Der digitale Raum hat in den vergangenen Jahren als operatives Feld zunehmend an Bedeutung gewonnen. Immer häufiger verlagern sich Kriegsgeschehen auch in den Cyberraum. Die klassische Kriegsführung wandelt sich verstärkt einer hybriden Kriegsführung zu. Egal ob durch das Verbreiten von desinformativen Inhalten, DDoS-Angriffe (Versuch, eine Netzwerkressource durch Überflutung von Anfragen zum Zusammenbruch zu führen) oder Hackerangriffe, beispielsweise mit dem Ziel, die kritische Infrastruktur eines Landes lahmzulegen: Akteure im Cyberraum operieren mit einem hohen Maß an Kreativität, aber auch mit Hilfe von ausgeklügelten Verschleierungstaktiken.
Dennoch sind keine dieser Möglichkeiten neu. Vielmehr ist eine Veränderung im Hinblick auf die Qualität sowie auf die Orchestrierung von diversen Instrumenten feststellbar, welche die Sicherheitspolitik von primär demokratischen Staaten auf eine Probe stellt. Allerdings sind Cyberangriffe nicht nur eine Gefahr für demokratische Systeme. Auch für Soldatinnen und Soldaten, die sich beispielsweise in Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen befinden oder gegen kritische Infrastruktur von Staaten können Cyberangriffe eine große Wirkungsmacht entfalten. Deshalb hat die NATO im Jahr 2011 mit der Gründung einer neuen Einheit auf diese Gefahren reagiert.
Bisherige Maßnahmen reichen nicht aus
Diese ist seit 2012 operativ tätig und nennt sich Cyber-Rapid-Response-Team (CRRT). Das CRRT – eine Art schnelles Cyber-Eingreifteam- ist an das technische Zentrum der NATO angegliedert und bestand bislang aus sechs ständigen Expertinnen und Experten. Je nach Mission wurden zusätzliche Fachleute hinzugezogen, die das Ziel der Mission unterstützten. Im Zuge des NATO-Gipfels im Juni 2022 wurde jedoch festgestellt, dass die bisherigen Maßnahmen gegen Angriffe aus dem Cyberraum nicht mehr ausreichen. In Madrid wurde verkündet, dass der Aspekt der Cybersicherheit weiterentwickelt werden soll. Diese Weiterentwicklung hat jüngst die deutsche Cyberbotschafterin Regine Grienberger im „Podcast vom Posten“ des Auswärtigen Amts angesprochen. Sie kündigte an, dass noch in diesem Jahr die Einrichtung einer schnellen Eingreiftruppe für den Cyberraum erfolgen wird. Ziel der Truppe ist es, bei Cyberangriffen schnell zu reagieren, den betroffen Alliierten zu unterstützen und kritische sowie digitale Infrastrukturen zu schützen.
Die schnelle digitale Eingreiftruppe soll jedoch, wie aus der NATO-Deklaration beim Gipfel 2021 hervorgeht, auf freiwilliger Basis beruhen. Dies wirft die Frage auf, warum sich gegen festere Strukturen innerhalb der NATO entschieden wurde. Sinnvoller wäre es, das schnelle Eingreifteam an das CRRT der NATO anzugliedern, um eine gemeinsame Cyberabwehr aller NATO-Mitgliedsstaaten zu gewährleisten. Ein Problem des Freiwilligkeitsprinzips ist der mögliche Verlust von wichtigen Kenntnissen, sollten sich Staaten nach einiger Zeit gegen eine weitere aktive Partizipation entscheiden. Auch wenn die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit der EU (engl. Permanent Structured Cooperation, kurz PESCO), an der sich orientiert werden soll, im Hinblick auf das europäische CRRT ebenfalls auf freiwilliger Basis arbeitet, scheint sie dennoch mehr Struktur zu haben.
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Dem CRRT der EU liegt ein Rotationsprinzip zu Grunde, wie es in ähnlicher Art und Weise auch bei der NATO Response Force (NRF) praktiziert wird. Im jährlichen Abstand wird der Staffelstab an ein anderes Land übergeben, welches die Führung übernimmt. Fehlen solche Strukturen bei der NATO und ihrer schnellen digitalen Eingreiftruppe, könnte sich relativ zügig ein Status quo im Hinblick auf den Umgang mit Bedrohungen im Cyberraum etablieren. Dadurch würde sich wiederrum die Abwehrfähigkeit der NATO und ihrer Alliierten auf Dauer verschlechtern.
Die vermeintlich losen Strukturen einer schnellen digitalen Eingreiftruppe der NATO führen zu einer hohen Ausfallquote im Hinblick auf das Wissens- und Fähigkeitsmanagement, weshalb die Antwort des Gipfels von 2021 auf die Bedrohungen und Gefahren im Cyberraum zu kurz greift und den Eindruck erweckt, dass die NATO auf ebendiese noch keine Antwort zu haben scheint. Ein Nachjustieren der NATO ist hier dringend erforderlich, um die Eingreiftruppe langfristig als erfolgreiche Einheit zu etablieren.