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Der Plan Heer als Blaupause für die Zukunft der Reserve

„Die Steuererklärung müsse so simpel sein, dass sie auch auf einen Bierdeckel passe“, forderte 2003 Friedrich Merz. 18 Jahre später sieht sich die Bundeswehr ebenfalls mit einer „Bierdeckel-Forderung“ konfrontiert. Der hier abgebildete „Plan Heer“ skizziert drei Phasen eines ehrgeizigen Ziels. Die landgestützten Streitkräfte sollen fit gemacht werden für die (zukünftigen) Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung. Kurz gesagt: Das Heer soll personell und materiell wieder wachsen und die Reserve spielt dabei eine entscheidende Rolle.

(Foto: Landeskommando Bayern/Felicia Englmann)

heerreserveZukunft

Vier Jahre nach der Erstveröffentlichung des wichtigsten strategischen Grundlagendokuments der Bundesrepublik Deutschland – dem „Weißbuch“ von 2016 – liegt nun mit der Strategie der Reserve das Dokument vor, das die aus dem Weißbuch abgeleiteten Forderungen wie die Konzeption der Bundeswehr und das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr abschließt und an deren Ausformulierung der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. (VdRBw) und der Beirat Reservistenarbeit beim VdRBw beteiligt waren. Aus der Strategie der Reserve leiten sich drei Schwerpunkte für die Aufgaben der Reserve ab, die sich wie folgt darstellen: Erstens gewährleistet die Reserve den Aufwuchs der Streitkräfte, verstärkt zweitens die Einsatzbereitschaft und erhöht drittens mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr. Die Bedeutung der Strategie der Reserve (SdR) wurde erneut, während der zuletzt virtuell durchgeführten Jahrestagung der Reserve sichtbar, die die Implementierung der Strategie in allen Organisationsbereichen der Bundeswehr thematisierte.

Hinter dem ambitionierten Plan Heer stecken Planungen und Entwicklungen, die auf mehreren Ebenen stattfinden. Zunächst soll bis 2023 eine voll ausgestattete Brigade für die Very High Readiness Joint Task Force Land (VJTF) bereitstehen. Diese Speerspitze der NATO muss innerhalb von 48 Stunden einsatzbereit sein, um im Fall der Fälle die Mitgliedsstaaten an deren Außengrenzen verteidigen zu können. Bis 2027 sollen der VJTF-Brigade zwei weitere Brigaden folgen, die unter einer Division mit Divisionstruppen zusammengefasst werden sollen. Bis 2032 sieht der Plan Heer vor, dass zwei weitere Divisionen durch Digitalisierung sowie durch personellen und materiellen Aufwuchs für die Aufgaben in der Landes- und Bündnisverteidigung und für das Internationale Krisenmanagement befähigt werden.

(Archiv Reservistenverband/Original: Bundeswehr)

Auf dem Weg zu drei personell und materiell voll ausgestatteten Divisionen im Jahr 2032 soll die Reserve eine Schlüsselrolle spielen. Das geht aus dem „Konzept Reserve Heer“ hervor. Es wurde während der Jahrestagung der Reserve, im Oktober 2020 in Berlin, vorgestellt. Demnach will das Heer seine nicht-aktiven Truppenteile zunächst erhalten, anschließend ausbauen und schließlich einsatzbereit machen. In einem zweiten Schritt sollen die Angehörigen der Ergänzungstruppenteile so gut ausgebildet sein, dass sie bei Bedarf in aktive Strukturen integriert werden können. Das heißt, sie ergänzen dort, wo in aktiven Strukturen Ressourcen fehlen und erhöhen somit den Einsatzwert und die Durchhaltefähigkeit. Das Konzept nennt zwei Schlagwörter für die grundlegenden Ziele: Einsatzbereitschaft und tiefe Integration der Reserve. „Eine erfolgreiche Umsetzung der Strategie der Reserve im Heer ist Voraussetzung dafür, dass die im Heer wegen fehlender Ressourcen nicht verfügbaren Einsatzkräfte durch nicht- bzw. teilaktive Ergänzungstruppenteile verstärkt werden können. Die Vorgaben des Fähigkeitsprofils sind bis 2031 nur mit einem Personalumfang von mindestens 60.000 aktiven Soldaten und 20.000 Verstärkungsdienstposten für die Truppenreserve realisierbar“, hat der Leiter des Referats für Reservistenangelegenheiten im Kommando Heer und Inspizient für Reservistenangelegenheiten im Heer unlängst erläutert.

