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Debattenbeitrag: In der Konfliktverhütung aus Fehlern lernen

Spätestens mit Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat sich die schon 2014 eingeleitete Refokussierung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf die Landes- und Bündnisverteidigung vollzogen. Die ausgerufene Zeitenwende hat Auslandseinsätze zur Krisenbewältigung und Konfliktverhütung (KuK) gänzlich an den Rand gedrängt. Dennoch sollte die Bundeswehr das Thema nicht aus den Augen verlieren, meint Christian Frick.

Spezialisierte Kräfte des Heeres besteigen ein Transportflugzeug für die militärische Evakuierungsoperation Sudan. Für solche Fälle muss die Bundeswehr vorbereitet sein.

Foto: Bundeswehr / Jana Neumann

debattenbeitrag

Trotz des Kriegs in der Ukraine ist keine Rückkehr zur früheren, (vermeintlich) einfacher zu handhabenden Blockbildung zu erwarten. Ganz im Gegenteil: Die globale Sicherheitslage ist noch komplexer und gefährlicher geworden. Nach dem überstürzten Abzug aus Afghanistan und der Beendigung der Missionen in Mali bietet sich nunmehr die Chance, aus der Vergangenheit für ein zukünftiges Engagement der Bundeswehr zu lernen. Es gilt, den Fehler einer eindimensionalen strategischen Ausrichtung, wie nach dem Ende des Kalten Kriegs zu vermeiden. Die Überlegungen zur KuK dürfen nicht aus den strategischen Planungen verschwinden.

Zur Vermeidung von Zielkonflikten in der zukünftigen KuK bietet die Kategorisierung von strategischen Zielen in einem abgestuften Verfahren einen möglichen Lösungsansatz. Auf unterster Schwelle militärischer Interventionen sollten Auslandseinsätze eingruppiert werden, die ausschließlich auf die militärische Bekämpfung einer unmittelbar exterritorialen Gefährdungsquelle angelegt sind. Einzig die Armee wird in der Stufe I ein sicherheitspolitisches Risiko für die Bundesrepublik und seiner Verbündeten, das es auszuräumen oder zumindest zu minimieren gilt.

Weitaus ambitionierter ist der Ansatz der Stufe II, einen Staat oder gar eine ganze Region zu stabilisieren. Solche Stabilisierungsmissionen sind erst dann als Erfolg zu bewerten, wenn vom jeweiligen Einsatzgebiet keine nennenswerte Gefahr mehr für die Bundesrepublik und ihrer Bündnispartner ausgeht. Der Aufbau eines funktionsfähigen Staates (State Building, Stufe III) ist die langwierigste und herausforderndste Vorgabe, die an einen Auslandseinsatz gestellt werden kann.

Was bedeutet das für die Bundeswehr?

Orientiert sich die künftige KuK an diesem vorgestellten dreistufigen Modell, schließt sich unmittelbar die Frage an, was daraus für die Bundeswehr und deren Fähigkeitsprofil resultiert. Unabhängig davon, welche Zielvorgabe von der Politik gesetzt wird, haben sich die Streitkräfte auf dasjenige zu konzentrieren, was sie militärisch beigetragen können. Bei Einsätzen der Stufe I wird das militärische Handeln stets das Wichtigste sein, um eine akute Bedrohung zu bekämpfen. Wie bereits erwähnt werden kleinere, spezialisierte Verbände den Hauptbestandteil der benötigten Krisenreaktionskräfte bilden.

Akute und hochintensive Kampfhandlungen nehmen bei Auslandseinsätzen der Stufe II zwar eher ab, jedoch muss die Bundeswehr auch hier in erster Linie die Rahmenbedingungen für ein sicheres und geschütztes Umfeld schaffen (beziehungsweise sukzessive und stringent auf die einheimischen Kräfte übertragen). Das Wirken des Militärs erlaubt es anderen zivilen Institutionen, ihre Arbeit umzusetzen. Ein Schwachpunkt in den bisherigen deutschen Auslandseinsätzen war es, in der Bundeswehr „bewaffnete Entwicklungshelfer in Uniform“ zu sehen.

Selbstkritisch ist anzumerken, dass die Bundeswehr in den langjährigen Missionen selbst versuchte, mit eigenen (teilweise nur rudimentär) ausgebildeten Kräften alle Facetten originär ziviler Aufgaben zu übernehmen. Soldaten haben einen anderen Auftrag als Entwicklungshelfer oder Beamte und werden daher nie im gleichen Maße Tätigkeiten ausführen können, die in das Kerngeschäft anderer Geschäftsbereiche außerhalb des Verteidigungsressort fallen. Unbestreitbar können im Rahmen der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit (ZMZ) etwa Bauprojekte mit Pionierarbeiten unterstützt werden. Eine militärische Kernkompetenz ist dagegen sicher nicht das Betreiben von Radio-, Fernseh- oder Internetauftritten in den lokalen Sprachen. Klare interministerielle Zuständigkeiten und Zuweisungen sorgen für zwei positive Effekte: Einerseits arbeiten alle Beteiligten bestmöglich mit ihrer eigenen Expertise auf das gemeinsame strategische Ziel hin und andererseits entfernt sich die Bundeswehr nicht zu sehr von ihrem militärischen Kernauftrag. Neben den Großverbänden, die für die Kernaufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung vorgesehen sind, müssen Einheiten für Krisenreaktionskräfte vorgehalten werden. Die KuK erfordert, dass etwa jederzeit Cyberoperationen, Luftschläge, Evakuierungsoperationen oder bei laufenden Auslandseinsätzen die logistische Rückverlegung mit Deckungskräften möglich sind.

