Corona 2.0: Was hält die Zukunft für uns bereit?
Noch wissen wir nicht, wie sich die COVID-19-Pandemie langfristig auf sicherheitspolitische Herausforderungen auswirken wird. Eines steht allerdings fest: Die Pandemie hat weltweite Auswirkungen auf so gut wie alle Bereiche des Lebens. Zwar sind biologische Erreger als sicherheitspolitische Bedrohung nicht neu, der enorme Umfang dieser Pandemie hingegen schon. Was sind also die bisher bekannten sicherheitspolitischen Auswirkungen? Warum wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die letzte pandemische Bedrohung sein? Was könnte passieren, wenn neue biotechnologische Entwicklungen missbraucht werden?
Auch im dritten Jahr der COVID-19-Pandemie scheint kein Ende in Sicht. Viele ExpertInnen kommen zu dem Schluss, dass uns Corona in Europa zwar auch in den nächsten Jahren begleiten wird, allerdings eher als saisonale Krankheit mit schwächeren Symptomen.
Die Bundeswehr hat tatkräftig ihren Anteil im Inland, in den europäischen Nachbarländern und sogar in Indien geleistet, als dort größte Not herrschte. Der Einsatz erfolgte als personelle und technische Unterstützung, um die katastrophalen Folgen eines drohenden Zusammenbruchs der örtlichen Gesundheitssysteme aufzufangen. Diese Einsätze waren zwar keine „klassischen“ Auslandseinsätze, gleichwohl gibt es zahlreiche Berührungspunkte zwischen Pandemie und Sicherheitspolitik, die weit über die Nachverfolgung von Kontakten hinausgehen.
Viren als Waffe
Bereits vor mehreren Jahrhunderten wurde der militärische Nutzen von Viren erkannt, als verseuchte Tiere bei Belagerungen über Burgmauern geschleudert oder in wichtige Wasserquellen gelegt wurden. Im Zweiten Weltkrieg tötete die japanische Armee tausende chinesische Zivilisten mit biologischen Waffen. Im Kalten Krieg wurden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs mit Hochdruck an tödlichen Erregern geforscht. In den USA wurde in den 1950er und 1960er Jahren die rapide Ausbreitung von in diesem Fall harmlosen Bakterien in den eigenen Großstädten an zehntausenden Unwissenden erforscht. Eines der damals zahlreich durchgeführten geheimen Großexperimente hatte den Namen Operation „Sea-Spray“.
Aber auch nicht-staatliche Organisationen begannen gegen Ende des letzten Jahrhunderts Erreger als Waffe einzusetzen. So verseuchte eine radikale Gruppe innerhalb der Gefolgschaft des Gurus Bhagwan mehrere Restaurants einer amerikanischen Kleinstadt in den 1980er Jahren mit Salmonellen. Etwa zehn Jahre später stellte die japanische Sekte Omu Shinrikyo diverse virale Kampfstoffe mit potenziell tödlicher Wirkung her. Allerdings entschied sich die Sekte für die Benutzung des chemischen Kampfstoffes Sarin, mit dem sie bei zwei Anschlägen 20 Menschen ermordeten. Später zeigte auch al-Qaida kurz Interesse an biologischen Wirkstoffen. In den Vereinigten Staaten wurden fünf Menschen durch mit Milzbrand-Sporen gefüllte Briefe getötet, die an Senatoren und Nachrichtensender geschickt wurden. Diese Angriffe fanden über mehrere Wochen direkt nach den Anschlägen des 11.September statt, wobei die Anschläge mit dem komplex hergestellten Kampfstoff nicht mit den Flugzeugentführungen in Verbindung gebracht werden.
Durch die verheerenden Auswirkungen von COVID-19 standen nach längerer Stille wieder die Gefahr möglicher biologischer Terrorattacken auf der Agenda diverser Institute und Behörden. Zwar sind die COVID-19 auslösenden SARS-CoV-2 Viren als solcher keine biologische Waffe, es gab allerdings sehr wohl Versuche extremistischer Individuen sowie vereinzelter Gruppen, das Virus gezielt zu verbreiten. Entsprechende Aufrufe in sozialen Medien wurden entdeckt und eine sehr kleine Anzahl an tatsächlichen Versuchen festgestellt. Größer schätzen ExpertInnen allerdings die Gefahr ein, dass sich unterschiedliche extremistische Gruppen durch die desaströsen Auswirkungen der Pandemie und die mittlerweile weltweit siebenstellige Zahl an Todesopfern inspiriert fühlen. Dabei passt ins Bild, dass Terrorismus meist als Mittel der Kommunikation für Angst und Unsicherheit dienen soll und sich dafür ein unsichtbares Virus mit nicht einheitlich beurteilten Fähigkeiten gut eignet.
Die Folgen der Pandemie auf globaler Ebene
Doch gibt es auch globale Implikationen durch die Pandemie, die wir gerade erst systematisch zu begreifen beginnen. Dazu zählen massive Disruptionen in Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie eine leicht beschleunigte Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich in den westlichen Industrienationen. Ein Fokus auf Innenpolitik entsteht, da Demokratien in Krisenzeiten viel schlechter Ausgaben rechtfertigen können, die nicht unmittelbar den Staatsbürgern zugutekommen. Autokratien versuchen es oft mit Ablenkung auf äußere Themen.
