Der Reservistenverband wird digitaler
Die Coronavirus-Krise beeinträchtigt das Vereinsleben des Reservistenverbandes. Veranstaltungen sind abgesagt. Treffen mit mehreren Kameraden waren aufgrund der Maßnahmen, die Bundesländer und Kommunen erlassen haben, bislang nicht möglich. Trotzdem steht die Reservistenarbeit nicht still. Das Verbandsleben geht digital weiter. Ist die Krise hier eine Chance für die Zukunft?
Trotz der Einschränkungen aufgrund von Covid-19 arbeitet der Reservistenverband an der Digitalisierung der loyal. So hat Oberstleutnant d.R. Wolfgang Wehrend, Vizepräsident für Kommunikation und digitale Transformation, die Leiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und ihre Mitarbeiter zu einer Videokonferenz zusammengerufen. Dabei sprachen sie darüber, wie die loyal als Marke des Reservistenverbandes in Zukunft noch sichtbarer und stärker positioniert werden kann. „Wir wollen die Reichweite der loyal im Internet und auf den Social-Media-Kanälen erhöhen. Wir denken da an eine Lösung mit einer eigenen loyal-Homepage, auf der es zusätzliche Inhalte und sicherheitspolitischen Hintergrund geben soll und an die loyal als ePaper“, sagt Wolfgang Wehrend. Dabei soll die loyal-Homepage in die bestehende Verbandswebsite integriert werden. So bleibe gewährleistet, dass die loyal auch in Zukunft als Magazin des Reservistenverbandes wahrgenommen werde. Ein erweiterter Auftritt der loyal im Netz soll die Werte des Reservistenverbandes als verlässlicher Partner der Bundeswehr vertreten, aber in der Berichterstattung sachlich-distanziert bleiben. „Wirkliche Loyalität ist nur dann gegeben, wenn wir uns der Mühe unterziehen, Sachverhalte zu analysieren und Alternativen anzubieten: wenn wir sachlich kritisieren. Das ist unser Mission Statement, das wir auch digital leben wollen“, sagt Wehrend.
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Die Digitalisierung der loyal ist ein Baustein von vielen. Und die Corona-Pandemie treibt die Entwicklung besonders voran: Das Verbandsleben steht dank digitaler Initiativen trotz der Einschränkungen nicht vollständig still. Vorstände wie etwa der Landesvorstand Nordrhein-Westfalen tagen per Videokonferenz, Mitglieder treffen sich zum Online-RK-Abend, die Militärische Ausbildung macht digitale Angebote. Viele kreative, wertvolle Lösungen entstehen so.
Militärische Ausbildung online
„Hier Falke, bei 7840-2345 ein feindlichen Kampfpanzer in Stellung.“ Eine typische Meldung während einer Übung. Reservisten zeichnen eine Lageskizze. Sie markieren ihre Position und die des Panzers. Dabei verwenden sie taktische militärische Symbole. So weit so normal. Es sind Inhalte einer üblichen militärischen Ausbildung. Allerdings befinden sich die Reservisten weder auf dem Gelände eines Truppenübungsplatzes, noch tragen sie Uniform und Ausrüstung. Mit ihren Händen bedienen sie lediglich Tastatur und Maus.
Aufgrund der Kontaktbeschränkungen infolge der Ausbreitung des Coronavirus sind Dienstliche und Verbandsveranstaltungen abgesagt. Auf militärische Ausbildung wollen die Angehörigen der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanie Berlin dennoch nicht verzichten. Daher treffen sie sich zu einem Online-Seminar. Oberstleutnant d.R. Randolf Richter organisiert die digitalen Treffen per Webex. „Ich wollte nicht einfach den Erklärbär zu Themen wie Karte und Kompass und Alarmposten spielen, sondern für ein interaktives Seminar sorgen und die Leute begeistern. Ein einfaches Thema, das man gut umsetzen kann, ist taktische Zeichen, und zwar auf der Ebene Gruppenführer, Zug bis maximal Kompaniegefechtsstand“, erläutert Richter.
