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Das Baltikum: Kooperationsraum und Konfrontationszone




Soldatinnen und Soldaten der Enhanced Forward Presence Battle Group treten in Rukla/Litauen an.

Foto: Bundeswehr/Jörg Volland

baltikumBSHnatosicherheitspolitik

Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wachsen die Sorgen im Baltikum. Erst gestern hat Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch in Litauen zusätzliche militärische Unterstützung zur Abschreckung und für die Verteidigung gegen einen möglichen russischen Angriff zugesagt. Das deutsche Engagement solle zu einer „robusten Kampfbrigade“ ausgebaut werden – hier nachlesen. Das Baltikum als „geopolitischer Brennpunkt“ war zuletzt auch Thema bei der Außen- und Sicherheitspolitischen Hochschulgruppe der Universität Heidelberg im Bundesverband für Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH). „Das Baltikum verbindet alles, was Russland und die EU in Streit bringen kann“, sagte Dr. Philipp-Christian Wachs, Strategieberater eines Beratungsunternehmens, während seines Vortrages vor den Studierenden.

Estland, Lettland und Litauen zeigen mehrere geopolitische Besonderheiten und befände sich in einem Areal von Interessenkonflikten – teils historisch aufgeladenen Wahrnehmungsdifferenzen, die seine besondere und umstrittene Signifikanz in Osteuropa erklären würden. In den vergangenen 25 Jahren habe eine „Westernisierung und strategische Neuformatierung der Region durch die EU- und NATO-Erweiterungen“ stattgefunden, sagte Wachs. Und dennoch bliebe das Baltikum geopolitisch weiterhin exponiert.

Um diese geostrategische Besonderheit zu erklären, blickte der promovierte Historiker kurz zurück: Kaum ein anderer geografischer Raum sei so häufig Kulminationspunkt von zwischenstaatlichen Konflikten gewesen. Neben noch immer spürbaren Folgen des Hitler-Stalin-Paktes und der sowjetischen Annexion Litauens im Jahr 1940 seien auch frühere Strategien nach wie vor erkennbar: Die Unterdrückung der kulturellen, religiösen und politischen Eliten und das Wiederherstellen einer moskautreuen Regierung seien strategische Schritte, die Russland auch mit Blick auf die aktuelle Situation in der Ukraine erwägen würde.

„Kooperationsraum und Konfrontationszone“

Gleichzeitig bestehe ein sehr enges kulturelles und historisches Verhältnis zwischen Russland und dem Baltikum – dies sei insbesondere an der hohen Präsenz gut integrierter russischer Minderheiten in den drei baltischen Staaten zu sehen. Diese Präsenz brächte aber auch eine innenpolitische Unsicherheit mit sich, obwohl die eher schwach gebildeten Minderheiten die größere Gefahr darstellten, da sie anfälliger für russische Propaganda wären. Diese Unsicherheit zeige sich zudem in der offenen Flanke des Baltikums: Die Region des östlichen Ostseeraumes als direkte Schnittstelle des Westens mit Russland ist laut Wachs gleichermaßen „ein Kooperationsraum und eine Konfrontationszone“.

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Eine weitere Verwundbarkeit der baltischen Länder lag in ihrer Energieabhängigkeit gegenüber Russland. „Waren Litauen, Estland und Lettland 2012 noch zu 100 Prozent abhängig vom russischen Gas, sind sie heute gasversorgungsunabhängig“, sagte Wachs. Die intensive Bemühung der vergangenen Jahre um Unabhängigkeit in der Energieversorgung demonstriere die unterschiedliche Wahrnehmung russischer Einflussnahme durch das Baltikum auf der einen und die mittel- und westeuropäischen Länder auf der anderen Seite. Wachs zufolge spiele die hohe Bedrohungswahrnehmung im Baltikum eine große Rolle: „Politik generell und Außenpolitik speziell ist in den baltischen Staaten stark versicherheitlicht.“

Wirksame Rückversicherung

So hätten baltische Strategen mit Blick auf Russland auch Worst-Case-Szenarien und den Einsatz von militärischen Mitteln nie ausgeschlossen. Diese Befürchtungen bezögen sich insbesondere auf die Modernisierung der russischen Streitkräfte sowie auf die Konzentration konventioneller Kräfte im westlichen Militärbezirk (um Kaliningrad), aber auch auf Russlands Nuklearstrategie und seine zahlreichen und häufigen Militärübungen. Die baltischen Staaten würden schon seit Jahren auf ein „substanzielles militärisches Kräfteungleichgewicht“ und auf den „schwachen militärischen Fußabdruck der NATO in der Region“ hinweisen, sagte Wachs.

Der Historiker und Strategieberater Dr. Philipp Wachs bei seinem Vortrag vor den Studierenden. (Foto: privat)

Durch die Ereignisse in der Ukraine seit 2014 und insbesondere seit Februar dieses Jahres sehen sich die baltischen Nationen in ihrer Risikoeinschätzung bestätigt. Sie wollen daher keine zweitklassige Mitgliedschaft in der NATO, sondern eine wirksame Rückversicherung und Abschreckung. Doch so verständlich diese Forderung auch sein mag, so demonstriere das Ringen der deutschen Regierung und ihrer internationalen Partner momentan nur allzu deutlich, welche geopolitische Tragweite jeder Entscheidung in dieser Causa beizumessen sei, meinte der Referent zum Schluss.

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