„Das Thema ist längst nicht erledigt, wenn Rakka fällt“
Das betonte unter anderem Omid Nouripour, Außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. "Die Ursachen für Konflikte im Nahen Osten haben nicht nur die eine Ursache, sondern eine Vielzahl von Faktoren wirken zusammen: Wir haben die Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Alte Konflikte, die jahrzehntelang ruhten, werden wieder neu aufgebrochen. Erschwerend kommt hinzu, dass mehr Akteure auf dem Feld stehen als es früher der Fall war", sagte Nouripour, der Deutschland und Europa unter Handlungsdruck sieht. "Amerika wird sich – unabhängig vom Ausgang der Wahl im kommenden Jahr – nicht als Schutzmacht aufspielen." Eine weitere Ursache macht der Außenexperte der Grünen im Zerfall staatlicher Strukturen aus: In Syrien habe die fehlende politische Freiheit eine zentrale Rolle gespielt, doch eine Konstante in allen gescheiterten Staaten sei die Korruption. So vielfältig die Ursachen für Krisen und damit auch für Flucht seien, so vielfältig müssten sich auch die Lösungsansätze darstellen. "Mikromanagement" ist hier das Stichwort.
Soziale Frage bleibt, auch wenn der IS besiegt ist
Die Erosion von Staatlichkeit machte auch der Journalist und Libyen-Korrespondent Mirco Keilberth als Ursache für Migrationsbewegungen aus. "Das Thema ist auch nicht erledigt, wenn die Anti-IS-Koalition Rakka erobert. Was bleibt, ist die soziale Frage", mahnte Keilberth. Eine Art Marshall-Plan für die Region muss den jungen Menschen eine Perspektive geben, damit die Ideologie des sogenannten IS nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Was einleuchtet, denn wer sich auf staatliche Strukturen verlassen kann und eine Möglichkeit hat, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, ist weniger bereit, eine Waffe in die Hand zu nehmen oder sein Wohl und Wehe in die Hände einer Miliz zu legen. Fest steht aber: "Wenn wir nicht eingreifen, endet es wie in Libyen. Und das können wir uns an der Mittelmeer-Küste nicht leisten." Einen möglichen Lösungsansatz sieht der Nahost-Experte in der Schaffung einer Institution, die die Arbeit mit den Levante-Staaten steuert. Den Kerngedanken des IS sieht er jedoch langfristig in der Region verankert: "Wir werden uns in 20 Jahren mehr vor dem IS fürchten müssen als heute, auch wenn die Organisation dann vielleicht anders heißt."
Wahrnehmung der Konflikte im Nahen Osten hat sich dramatisch geändert
Dass sich etwas tun muss, steht auch für Dr. Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, fest. "Aktuell machen Europäer rund elf Prozent der Bevölkerung aus, in ein paar Jahren werden es nur noch vier Prozent sein. Da ist doch klar, dass wir uns bewegen müssen", sagte Kamp. Er gab zu bedenken: "Wenn Staaten sich auflösen, haben wir keinen mehr, gegen den wir intervenieren können. Seit der Flüchtlingskrise im vergangenen Sommer hat sich die Wahrnehmung der Konflikte im Nahen Osten in Deutschland und Europa dramatisch geändert." Entscheidend sei auch, der Bevölkerung bewusst zu machen, vor welch komplexen Herausforderungen wir in den kommenden Jahrzehnten stehen. "Das stärkt die Resilienz unserer Gesellschaft, die Widerstandskraft. Ein wichtiges Rüstzeug, um beispielsweise mit Terroranschlägen umgehen zu können, ohne in Panik zu geraten."
