kabul eine neue Woche. In einem gut geschützten Gebäude hält der Bundeswehr-Kommandeur die Morgenlage ab. Die Lage-Teilnehmer berichten von Anschlägen auf die internationale Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) und warnen vor Terroristen mit Autobomben – das Übliche im Kabul dieser Tage. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Tag das Leben von Tino Käßner für immer verändern wird. Nichts lässt darauf schließen, dass am Abend dieses Tages nichts mehr so sein wird wie vorher. Am Morgen ist noch alles wie immer.
Gefallener Kamerad war Reserveoffizier
Um 14.15 Uhr steuert Tino Käßner den gepanzerten Geländewagen vom Typ Wolf aus der Feldlagereinfahrt am Rande Kabuls heraus und biegt auf die Hauptstraße Richtung Stadtmitte. Plötzlich wird das Fahrzeug von einem weißen Toyota gerammt. Als Käßner gemeinsam mit seinen zwei Kameraden aus dem Wolf steigt, lacht ihn der Afghane am Steuer des Toyotas freundlich an – und sprengt sich mit zwölf Kilogramm TNT in die Luft. Oberstleutnant der Reserve Armin Franz ist sofort tot, Hauptfeldwebel Stefan Deuschl verliert beide Beine. Bei Tino Käßner verletzt die Druckwelle Teile seines Unterschenkelmuskels. Flug nach Deutschland – Notoperation – Koma. Als Tino Käßner aufwacht, fehlt ihm sein rechtes Bein.
20.000 Kilometer pro Jahr auf dem Rennrad
Sechs Jahre später ist Käßner Radrennprofi. So geübt, wie er früher seine Waffe zusammenschraubte, befestigt Tino Käßner nun die Prothese an seinem Oberschenkel. Er trainiert 20 bis 30 Stunden die Woche und verbringt 20.000 Kilometer pro Jahr auf dem Rad. Er nimmt an der Weltmeisterschaft im Behindertenradsport teil und holt bei den deutschen Radrennmeisterschaften zwei Silber- und Bronzemedaillen. Sein Ziel: die Paralympics 2012 in London. "Früher war die Bundeswehr mein Leben. Heute ist es das Radfahren", sagte der 37-jährige Frührentner der Bild am Sonntag in einem Interview. Wenn man ihn fragt, ob er noch einmal zur Bundeswehr gehen würde, muss er nicht lange überlegen: "Ja klar. Es war mein Job und es ist passiert. Fertig. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist richtig und wichtig."
Buch geschrieben
Tino Käßner hat nie aufgegeben. Gemeinsam mit seiner Frau Antje hat er jetzt ein Buch geschrieben, das seinen Weg zurück in ein normales Leben und das Schicksal von Soldatenfamilien dokumentiert. "Weil wir anderen Menschen Mut machen wollen, die ein ähnliches Schicksal ereilt", sagt Antje Käßner, die selbst bei der Bundeswehr war.
Derzeit sind 5.436 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert, darunter 340 Reservisten, die überwiegend im Feldpostdienst, in der Verwaltung, bei der Feuerwehr, bei den Feldjägern und bei Cimic eingesetzt werden.
TV-Tipp: Tino und Antje Käßner sind am Sonntag um 18.45 Uhr zu Gast in der NDR-Sendung "DAS!".
Bilder: Antje und Tino Käßner haben ein Buch
über das Leben nach dem Selbstmordanschlag
geschrieben. Es erschien am 11. Juli unter dem Titel
"Wofür wir kämpfen: Wie der Krieg in Afghanistan
unser Leben veränderte"
(ISBN: 978-3424151114, Irisiana-Verlag, 19,90 Euro).