Wehrpflicht-Diskussion nur folgerichtig

Die aktuelle Truppenstärke der Bundeswehr reicht aber nicht, um die avisierte glaubhafte Verteidigungsbereitschaft im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung zu erreichen, geschweige denn dafür gleichzeitig Einheiten für die KuK zu assignieren. Mit Blick auf diese Misere und in weiser Voraussicht auf eine mögliche erneute Präsidentschaft Trumps ist es nicht verwunderlich und folgerichtig, dass die Diskussion um eine Rückkehr zur Wehrpflicht an Fahrt aufnimmt.

Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr sollten daher immer im europäischen Verbund agieren, ausgeplant und turnusmäßig abgewechselt werden. Deutsche Überlegungen können sich hierzu an die seitens der EU bis 2025 erhobene strategische Forderung nach einer eigenständigen europäischen „Rapid-Deployment-Capacity“ anschließen, um so gemeinsam mit den EU-Partnern die notwendigen Fähigkeiten zur mehrstufigen KuK beizubehalten. Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit lösen sich infolge der Mehrdimensionalität der sicherheitspolitischen Herausforderungen und der hybriden Kriegs- und Konfliktführung zunehmend auf. Die grenzenlosen Gefahrenquellen der Gegenwart bedürfen einer ganzheitlichen Antwort, welche durch die Schaffung eines Kontinuums aus Sicherheit und Verteidigung gegeben werden kann. Neben der Ertüchtigung der Streitkräfte und der zivilen Verteidigung zur Landes- und Bündnisverteidigung, bedarf eine wirksame Gesamtverteidigung auch der Fähigkeiten für eine wirksame KuK unter Einbindung sämtlicher Ressorts und sicherheitspolitischen Akteure. Die bisherige KuK ist sicherlich keine durchgehende Erfolgsgeschichte gewesen, da zahlreiche Rückschläge eingesteckt und teilweise auch Scheitern eingeräumt werden mussten. Allerdings haben Auslandseinsätze der Bundeswehr gemeinsam mit den Partnern aus NATO und EU akute humanitäre Katastrophen gestoppt, wie zum Beispiel im Kosovo, oder demokratische Prozesse unterstützt, wie zum Beispiel im Demokratischen Republik Kongo.

Realismus als Erfolgsrezept

Die vollumfängliche Fokussierung begrenzt auf die unmittelbare Landes- und Bündnisverteidigung ist strategisch zu kurz gedacht. Kontrahenten, allen voran China und Russland, sind weltweit tätig, um ihre strategischen Ziele zu erreichen. Sie scheuen nicht davor zurück, militärische Mittel zur Interessendurchsetzung einzusetzen, sei es durch eigene Truppen, die Unterstützung von lokalen bewaffneten Gruppen oder durch angeheuerte Söldnertruppen. Diesem aversiven Verhalten müssen Deutschland und seine Verbündeten entgegentreten und weiterhin in der KuK aktiv bleiben. Eine „KuK 2.0“ vermeidet frühere Fehler, indem sich eine verantwortungsvolle Sicherheits- und Verteidigungspolitik einerseits nicht nur auf ein Bedrohungsszenario versteift und andererseits keine utopischen Zielvorgaben setzt. Herrscht in Politik und Öffentlichkeit mehr Realismus bezüglich der erreichbaren Ziele, bleibt beim Korrigieren von Fehleinschätzungen eine öffentliche Brandmarkung aus, wird die Wirkung eigener Kräfte nicht über- und die der feindlichen Kräfte nicht unterschätzt, bewerten die Verantwortlichen in Politik und Militär die Gesamtlage im Einsatzgebiet immer wieder neu sowie ausschließlich sachgerecht, dann wird die KuK einen erheblichen Beitrag zur nationalen Sicherheit beitragen.


Der Autor

Christian Frick ist Jurist und Beamter im höheren nichttechnischen Verwaltungsdienst der Bundeswehr. Derzeit ist er im Hauptquartier des Eurokorps in Straßburg tätig. Christian Frick ist Oberstleutnant d.R. und in der Heimatschutzkompanie Oberrhein beordert.

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