Seit 2017 beteiligt sich Deutschland dort an der enhanced Forward Presence (eFP). Mit mehr als 900 Soldatinnen und Soldaten stellt die Bundeswehr den größten Anteil der Battlegroup Lithuania. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine erfährt die eFP-Battlegroup besondere Aufmerksamkeit. Am vergangenen Wochenende besuchte Außenministerin Annalena Baerbock die Soldatinnen und Soldaten an der NATO-Ostflanke. „Wir hören euch, wir sehen euch, und Deutschland steht an eurer Seite“, sagte sie bei ihrem Besuch in Rukla.
Einer, der dort im multinationalen Stab eingesetzt war, ist Major d.R. Philipp Fritz. Er ist BSH-Alumnus, Militärethnologe und Doktorand an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seine Erfahrungen teilte er nun bei einem Vortrag vor dem Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH).
Abschrecken und Stärke zeigen
Im ersten Schritt bot Fritz eine Übersicht über die multinationale Battlegroup. Der Fokus der Kräfte im Baltikum liegt im Verzögerungsgefecht und dem Zurückerobern, da im Kriegsfall die Suwalki-Lücke (Gebiet zwischen der Grenze zu Kaliningrad und der Grenze zu Belarus) zu einem schmalen Flaschenhals für unterstützende Kräfte, Logistik und Weiteres werden würde. Personal und Material rotieren alle sechs Monate aufgrund der NATO-Russland-Grundakte. Die immer von einem deutschen Kommandeur angeführte Battlegroup ist in die litauische Iron Wolf Brigade eingegliedert, untersteht dem litauischen Kommandeur und ist Teil des litauischen nationalen Verteidigungsplans. Auftrag der Battlegroup im Rahmen der eFP ist vor allem der Beitrag zu einer glaubhaften Abschreckung, sowie Litauen zu verteidigen und rückzuversichern. Hierzu ist die sichtbare Präsenz eines schlagkräftigen multinationalen Gefechtsverbands unabdingbar. Um dies auch in Friedenszeiten zu zeigen, gehört es zum Alltag der Soldatinnen und Soldaten, öffentlichkeitswirksam Bilder der Stärke zu produzieren.
Die Zielsetzung ist zusätzlich ein voll funktionsfähiger und in der Operationsplanung/-Führung eingespielter Stab mit der Fähigkeit, laufende und künftige Operationen zu unterstützen und zu planen. Die Kampftruppen sollten wirksam, effizient, flexibel und präzise bei der Durchführung von Operationen der verbundenen Kräfte, Verzögerung, Ausnutzung und Vorbereitung von Gefechtsstreifen sowie bei urbanen Operationen auf der Ebene Kompanie sein. Die verschiedenen Übungsplätze bieten die Möglichkeit, sowohl das raumintensive Agieren mit Kampfpanzern, Kämpfen im urbanen Raum oder den Einsatz der Artillerie zu üben. Die Möglichkeiten werden von deutschen Soldatinnen und Soldaten sehr geschätzt. Jedoch behindere der Mangel an multinationalen, interoperablen Duell-Simulationssystemen die Ausbildung auf Kompanie- und Gefechtsverbandsebene.
„Enhanced Social Media Presence“
Im Cyber- und Informationsraum spielt hybride Kriegsführung eine herausgehobene Rolle. Es gilt, dem russischen Narrativ, die NATO sei der Aggressor, zu begegnen. Im Zusammenhang mit der eFP in Rukla spielt das individuelle Verhalten der Soldatinnen und Soldaten eine herausgehobene Rolle. Fritz sprach von der „enhanced Forward Social Media Presence“.
Ein besonders wichtiger Aspekt seien die Soldatinnen und Soldaten selbst, die so manches Mal bei Diskussionen auf strategischer Ebene vergessen werden. Das soldatische Leben bei Übungen sei gerade im litauischen Winter von Entbehrungen geprägt. Betreuung und Fürsorge werde mit besonderer soldatischer Kreativität gewährleistet, gerade zu Weihnachten und Silvester. Fritz berichtete von den Viking Games, sportliche Wettkämpfe organisiert durch die norwegischen Kameradinnen und Kameraden.
Politisches Gewicht
Dass die eFP Battlegroup Lithuania auch politisch von hohem Gewicht ist, zeigen die vielen VIP-Besuche von Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertretern sowie Militärs. Mit mehr als 70 Besuchen in sechs Monaten, bei denen Truppe, Material und Liegenschaft präsentiert wird, ist diese Arbeit zusätzliche belastend.
In der Diskussion sprachen die Studierenden über die Wahrnehmung der Brigade in der litauischen Bevölkerung, zumal Litauen als Gastgebernation gefragt ist. Außerdem wurden der multinationale Stolperdraht und das deutsch-niederländische Panzerbataillon diskutiert. Zum Abschluss stellte man fest, dass der Austausch und die neue Einblicke Mut in Zeiten der russischen Invasion in der Ukraine macht, da Deutschland doch gar nicht so schlecht aufgestellt ist.