Analog zum Plan Heer verfolgt die Neuausrichtung der Reserve drei Etappenziele. Bis Ende 2023 sollen Strukturen geschaffen und Verfahren zum Aufwuchs entwickelt werden. Die Schaffung von Strukturen bedeutet hier, dass die Ergänzungstruppenteile und Einzeldienstposten für Reservisten geschaffen werden, um zielgerichtet die Fähigkeiten des Heeres zu stärken. Aufwuchsverfahren meint, dass die Mittel und Wege vorhanden sind, um die richtig ausgebildeten Reservisten zur richtigen Zeit am richtigen Ort einsetzen zu können. Dabei soll die Grundbeorderung helfen. Bei der Grundbeorderung (GBO) handelt es sich um ein Novum der Wehrergänzung. Sie ist die grundsätzliche Einplanung aller wehrdienstfähig aus dem aktiven Dienst ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in die Reserve für einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren, um eine vollständige Bedarfsdeckung sowohl der Truppenreserve als auch der Territorialen Reserve im Bereitschafts-, Spannungs- oder Verteidigungsfall sicherzustellen.

Erstere dient der Unterstützung der aktiven Truppe als integraler Bestandteil in allen Organisationsbereichen (OrgBer). Die militärischen OrgBer können die Truppenreserve auch in Form von Ergänzungstruppenteilen zum Aufbau oder zur Verstärkung bestimmter Fähigkeiten aufstellen, wohingegen die Territoriale Reserve zu territorialen Verbindungs-, Sicherungs- und Unterstützungsaufgaben eingesetzt wird. Sie ist Teil der Streitkräftebasis und neben der Verbindungsorganisation, bestehend aus Bezirks- (BVK) und Kreisverbindungskommandos (KVK) zu den Landkreisen und Regierungsbezirken der Länder, zu den Nachbarstaaten und den Stützpunkten Hilfeleistungen im Innern in der Streitkräftebasis, werden den 16 Landeskommandos der Bundeswehr unterstellte Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) nach regionalen Gesichtspunkten aufgestellt, die zur Entlastung der aktiven Truppe im Heimatschutz, der Katastrophenhilfe und im Host Nation Support vorgesehen sind. Vor diesem Hintergrund steht auch ihre baldige Umbenennung in Heimatschutzkompanien bevor.

Generalleutnant Markus Laubenthal, Stellvertreter des Generalinspekteurs, spricht zum Landesregiment Bayern während der Herbstübung 2020 des Pilotverbandes in Wildflecken. (Foto: Landeskommando Bayern/Felicia Englmann)

Gegenwärtig beläuft sich die entsprechende Planungsgröße auf jährlich 15.000 neu in die Grundbeorderung zu entlassende Reservistinnen und Reservisten, wobei hier zweierlei zu bedenken ist: Da die Dauer der GBO erstens die wehrrechtlichen und dienstleistungsrechtlichen Altersgrenzen nicht berührt und zweitens auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht, bleibt abzuwarten, wie sich das Modell rein zahlenmäßig entwickelt. Denn hier ist geplant, dass grundsätzlich Beorderungen anzustreben sind, für die die ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten fachlich qualifiziert sind bzw. im Rahmen der aktiven Dienstzeit ausgebildet wurden. Für diejenigen Soldatinnen und Soldaten, die keine weitergehende Spezialisierung erfahren, ist stets ein Ausbildungsstand herzustellen und mit der Zuerkennung einer militärischen Qualifikation nachzuweisen, der ohne weitere Ausbildung eine Beorderung im Ergänzungsumfang der Streitkräfte erlaubt. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auch die persönlichen Präferenzen der künftigen Reservistinnen und Reservisten zu berücksichtigen sind, bedeutet dies de facto, dass nur diejenigen eine schnelle Aufwuchsfähigkeit im Bereitschafts-, Spannungs- oder Verteidigungsfall gewährleisten, die regelmäßig Dienst auf ihren Beorderungsdienstposten leisten.

Ein weiterer Baustein der Personalgewinnung für die Territoriale Reserve und Beschleunigungsfaktor für die Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte stellt das 2021 beginnende Projekt „Dein Jahr für Deutschland“ dar. Der neue freiwillige Wehrdienst ist in die Territoriale Reserve eingebettet. Seit dem 1. September letzten Jahres können sich Freiwillige auf die zunächst 1.000 Stellen bewerben. Die ersten Einstellungen sind bis zum 1. April 2021 und danach zu Beginn jedes weiteren Quartals vorgesehen. Die dreimonatige militärische Grundausbildung sollen die Freiwilligen in Einheiten der Streitkräftebasis absolvieren. Daran wird sich die Dienstpostenausbildung zur Sicherungssoldatin bzw. zum Sicherungssoldaten anschließen, die in Berlin, Delmenhorst oder Wildflecken erfolgen soll. Nach Abschluss der insgesamt siebenmonatigen Ausbildung werden die Freiwilligen in der Region, in der sie verwurzelt und vernetzt sind, für sechs Jahre in einer der 30 regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien, die flächendeckend im Bundesgebiet aufgestellt sind, eingeplant. In diesen sechs Jahren müssen sie insgesamt mindestens fünf weitere Monate Dienst leisten. Damit ihre erworbenen Kompetenzen erhalten und auf dem neuesten Stand bleiben, sollen sie möglichst einmal im Jahr ihren Reservistendienst leisten.