Friedliche Demonstration vor der Tür
Während der zweiten Podiumsdiskussion des Tages, als in der Hammerschmiede Vertreter von Industrie- und Handelskammern, der Katholischen Kirche und des Roten Kreuzes über die innenpolitische Perspektive der Flüchtlingskrise sprachen, demonstrierten vor der Tür rund 50 Friedensaktivisten gegen die Königsbronner Gespräche. Bereits bei seiner Begrüßung am Freitagabend hatte Karl-Heinz Brunner, Stellvertreter des Präsidenten des Reservistenverbandes, die rund 350 Gäste darüber informiert: "Die Königsbronner Gespräche mit ihrem sicherheitspolitischen Schwerpunkt werden immer noch gern in eine angebliche militaristische Ecke gesteckt. Indes möchte ich zu bedenken geben: Im vergangenen Jahr diskutierten wir bereits über den 'vernetzten Ansatz' – also die Einbeziehung sämtlicher Ressorts im Rahmen der Sicherheitspolitik. In diesem Jahr wollen wir die Frage diskutieren, inwieweit Außenpolitik im vernetzten Ansatz Antworten auf die Flüchtlingskrise liefern kann – ist das etwa kriegstreiberisch oder militaristisch?"
Die innenpolitische Perspektive der Flüchtlingspolitik
Ganz und gar ohne militärischen Aspekt ging die zweite Podiumsdiskussion über die Bühne. Einer der Diskutanten dabei war Dr. Johannes Richert, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes e.V.: "Deutschland war auf eine solche Massenbewegung nicht vorbereitet", sagte Richert. Erstmals seit 1945 habe Deutschland internationale Hilfe anfordern müssen. Er sah aber auch eine Chance: "Kollegen des Roten Halbmondes waren plötzlich ‚Gast‘ in unseren Zelten. Warum sollten wir die nicht in die Flüchtlingshilfe mit einbinden?" Dr. Marwan Abou Taam vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung bremste die Hoffnung der IHK, die zumeist jungen Geflüchteten schnell in Lohn und Brot zu bringen: "Bis die ersten in qualifizierte Arbeit kommen, wird es sechs bis sieben Jahre dauern. Ich kenne Beispiele, da ist die dritte Generation in der Arbeitslosenschleife." Einigkeit herrschte jedoch darüber, dass der Weg in die deutsche Gesellschaft nur über die Sprache und über die Anerkennung unseres Wertekanons führt.
Vernetzter Ansatz kaum erkennbar
Dass beim Zusammenwirken von Nichtregierungsorganisationen, zivilen Helfern und Militär noch einiges im Argen liegt, schimmerte beim dritten und letzten Panel durch. "Wir sprechen viel über vernetzte Sicherheit, doch die Operationalisierung derer ist für mich nicht klar erkennbar", sagte Oberstleutnant André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbandes. "Dabei hapert es in erster Linie an Ressort-Egoisten", beklagte Prof. Dr. Christopher Daase vom Leibniz-Institut. "Auf Bundesebene ist das schon schwer, auf internationaler Ebene fast unmöglich." Das geht jedoch auf Kosten der Nachhaltigkeit. "Nichtregierungsorganisationen können nur gute Arbeit machen, wenn sie sich sicher fühlen", sagte General a.D. Hans-Lothar Domröse.
In seinem Schlusswort betonte Brunner: "Es ist unsere Aufgabe, das Wertegerüst innerhalb der EU zu festigen und zum Anker unserer Politik zu machen. Teil der Antwort ist ein starkes Europa mit starken Staaten und einem starken Deutschland, um Integration durch Teilhabe zu schaffen."
Bericht zum Auftakt am Freitagabend: Flüchtlingskrise ist eine moralische und humanitäre Verantwortung
Weitere Fotos von der Veranstaltung gibt es in unserem flickr-Stream
Sören Peters
Bild oben:
Podiumsdiskussion in der Königsbronner Hammerschmiede.
Die 5. Königsbronner Gespräche standen unter dem Motto
"Die Flüchtlingskrise: Welche Antworten kann Außenpolitik im vernetzten Ansatz liefern?".
(Foto: Ralf Wittern)
Zweites Bild:
Omid Nouripour, Außenpolitischer
Sprecher der Grünen im Bundestag.
(Foto: Ralf Wittern)
Drittes Bild:
Dr. Karl-Heinz Kamp, Präsident der
Bundesakademie für Sicherheitspolitik.
(Foto: Ralf Wittern)
Viertes Bild:
Dr. Marwan Abou Taam vom Berliner Institut für
empirische Integrations- und Migrationsforschung.
(Foto: Ralf Wittern)
Karl-Heinz Brunner bedankt sich bei Nora Müller von der
Körber-Stiftung, die als Moderatorin durch die Veranstaltung führte.
(Foto: Ralf Wittern)