Der Weltraum: Kampf um unendliche Weiten
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat gezeigt, dass der Weltraum bereits jetzt ein relevanter Konfliktraum in der internationalen Machtverteilung ist. Der Einsatz der Starlink-Satelliten von SpaceX zu Beginn des Konflikts hat den militärischen Nutzen solcher Technologien aufgezeigt. Des Weiteren nimmt der militärische Einsatz künstlicher Intelligenz auch im All stetig zu. Wie kann die Aufteilung des Weltraums definiert und Weltraumressourcen gesichert werden?
Nach Indien und China hat auch Russland im August 2023 wieder eine Mondmission gestartet. Die Länder wollen weitere Untersuchungen auf dem Mond durchführen. Warum das interessant ist? Der Mond könnte als Ausgangspunkt für Marsmissionen genutzt werden und sein rechtlicher Status ist kaum geregelt. Soll ein Rahmen für menschliche Aktivitäten im Weltraum gefunden werden, erfordert das beträchtliche internationale Anstrengungen: Ein breites Spektrum öffentlicher und privater Akteure in einem zunehmend wettbewerbsorientierten und konfliktgeprägten Umfeld muss an einen Tisch gebracht werden. Die institutionellen Schwächen internationaler Organisationen verhindern die Lösung vieler Auseinandersetzungen. Kann es beim Weltraum anders sein? EU-Kommissar Thierry Breton betonte kürzlich die Notwendigkeit, als Europäische Union eine selbstbewusste Weltraummacht zu werden. Was ist von der EU-Weltraumstrategie zu erwarten?
Der erste Kampf ums All
Um heutige Konflikte zu verstehen, lohnt sich der Blick in die Vergangenheit. 1955 begann das Space Race zwischen den USA und der Sowjetunion. Beide Seiten arbeiteten an und mit Nazi-deutscher Weltraumforschung und versuchten diese möglichst schnell auf ein neues Level zu bringen. Einerseits war diese Entwicklung ideologisch begründet in dem Wunsch, der jeweils anderen Macht auf diesem Feld nicht die Vorherrschaft zu überlassen. Außerdem war es das Ziel, die eigene Überlegenheit propagandistisch darzustellen. Vor allem aber ist Raketenforschung immer auch militärische Forschung und somit generell für Konfliktparteien relevant.
1957 begann das Zeitalter der Raumfahrt mit Sputnik, der es am 1. Oktober als erster Satellit in die Erdumlaufbahn schaffte. Diesen Erfolg konnte die Sowjetunion für sich verbuchen, was in den USA große Besorgnis hervorrief. Auch der erste Mensch im All wurde von der Sowjetunion entsandt: Es war Juri Gagarin am 12. April 1961. Nach dieser Schmach für die USA wurden dort die Forschungsbemühungen nochmal intensiviert. Im Jahr 1969 gelang dann den USA ein großer Durchbruch, sie entsandten erfolgreich die ersten Menschen auf den Mond. Einige Fachleute sehen bereits hier das Ende des Space Race, spätestens aber mit dem ersten Raumfahrt-Kooperationsprojekt zwischen den USA und der Sowjetunion, der Apollo-Sojus-Mission im Jahr 1975, entspannte sich die Lage auf dem Gebiet der Raumfahrt.
Auf dem Mond waren seit Neil Armstrong und Buzz Aldrin nur zehn weitere Menschen. Im All insgesamt gab es mehr Fluktuation. Dort waren bis Juni 2023 bereits 635 Astronauten. Die Zahl der Satelliten, die mittlerweile die Erde umkreisen, ist dagegen unklar. Schätzungen belaufen sich auf ungefähr 13.600, von denen etwas weniger als die Hälfe noch aktiv sein sollen.
Kriegstechnologie im Weltraum
Die Zahl der kommerziellen Satellitenbetreiber steigt. Waffenkonzerne wie Lockheed Martin betreiben eigene Systeme, genau wie die Technologieunternehmen Blue Ocean und SpaceX. Im Telekommunikationsbereich und bei der Navigation sind Menschen im Alltag von der Technologie mittlerweile stark abhängig. Und nicht nur das handelsübliche Auto-Navi ist ohne Satellitenempfang aufgeschmissen, auch militärische Operationen verlassen sich schon lange auf verschiedenste Satellitendaten. Schätzungsweise 20 bis 25 Prozent aller in der Erdumlaufbahn befindlichen Satelliten sind in rein militärischer Nutzung. Die anderen sind naturgegeben im „Dual Use“, lassen sich also neben ihrer kommerziellen Funktion auch militärisch nutzen. Satellitendaten machen den zielgenauen Einsatz von Drohnen und Marschflugkörpern möglich, außerdem sind sie bei der Truppenkoordination hilfreich und können als Frühwarnsystem bei Raketenstarts wirken.