Schon die Bezeichnung dieser neuen Form des freiwilligen Wehrdienstes ist Programm: „Dein Jahr für Deutschland – freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz“ soll alle Frauen und Männer ansprechen, die sich für das Gemeinwohl und regionale Aufgaben im Heimatschutz interessieren. Der gesellschaftliche und soziale Charakter des insgesamt einjährigen Dienstes steht dabei im Vordergrund, womit Deutschland seiner Verantwortung in Europa gerecht werden will. Deshalb, so der Planungsgedanke, muss das Land selbst in Krisenlagen widerstandsfähiger werden. Die Bundeswehr stärkt mit dem freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz ihre bestehenden Reservestrukturen und die gesamtgesellschaftliche Krisenvorsorge. Die neuen Freiwilligen werden mit ihren Aufgaben unmittelbar für die Bevölkerung spürbar sein und eine Zusammenarbeit mit zivilen Hilfs- und Rettungsorganisationen ist geplant, damit die Hilfen im Krisenfall ineinandergreifen. Der Kreis der Heimatschützer soll so komplettiert werden, ohne dass es zu einem Konkurrenzkampf um Freiwillige oder ehrenamtlich engagierte Köpfe kommt.

Bis Ende 2027 sollen sämtliche skizierten Strukturen eingenommen sein. Dann sollen die Dienstposten in den Ergänzungstruppenteilen so besetzt sein, dass sie ihr Personal, falls erforderlich, aus- und weiterbilden beziehungsweise anderweitig qualifizieren können. Grundsätzlich bringen die Reservisten aus ihrer aktiven Dienstzeit Qualifikationen mit, die bei ihrer Einplanung Berücksichtigung finden sollen. Dies ermöglicht den Reservisten erworbenes Wissen und erlernte Fertigkeiten auch nach dem Dienstzeitende weiter einzusetzen. Das Ziel ist es, bis Ende 2031 die Ergänzungstruppenteile personell im Wesentlichen aufgefüllt und materiell ausgestattet zu haben. Die Ergänzungstruppenteile sollen dann so ausgerüstet und ausgebildet sein, dass sie als eigenständiger Kampfverband agieren können. Planungen sehen sechs Kampfbrigaden mit bis zu vier teil- oder nichtaktiven Kampftruppenbataillonen vor.

Der Bundeswehr-Anteil der Deutsch-Französischen Brigade würde zu einer vollwertigen Kampfbrigade ausgebaut und die Luftlandebrigade 1 könnte sowohl Aufgaben im Internationalen Krisenmanagement als auch in der Landes- und Bündnisverteidigung wahrnehmen. Zusammengerechnet ergibt das drei Divisionen mit acht Brigaden und entsprechenden Ergänzungstruppenteilen und Einzeldienstposten auf allen Ebenen. Hier schließt sich der Kreis zum Bierdeckelplan mit drei Divisionen zum Jahr 2032.

Damit der Plan aufgehen kann, müssen die Verbände ihre Ergänzungstruppenteile auf Vordermann bringen. Das Konzept Reserve Heer setzt dabei auf der Kompanie-Ebene an, dem Schwerpunkt dieser geplanten Stärkung der Truppenstrukturen. Schafft man es, den Kompaniegefechtsstand zu stärken, einen Garnisonstrupp, eine Sicherungsgruppe und zusätzliche Wechselbesatzungen aufzustellen, stärkt das gleichzeitig das Bataillon und das Regiment. 20.000 Verstärkungsdienstposten soll es in Zukunft für Reservisten geben.

Das am 9. Februar veröffentlichte Positionspapier der Bundesministerin der Verteidigung und des Generalinspekteurs „Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“ thematisiert explizit einen starken Fokus auf den Heimatschutz, der eine schlagkräftige Reserve mit einschließe, die im Katastrophenfall für die Amtshilfe in Deutschland ebenso zur Verfügung stehen müsse wie als wichtiger Kraftverstärker für alle anderen genannten Aufgabengebiete. Die Grundzüge für einen modernen und zeitgemäßen Heimatschutz sollen im April 2021 präsentiert werden.

(Foto: Vincent Mosch)

Oberstleutnant d.R. Prof. Dr. Patrick Ernst Sensburg MdB ist der Präsident des VdRBw und Vorsitzender der Reservistenarbeitsgemeinschaft (RAG) Deutscher Bundestag. Der promovierte Jurist ist Professor für öffentliches Recht und Europarecht an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW und an der Universität Wien. Seit 2009 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und in der 19. Wahlperiode Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und Mitglied im Verteidigungsausschuss. Er ist in der der Abteilung J1 beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr beordert.


Dieser Beitrag erscheint zeitgleich in der Ausgabe Wehrtechnik 1/2021.

Dieser Text stammt aus dem Sicherheitspolitischen Newsletter des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Diesen können Sie hier abonnieren.

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