Die Befürchtungen, dass die Pandemie autokratische Regime und extremistische Strömungen stärkt, haben sich teilweise bestätigt. Auch hierzulande zeigt sich mit voller Wucht, welche Dynamiken Verschwörungstheorien und unwissenschaftliche Fake-News in der Praxis abseits des Internet entwickeln können. Es gab einen Versuch, das Reichstagsgebäude zu stürmen, und immer wieder handfeste Angriffe auf die Staatsmacht. Ebenfalls dienten die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen und der allgegenwärtige Fokus in Medien und Internet als optimale Möglichkeit, Bürger in den Strudel der wie eine Parallelwelt anmutenden Verschwörungserzählungen zu ziehen. Mittlerweile ist auch bekannt, dass zum Beispiel Russland die Krise nutzt, um gezielt Fehlinformationen und destabilisierende Propaganda via staatlicher Medien und verdeckter Informationskanäle zu verteilen. Hierbei wird versucht, eine sich schon länger abzeichnende Polarisierung der Gesellschaft gezielt voranzutreiben. Nicht zu vernachlässigen sind auch die tiefgreifenden sozialen und psychischen Effekte der Pandemie, die zwar quantitativ oft nicht in ihrer Gänze erfasst werden können, allerdings von zahlreichen Forschenden als stark eingestuft werden.
Warum wir uns jetzt auf die Seuche von Morgen vorbereiten müssen
Wir verdanken EpidemiologInnen und WissenschaftlerInnen, dass sich Menschen in Europa nicht mehr den Kopf wegen Tetanus, Polio, Masern, Pocken oder Diphtherie zerbrechen müssen. Trotz aller Fortschritte werden meist die ärmeren Teile der Welt weiterhin von, meist lokalen, Ausbrüchen von zum Beispiel Cholera, Ebola, Zika oder Dengue-Viren heimgesucht. Internationale Ausmaße nahmen und nehmen die SARS-CoV Pandemie 2002-2003, MERS-CoV seit 2012, die öfter auftretenden Grippewellen und natürlich HIV ein. Und diese Reihe von Pandemien und Epidemien wird auch nach Corona kein Ende nehmen, ganz im Gegenteil. Zum einen bleibt noch offen, welche Mutationen SARS-CoV-2 selbst mit sich bringen wird, zum anderen gibt es begünstigende Faktoren für das vermehrte Auftreten und die verstärkte Verbreitung von Seuchen. Zum einen wäre da der Klimawandel, der die Übertragung von Viren auch in ursprünglich zu kalten Gefilden weiter abseits des Äquators zunehmend ermöglicht, Europa inklusive. Ebenfalls gibt es Warnungen, dass seit vielen tausenden von Jahren in tieferen Erdschichten des tauenden Permafrosts unbekannte Erreger konserviert sein könnten, deren Auswirkungen auf Menschen bislang unerforscht sind. Schwere Naturkatastrophen begünstigen ebenfalls die Verbreitung von Infektionskrankheiten und Epidemien.
Zum anderen bedingt der hohe Fleischkonsum in Industrie- und zunehmend auch Schwellenländern die Massentierhaltung, welche wiederum trotz reichlich Antibiotika anfällig für übertragbare Krankheiten ist. Erst Anfang 2021 gab es wieder Fälle in Russland, bei denen das Vogelgrippe-Virus H5N8 in einer Geflügelfarm auf mehrere Arbeiter übersprang. Aber auch andere Aspekte unserer globalisierten Welt führen potenziell zu mehr Pandemien. So führt die manchmal übermäßige Gabe von Antibiotika an Mensch und Nutztier zu multiresistenten Erregern, die über die Zeit unempfindlich gegenüber Behandlungsmitteln werden.
Viren aus dem Labor in der Garage
Leider ist hier die Liste der pandemischen Gefahren noch nicht zu Ende. In den letzten Jahren konnten große Fortschritte in den Bereichen der synthetischen Biologie, Nanotechnologie und DNA-Manipulation erzielt werden, die ganz neue Möglichkeiten im Bereich von manipulierten oder sogar ganz künstlich erzeugten Viren und Bakterien eröffnen. Einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Durchbrüche in diesem Bereich ist die CRISPR/Cas Methode, bei der mit geringem Aufwand und Kosten DNA-Stränge geschnitten und somit verändert werden können. Dies führt unter anderem dazu, dass genetische Manipulation mittlerweile zum Hobby von sogenannten Bio-Hackern geworden ist, die oft mit im Internet verfügbaren Kursen und Equipment experimentieren.