Aus diesem Grund wird, bereits seit Beginn des Space Race, immer auch an Anti-Satelliten bzw. Counterspace-Waffen geforscht. Hierbei kann zwischen direkt disruptiven und nicht-disruptiven Technologien unterschieden werden. Genauer gibt es im disruptiven Bereich kinetisch physische Waffen, die auf die Zerstörung eines Satelliten durch direkten Abschuss oder Detonation abzielen. Nicht-kinetisch physische Waffen machen Satelliten funktionsuntüchtig, in dem sie zum Beispiel durch Laserstrahlung oder Hochleistungsmikrowellen die Sensoren beschädigen.
Durch nicht-disruptive Waffen dagegen wird ein Satellit nicht physisch beschädigt. Man unterscheidet hier zwischen elektronischen Waffen, die die Übertragung der gesammelten Daten durch falsche Signale stören, und cybergestützten Waffen. Das Ziel cybergestützter Waffen ist in der Regel die Kontrolle über einen Satelliten zu übernehmen. Wie der aktuelle Krieg des Kremls zeigt, hat sich die Kriegsführung aber noch nicht völlig in den Cyberspace verlagert; auch im Bereich der ASAT wird das deutlich. Weiterhin gibt es regelmäßig Tests physischer Waffen durch Nationen wie Indien, China und Russland, die ihre Fähigkeiten zum Abschuss unter Beweis stellen wollen. Die Waffen können mittlerweile in einer Höhe von bis zu 800 Kilometer erfolgreich genutzt werden. Durch die Tests entstehen große Mengen Weltraumschrott.
Der neue Kampf ums All
In den USA gibt es seit 2019 die US Space Force. Sie bildet den sechsten Teil der amerikanischen Armee. Dieses Mal gibt es nicht den einen großen Gegner im Wettstreit ums All. Neben dem Nachfolgestaat der Sowjetunion sind, wie bereits angedeutet, auch Indien, China und kommerzielle Anbieter im Rennen. Durch günstigere Produktionswege und einfacheren Wissenstransfer werden auch kleinere Staaten auf die eine oder andere Art aktiv. So hat Frankreich ein Weltraumüberwachungssystem und Israel will 2026 mit einem Weltraumteleskop an den Start gehen, dass die Beobachtung eines Bereichs des Alls möglich machen soll, der 100-mal größer ist als der Beobachtungsraum bisheriger Satelliten. Am 23. August 2023 landete die Raumsonde „Chhandrayaan-3“ aus Indien erfolgreich auf dem Mond. Die russische Sonde „Luna 25“, die eigentlich am 21. August 2023 auf dem Mond landen sollte, stürzte bereits zwei Tage zuvor ab.
Für die USA ist wohl China aktuell der intensivste beobachtete Gegenspieler. Mit dem Mars-Rover „Zhurong“ gelang der Volksrepublik eine Landung auf dem Mars, außerdem entsandten sie als erstes Land erfolgreich eine Sonde auf die von der Erde abgewandte Seite des Mondes. Das chinesische Militär benennt als potenzielle Bedrohung nicht den amerikanischen Staat, sondern das amerikanische Unternehmen SpaceX von Elon Musk. Erklärtes Ziel seiner Firma ist es, Kunden auf der ganzen Welt durch ein Netz aus tausenden von Satelliten Breitbandinternet mit höchster Geschwindigkeit zur Verfügung zu stellen. Das Projekt ist unter dem Namen Starlink bekannt und die dafür notwendigen Satelliten sind nur 400 bis 600 Kilometer von der Erde entfernt. In Peking sorgt man sich um den eigenen Platz, denn der ist im Weltall begrenzt. Auf der Erde gibt es Spannungen zwischen Russland, China, Indien und den USA, und genau diese Staaten bleiben auch im Weltraum aktiv. Hat das Wettrüsten im All schon längst begonnen?
Und was macht Deutschland? Seit Juli 2021 gibt es bei der Bundeswehr ein Weltraumkommando, das bei der Luftwaffe angesiedelt ist. Sicherheitspolitische Alleingänge sind von der Bundesrepublik in diesem Bereich nicht zu erwarten. Es gibt allerdings eine Weltraumstrategie der Europäischen Union (EU). Sie soll den bestehenden Mechanismus zur Reaktion auf Bedrohungen im Weltraum, der derzeit für den Schutz von Galileo, dem europäischen Satellitennetz, eingesetzt wird, auf alle Weltraumsysteme und -dienste der EU ausweiten. Es soll jährlich eine Analyse der Weltraumbedrohungslage erstellt werden, die sich auf Informationen der Mitgliedstaaten stützt. Darüber hinaus wird die EU ihre technologische Souveränität durch eine Verringerung strategischer Abhängigkeiten und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit für die Bereiche Weltraum und Verteidigung in enger Abstimmung mit der Europäischen Verteidigungsagentur und der Europäischen Weltraumorganisation stärken. Darüber hinaus will die EU ihre Zusammenarbeit mit anderen Partnern, einschließlich der NATO und anderen gleichgesinnten Ländern, vertiefen, um ihre strategische Position im Weltraum zu stärken.
