Sicherheitspolitische Hochschularbeit
BSH-Talk: Wie geht’s weiter nach der Wahl?
Vor dem Hintergrund der Bundestagswahl im September hat die Berliner Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik eine hochkarätig besetze, zweiteilige Veranstaltungsreihe angeboten. Das Thema lautete: „Das Wahljahr 2021 – Zukünftige deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus parteipolitischer Perspektive“.
Mit dabei waren der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Thomas Silberhorn (CSU), der verteidigungspolitische Sprecher der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Tobias Lindner, der verteidigungspolitische Sprecher der AfD, Rüdiger Lucassen, der ehemalige verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Dr. Fritz Felgentreu, der Obmann der FDP im Verteidigungsausschuss, Alexander Müller, und die friedenspolitische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler. Dr. Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations und die Journalistin Julia Weigelt moderierten die Veranstaltung.
Wo sind die Schwerpunkte der Bundeswehr?
Tobias Lindner stellte neben der strategischen Ausrichtung der Bundeswehr und der Optimierung der Beschaffung vor allem der Schwerpunkt der Evaluierung der Auslandseinsätze heraus. Rüdiger Lucassen sah ebenfalls die Verbesserung des Beschaffungswesens als Schwerpunkt an. Außerdem sprach er sich für mandatierte Auslandseinsätze zur Vertretung deutscher Interessen, zum Beispiel den Schutz der globalen Handelswege, aber auch für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Thomas Silberhorn betonte die Verantwortung Deutschlands als Global Player und die gemeinsamen Grundsätze in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die sich nicht nach einer Legislaturperiode wieder ändern dürfen, als Schwerpunkte an. Die Vertreterinnen und Vertreter von FDP, SPD und Linken waren sich einig, dass die Bundeswehr in erster Linie für die Landesverteidigung zuständig sei. Allerdings argumentierten sowohl Fritz Felgentreu als auch Alexander Müller im Gegensatz zu Kathrin Voglers Kritik an der Ausrichtung der Bundeswehr als Einsatzarmee, dass Auslandseinsätze im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) gleichrangig zu betrachten seien.
Europäische Sicherheitspolitik – Quo vadis?
Rüdiger Lucassen sah die NATO als das entscheidendste Bündnis an, daher müsse der Aufbau von Doppelstrukturen im Rahmen der GSVP innerhalb der EU vermieden werden. Weiter sei es bei Rüstungsprojekten der EU wichtig, nicht zu viele Partnerstaaten zu beteiligten, um eine effiziente Durchführung zu erreichen. Thomas Silberhorn betonte, dass die Landes- und Bündnisverteidigung die Stabilität in der europäischen Nachbarschaft und das Agieren im globalen Kontext, etwa im Indo-Pazifik, auch mit Partnern, die nicht Mitglied der EU oder NATO sind, besonders wichtig sei. Tobias Lindner verdeutlichte den gemeinsamen Ansatz in den Grundfragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dabei stellte er den Wert europäischer Rüstungspolitik am Beispiel von FCAS ins Zentrum, wobei er mehr Transparenz bzw. den politischen Konsens in Bezug auf die Ziele solcher Projekte fordert. Fritz Felgentreu stellte den Vorschlag der SPD vor, eine 28. EU-Armee unter Kommando der EU-Kommission zu schaffen. Dies hätte den Vorteil, dass die Mitgliedsstaaten keine zusätzliche Souveränität nach Brüssel abgeben müssten. Zudem fungiere Deutschland bereits jetzt als Rahmennation für andere Partnerstaaten, die ihre Fähigkeiten andocken.
Daraufhin verdeutlichte Kathrin Vogler, dass sie eine weitere Vertiefung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU ablehne und die sicherheitspolitische Architektur neu zu strukturieren sei. Dazu solle die NATO ersetzt oder umgestaltet werden. Gleichzeitig solle die nukleare Teilhabe beendet und die US-Basis in Ramstein geschlossen werden. Alexander Müller verdeutlichte, dass die europäische Kooperation als Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO einzuordnen sei. Mittel dafür seien etwa gemeinsame Übungen und Einsätze sowie die gemeinsame Entwicklung und Beschaffung von Fähigkeiten innerhalb des PESCO-Frameworks. Weiter fordert er die Harmonisierung der europäischen Rüstungsexportrichtlinien.
Russland – (Un)sicherheitsfaktor?
Thomas Silberhorn bezeichnete Russland nicht als einen Faktor der Stabilität, was durch die Infragestellung der territorialen Integrität der Nachbarstaaten, insbesondere der Ukraine, untermauert werde. Darüber hinaus betont er die Herausforderungen durch das russische Engagement in Syrien oder die Desinformationskampagnen. Rüdiger Lucassen sagte, Russland sei ein wichtiger Partner, um europäisch und global das friedliche Zusammenleben zu gewährleisten. Daher müsse man die gegenwärtige Haltung gegenüber Russland überdenken, um das Vertrauensverhältnis wieder aufzubauen. Tobias Lindner forderte Abschreckung gegen mögliche Aggressionen, die Anpassung des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr an kommende Bedrohungslagen, aber auch die Verbesserung der Zusammenarbeit, zum Beispiel durch den NATO-Russland-Rat.
Alexander Müller argumentierte, dass aufgrund der russischen Aktivitäten der vergangenen Jahre Sanktionen gerechtfertigt seien, diese allerdings zielgerichteter seien sollten auf die verantwortlichen Personen. Kathrin Vogler verdeutlichte, dass Deutschland und Europa im Falle Russlands ihre Haltung grundsätzlich überdenken müssten. Anstatt vom Kalten Krieg geprägte Denkweisen zu reaktivieren, solle ein gemeinsamer Dialog entwickelt werden. Fritz Felgentreu argumentierte dagegen, dass zwar eine generelle Dialog- und Kontaktbereitschaft gegenüber der russischen Regierung nötig sei, auf der anderen Seite Deutschland aber bereit sein müsse, die osteuropäischen Verbündeten militärisch zu schützen.