Konservendosen, die Mikrowelle, Computertechnologie und noch Vieles mehr: Die enge Zusammenarbeit zwischen militärischer und ziviler Industrie brachte viele Innovationen hervor und sicherte dem Westen einen Technologievorsprung während des Kalten Krieges. Mit der Beruhigung der geopolitischen Lage ließ die Intensität dieser Beziehungen nach. Im vergangenen Jahrzehnt dominierten Militärprojekte die Nachrichten nur dann, wenn sie sich verzögerten, zu massiven Kostenüberschreitungen führten oder völlig scheiterten. Vor allem multinationale Projekte waren anfällig für Verzögerungen, da die Beteiligten Schwierigkeiten hatten, sich auf Anforderungen und lokale Wertschöpfung zu einigen. Fällt uns das nun auf die Füße?
Die Interalliierte Vereinigung der Reserveoffiziere (CIOR – Confédération Interalliée des Officiers de Réserve) nahm die aktuellen Entwicklungen zum Anlass, die Beziehungen zwischen ziviler Wirtschaft und militärischen Anforderungen mal genauer unter die Lupe zu nehmen. In Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung hatte CIOR für Ende Januar zum Winterseminar nach Gummersbach eingeladen. Rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen in Präsenz in der Theodor-Heuss-Akademie oder online zugeschaltet teil.
Das Thema hätte aktueller nicht sein können. Denn auf militärischer Seite brachte der russische Angriff auf die Ukraine das Risiko eines konventionell geführten Krieges wieder auf den Tisch. Die Folge: Verteidigungsministerien und Streitkräfte auf der ganzen Welt wünschen sich wieder technologischen Vorsprung. Dieser muss aber in Einklang gebracht werden mit einer zeitnahen Verfügbarkeit, mit Belastbarkeit und mit einer gewissen „Wartungsfreundlichkeit“ der Systeme – alles am besten miteinander kompatibel auf NATO-Ebene. Auf der zivilen Seite haben wir aber Volkswirtschaften, die noch an den Folgen der Coronapandemie zu knabbern haben, die über Fachkräftemangel klagen und auf großzügige staatliche Aufträge hoffen.
„Wer heute in 155-Millimeter-Geschosse investiert, ist bald Millionär“, drückte es Generalleutnant Markus Laubenthal etwas überspitzt aus. Der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr blieb beim Beispiel der Munitionsproduktion. „Hier sind nicht nur fehlende Produktionsstraßen das Problem, sondern auch die Beschaffung von Rohstoffen.“ Zudem stehe der Fachkräftemangel einer schnelleren Produktion im Weg. Die Abhängigkeit von der Industrie unterstrich noch einmal Tobias Beutgen vom Fahrzeugbauer UAW Germany. In seinem Eingangsstatement zur Instandhaltung der US-amerikanischen Fahrzeuge in Europa zeigte er eine Grafik, die das Verhältnis von Soldaten zu zivilen Vertragspartnern zeigte, vom Bürgerkrieg bis zum Afghanistan-Einsatz. Wurden anfangs noch alle Dienstleistungen vom Militär selbst bereitgestellt, so verschob sich das Verhältnis im Lauf der Zeit immer mehr zu Gunsten der zivilen Auftragnehmer. Allein daran lässt sich schon ablesen, dass bei einer „Zeitenwende“ auch die Wirtschaft mitziehen muss.
Ein weiterer Baustein in diesem Zusammenhang sind Multi Domain Operations (MDO). „Viele Beschreibungen von MDO fokussieren stark auf die technischen Anteile und gehen oftmals mit Begriffen wie Cloud, Edge, künstlicher Intelligenz und Umgang mit Massendaten einher. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass es sich bei MDO nicht um ein primär technisches Thema handelt“, schreibt dazu das Planungsamt der Bundeswehr. „Die Befähigung zu MDO umfasst neben einer hochwertigen materiellen Basis mit entsprechenden Funktionalitäten bzw. Services insbesondere Einsatzgrundsätze und -prinzipien, Verfahren, Strukturen und Ausbildung.“ So weit, so abstrakt.
In der konkreten Anwendung geht es dabei etwa um Künstliche Intelligenz, die bei multinationalen Einsätzen hilft, Sprachbarrieren zu überwinden. Neben Militär und Industrie kommt hier noch ein weiterer Akteur ins Spiel: die Politik. Eine, die sich primär mit diesem Thema beschäftigt, ist Anna Lena Hohmann, Managerin bei PricewaterhouseCoopers GmbH. Auch sie sagt, MDO gehe weit über die technische Dimension hinaus. „MDO erfordert eine Transformation bei allen Beteiligten – einhergehend mit einer positiven Fehlerkultur: die Bereitschaft, Fehler zu machen, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Die Implementierung eines solchen MDO-Mindsets sei eine Generationenaufgabe. „Aber wir müssen jetzt damit anfangen!“
Da war es wieder: das Mindset. Nicht nur General Laubenthal appelliert militärisch, das Mindest auf „kaltstartfähig“ umzustellen. Auch in der Politik und in der Wirtschaft braucht es ein Umdenken, um die Bundeswehr und die NATO durchhaltefähig aufzustellen, als glaubhafte Abschreckung, um Kriege zu verhindern.
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