Beim ersten Online-Seminar sind 20 Reservisten dabei. Und es werden mehr. Mittlerweile versucht der Oberstleutnant d.R. aus der Landesgruppe Berlin die Ausbildungsthemen nicht nur für erfahrene, sondern für eine breite Zielgruppe herunterzubrechen. Angesprochen fühlen sollen sich Mannschaftsdienstgrade, Unteroffiziere und Reservisten, die die Ausbildung Ungedienter absolviert haben. Randolf Richter bleibt bei seinen Online-Seminaren nah an der Praxis. Eine Sitzung beleuchtet das Thema wie die Rettungskette des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Bündnis- oder Verteidigungsfall funktioniert. Dabei beziehen die Teilnehmer die in der Sitzung zuvor kennengelernten taktischen Symbole mit ein. Die Seminare bauen aufeinander auf. Bei dem nächsten Online-Seminar sehen Reservisten eine grafische Darstellung eines Gewehr G36 Zielfernrohrs und eine Ansicht, als würde man durch ein Doppelfernrohr (Bundeswehr-Fernglas) schauen. Ihre Aufgabe ist es, eine Skizze zu zeichnen und Entfernungen zu ermitteln. Hinzu kommt, dass Randolf Richter, den Teilnehmern die Funkbetriebssprache, und die militärischen Begrifflichkeiten bei der Abgabe einer Meldung vermittelt und gemeinsam mit ihnen übt.
Ähnliche Online-Seminare bietet die Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanie Holstein für ihre Angehörigen an. Mit digitalen Lösungen arbeiten auch Mitglieder der Landesgruppe Berlin wie Juliane Witt. Die Leiterin der Marschgruppe Berlin lädt auf WhatsApp Strecken und Routen hoch. Damit motiviert sie ihre Mitstreiter, allein Märsche zu absolvieren. „Ich versuche, meine Mitmarschierer anzutreiben, dass sie trotzdem rausgehen“, sagt Juliane Witt. Ähnlich funktioniert die WhatsApp Gruppe „Home Sport“, die Markus Flaam leitet. Er stellt Fitness-Übungen online, an denen sich auch lebensältere Reservisten beteiligen.
Auch das Sachgebiet Militärische Ausbildung setzt während der Coronavirus-Krise auf digitale Kommunikationsmittel. „Für die momentan laufende Lehrscheinausbildung im Rettungsschwimmen führen wir einige theoretische Unterrichte als Webinar über Moodle und Videokonferenzen über Cytrix durch, um dann hoffentlich im vierten Quartal zum praktischen Teil übergehen zu können“, sagt Oberst d.R. Martin Hammer, Vizepräsident des Reservistenverbandes für Militärische Ausbildung.
Online-Treffen macht Landesinformationstagung möglich
Vorstandssitzungen finden ebenfalls wie in Berlin oder anderen Landesgruppen online statt. „Wir hatten Ende März eine Online-Besprechung des Landesvorstandes. Das hat wunderbar funktioniert“, berichtet Yves Dittmann, stellvertretender Vorsitzender und stellvertretender Internetbeauftragter der Landesgruppe Berlin. Auch die erweiterte Vorstandssitzung mit den Vertretern der Reservistenkameradschaften läuft zum ersten Mal mit Webex ab. Der Vorstand hat rechtzeitig vorab die Einladungen und Einwahldaten an die Mitglieder verschickt. Einige Mitglieder nehmen die Möglichkeit an, den Umgang mit Webex bei einem extra Tech-Check auszuprobieren. „Wir haben den Kameraden gezeigt, wie sie sich einwählen können. Und sie konnten vorab mit den Webex-Funktionen spielen“, sagt Yves Dittmann. Er ist erstaunt, wie gut das Online-Meeting bei Kameraden angekommt, die er als eher weniger technikaffin einschätzt. Es gebe zwar Stimmen, die sagen, dass sie Online-Treffen ablehnen. Dagegen seien einige Kameraden so motiviert gewesen, dass sie sofort alles kennenlernen und ausprobieren wollten, sagt Dittmann. Aus seiner Sicht ist das Online-Format der richtige Weg. „Ich finde es für die Zukunft ein gutes Format, unabhängig davon, ob auch die Lockerungen kommen“, meint der stellvertretende Internetbeauftragte der Landesgruppe Berlin. Ein Argument sei dabei die Landesinformationstagung, die anders als in den Jahren zuvor nicht mehr abgesagt werden müsse33, wenn keine Räumlichkeit gefunden werden kann.
Videokonferenzen als zusätzliches Angebot
Welche Vorteile der Sprung ins Digitale mit sich bringt, zeigen die Online-RK-Abende der Reservistenkameradschaft Kassel. „Da das Ende der Corona-Lage nicht ersichtlich ist, haben sich ein paar Meldungen von Kameraden gehäuft, die gesagt haben, sie werden ihre Arbeit auf absehbare Zeit einstellen. Wir haben gesagt, das kommt für uns nicht infrage, weil wir eben nicht wissen, wie lange es dauert und soziale Kontakte wichtig sind“, berichtet Oberleutnant d.R. Valentino Lipardi. Der Vorsitzende der RK-Kassel und Leiter der GSP-Sektion Kassel organisiert nun regelmäßig Online-Treffen im Namen seiner Reservistenkameradschaft oder der Gesellschaft für Sicherheitspolitik.