Zum anderen gibt es im Netz frei verfügbare DNA-Datenbanken, die diverse gefährliche Viren enthalten. Allerdings bestehen einige Barrieren, die Laien davon abhalten, mit tödlichen Erregern zu experimentieren. Dazu zählen die hohen Kosten von Spezialausrüstung für den Umgang mit hochpotenten Keimen, die enorme fachliche Expertise für komplexe Manipulationen, bereits existierende Schutz- und Prüfmechanismen für die Weitergabe gefährlicher Stoffe und die zahlreichen Testläufe, die für eine effektive biologische Waffe gebraucht werden würden. Auf der anderen Seite ist unzureichende Schutzausrüstung und amateurhafte Handhabung natürlich auch immer eine große Gefahr für das experimentierende Individuum und seine Mitmenschen. Leider gab es in der Vergangenheit immer wieder TerroristInnen mit exzellenter akademischer Ausbildung und Zugang zu bestmöglich ausgestatteten Laboren und gefährlichen Stoffen. Auch sind diverse Fälle von Schmuggel und Bestellungen im Darknet dokumentiert, was häufig auf sehr unterschiedliche Sicherheitsstandards in verschiedenen Ländern zurückzuführen ist.
DNA-manipulierte und synthetische Erreger
Durch die neuen Methoden sind dem Forschungsdrang potenziell keine Grenzen gesetzt, was sich zum Beispiel bei den neuartigen mRNA-Impfstoffen zeigt. Leider können viele der Neuerungen missbraucht werden. Theoretische Gefahren entstehen zum Beispiel durch Viren, die unbemerkt menschliche DNA verändern können, Viren, die durch interne oder externe Einflüsse aktiviert werden können, oder Viren, die nur bei entsprechenden genetischen Markern einzelner Bevölkerungsgruppen aktiv werden, sowie für bestimmte Anwendungen erschaffene bakterielle Überträger. Vieles klingt nach dem neusten James Bond Film, in dem einzelne dieser Ideen aufgegriffen werden und nicht nach wissenschaftlicher Realität. Tatsächlich sind mehrere Methoden bereits jetzt im Labor durchführbar oder werden es im nächsten Jahrzehnt sein. So gelang es zum Beispiel ein Virus, dem eigentlich ausgerotteten Pockenvirus sehr ähnlich, künstlich nachzubauen. Das große Problem hierbei ist, dass es sich um sogenannte Dual-Use-Forschung handelt, die zivilen Zwecken dient, allerdings für militärische oder terroristische Zwecke missbraucht werden kann, was eine effektive Regulierung oft erschwert oder unmöglich macht. Besonders chinesische Forschende, aber auch Forschungsgruppen anderer Länder, haben in letzter Zeit des Öfteren Interesse an bedenklichen Forschungszielen gehabt. Ein Beispiel sind die nicht ungefährlichen Experimente mit künstlich verbesserten Coronaviren seit 2015 im Institut für Virologie in Wuhan.
Eine weiterhin unterschätzte Gefahr mit disruptiver Wirkung
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die COVID-19-Pandemie kein unvorhersehbares und isoliertes Ereignis ist und diverse Implikationen mit sich bringt. Dazu gehören unter anderem die global weitreichenden Folgen der Pandemie, militärische Unterstützung zur Bekämpfung der Pandemie über Ländergrenzen hinweg und terroristische Versuche, Viren als Waffe einzusetzen. Es wird deutlich, dass sich die Wahrscheinlichkeit für das häufigere Auftreten von Epidemien und Pandemien in den letzten Jahrzehnten erhöht hat und das in den nächsten Jahren mit manipulierten oder synthetisch hergestellten Erregern gerechnet werden kann, die massiv disruptive Auswirkungen nach sich ziehen können. Letztere Gefahr wird aktuell noch wenig wissenschaftlich, politisch und regulatorisch beleuchtet, da es sich meist um Dual-Use-Forschung für zivile Zwecke handelt.
Autor:
Dominik Juling studierte Politikwissenschaften an der TU München und ist stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundesverbands für Sicherheitspolitik an Hochschulen. Aktuell leistet er seinen freiwilligen Wehrdienst. Er beschäftigte sich im Rahmen von Praktika im Joint Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Defence Centre of Excellence, im NATO Joint Support and Enabling Command und im George C. Marshall Center mit Sicherheitspolitik und Klimawandel.
Literaturtipps:
- Hemicker, Lorenz (2020): Unberechenbare Gefahr, loyal das Magazin 5/2020.
- Smitham, Eleni / Amanda Glassman (2021): The Next Pandemic Could Come Soon and Be Deadlier, Center for Global Developement.
- Telenti, Amalio u.a. (2021): After the Pandemic: Perspectives on the Future Trajectory of COVID-19, Nature 596, p.495-504.
- Trojok, Rüdiger (2016): Biohacking. Gentechnologie für alle, Rezension von Deutschlandfunk Kultur.
- Wickiser, J. Kenneth u.a. (2020): Engineered Pathogens and Unnatural Biological Weapons: The Future Threat of Synthetic Biology, CTC Sentinel13 (8), Combating Terrorism Center at West Point.
Dieser Text stammt aus dem Sicherheitspolitischen Newsletter des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Diesen können Sie hier abonnieren.