Unter den Teilnehmern befinden sich nicht nur jüngere, sondern auch lebenserfahrene und weniger technikaffine Kameraden. Einige unter ihnen haben dank des Online-Formates wieder an einer Veranstaltung der RK teilgenommen, weil sie sich einfach dazuschalten konnten. Somit erreicht die RK Mitglieder, die umgezogen sind, aus beruflichen oder familiären Gründen keine Zeit haben, zu Präsenzveranstaltungen der Reservistenkameradschaft zu kommen. „Wir haben diese Kameraden vermisst und haben uns gefreut, dass sie teilnehmen konnten. Diese Leute haben auch darum gebeten, dass das nicht nur ein Krisenformat ist, sondern auch danach weiterhin implementiert“, sagt Valentino Lipardi. Er denkt daher über eine physische und digitale Präsenzveranstaltung für die Zukunft nach. „Uns ist es wichtig für die Kameraden erreichbar zu sein, die uns verbunden sind“, sagt er. An Online-Treffen geht deshalb kaum etwas vorbei. Ist das also die Zukunft? In Einzelfällen sei ein generelles bundes- oder landesweites Zusammenschließen in virtuelle Reservistenkameradschaften durchaus machbar. Das würde aber den regionalen Bezug einer RK völlig auflösen, merken einige Verbandsmitglieder skeptisch an.
Präsenz vor Ort ist eine Stärke, aber nicht der alleinige Kern
Fest steht: Präsenz vor Ort gilt als eine der großen Stärken des Reservistenverbandes. Die Menschen bräuchten diesen Anlaufpunkt, argumentiert Valentino Lipardi. Der Verband müsse in der Gemeinde verwurzelt sein, zum Beispiel durch Unterstützung beim Volkstrauertag. Das könne aber nicht allein Kern der Arbeit sein. „Im 21. Jahrhundert ist die Lebensrealität der Menschen eine andere. Und da müssen wir uns auch anpassen oder der Verband existiert nicht mehr lange. Wir müssen einfach auf diese Gegebenheit reagieren und ein Angebot schaffen. Jeder, der mehr teilnimmt, ist ein Plus. Wenn wir den Weg nicht beschreiten würden, hätten wir eine Menge verloren. Ich habe versucht, die GSP und den Reservistenverband ein bisschen zusammenzubringen. Da entstehen Synergien und wenn man das digital zusammenfasst, kann man viel erreichen“, sagt Lipardi. Er hält es für wichtig, bei diesem Prozess vor allem die lebensälteren Kameraden nicht aus den Augen zu lassen. Aus diesem Grund habe er die Plattform Zoom gewählt. Denn damit können Kameraden mit einfachen Mitteln an der Online-Veranstaltung teilnehmen, nämlich, indem sie sich per Telefon einwählen. Die Erfahrung zeige, dass manch einer seine Scheu vor den technischen Neuerungen ablege. Hinzu kommt, dass der Reservistenverband bei Online-Treffen eine weitere Stärke ausspielen kann: Für ein bestimmtes Thema können Reservisten, Fachleute und Menschen aus ganz Deutschland zusammenkommen und einen Beitrag aus ihrer Perspektive leisten. „Bei der GSP hatten wir 60 Teilnehmer, sogar einer aus London hat sich mit dazugeschaltet“, berichtet Valentino Lipardi und ergänzt: „Man muss ‚glokal‘ denken.“
Präsidium möchte den digitalen Weg vorangehen
Global und lokal gleichzeitig denken – diesen Ansatz möchte Oberstleutnant d.R. Wolfgang Wehrend in das Präsidium tragen. Die Idee sei, dort eine Debatte anzustoßen, eine Online-Plattform zu schaffen, mit der Online-Treffen und digitale Angebote bedient werden können. „Ich kann mir vorstellen, das eine oder andere Beauftragten-Treffen online stattfinden zu lassen“, sagt Wehrend. Das Präsidium, das selbst aufgrund der aktuellen Lage ortsunabhängig tagt, möchte nun den digitalen Weg vorangehen. Übrigens: ein Online-Treffen von Beauftragten hat bereits am 22. April stattgefunden. Dabei handelte es sich um eine Videokonferenz der Beauftragten für Militärische Ausbildung mit dem Sachgebiet Militärische Ausbildung.