Ordnung im Orbit
Kern aller weltraumbezogenen internationalen Abkommen ist der Weltraumvertrag von 1967. Er ist eine Erweiterung der Charta der Vereinten Nationen (UN) und legt das Aneignungsverbot des Weltraums fest. Weltraumforschung soll danach immer friedlich und gemeinwohlorientiert sein und der freie Zugang zum Weltraum muss für alle theoretisch gegeben sein. Die technologische Weiterentwicklung der Raumfahrttechnologie und die damit einhergehenden neuen Gefahrenpotentiale führten zur Entstehung von weiteren Ergänzungsverträgen auf UN-Ebene. Das Übereinkommen über Weltraumrettung 1968 und das Übereinkommen über Weltraumhaftung 1972 regeln Verpflichtungen zur Rettung aus dem All und zur Kompensation von Schäden, die durch Raumfahrt entstehen. Das Registrierungsabkommen für Weltraummissionen wurde zwar 1975 von der UN-Generalversammlung angenommen, ist aber in der Realität nicht wirklich effektiv. Vielen Staaten kommen ihrer Informationspflicht nur sehr verspätet, vielfach lückenhaft oder sogar gar nicht nach. Die rechtliche Situation des Mondes schwebt in der Luft. Es gibt einen Mondvertrag, dieser wurde bisher aber nur von 22 Staaten unterzeichnet und nur in 18 dieser Staaten ratifiziert. Weder Indien noch China oder Russland haben den Mondvertrag ratifiziert, sodass diese Länder sich in ihren Mondmissionen uneingeschränkt sehen.
Über die spezifischen Weltraumverträge hinaus gibt es internationale Abkommen, die Auswirkungen auf die Raumfahrt haben, ohne sich explizit nur auf diese zu beziehen. Der Limited Test Ban Treaty verbietet seit 1963 Atomtests auch im All. Die SALT-Verträge, die 1972 zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossen wurden, untersagen unter anderem die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im All. Das Missile Technology Control Regime (MTCR) ist ein Zusammenschluss von Staaten, der sich 1987 gegründet hat, um die Weiterverbreitung von Trägersystemen für Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Das MTCR nimmt Einfluss auf die Raumfahrttechnologie, da auch diese den Exportkontrollen des Regimes unterliegt. Das Kontrollregime ist allerdings nicht völkerrechtlich bindend, es handelt sich lediglich um eine Selbstverpflichtung. Die EU initiierte 2008 den internationalen Code of Conduct für den Weltraum, der die Vermeidung von Weltraumschrott ins Zentrum seiner Bemühungen stellt.
Eine neue, alle Player mit einbeziehende Regulierung wird vermutlich noch lange auf sich warten lassen. Der UN-Sicherheitsrat mit seinen Vetomächten spiegelt schon lange nicht mehr die geopolitische Realität wider und führt sich in seiner Selbstblockade zum Ukrainekrieg ad absurdum. Und selbst wenn auf Ebene der Vereinten Nationen eine Einigung erzielt werden kann, wird es gelingen auch Konzerne zu den gleichen Regeln zu verpflichten?
Künstliche Intelligenz im Weltraumkrieg: Chancen und Risiken
Neben den um Vorherrschaft kämpfenden Staaten und Profit-orientierten Unternehmen müssen auch KI-gesteuerte Systeme mittlerweile mitgedacht werden. Sie können die Effizienz von Satellitenüberwachung und Navigation verbessern, indem sie in Echtzeit Daten analysieren und Handlungsanweisungen generieren, für die Menschen deutlich länger bräuchten. Dies kann schnelleres Reagieren auf sich verändernde Bedrohungslagen möglich machen und die Früherkennung feindlicher Aktivitäten im Weltraum stärken. Raumfahrzeuge können – unterstützt allein von KI – komplexe Manöver durchführen, um beispielsweise Trümmerteile zu umgehen oder Reparaturen an Satelliten durchzuführen, ohne dabei auf menschliche Steuerung angewiesen zu sein. So kann die Lebensdauer von Weltraumstationen und -sonden verlängert werden, um die Menge an Weltraumschrott nicht stetig zu vergrößern.
Die Einführung von KI in militärische Raumfahrtanwendungen könnte auch eine neue Art von autonomen und noch präziseren Anti-Satelliten-Waffen hervorbringen. Man darf aber bei Technologien nicht vergessen, dass es immer zu unvorhersagbaren Technikaussetzern kommen kann, was zu unbeabsichtigten militärischen Aktionen oder sogar zu einem versehentlichen Start eines Angriffs führen könnte. Im Extremfall könnten menschliche Entscheidungsträger die Kontrolle über kritische Prozesse verlieren, weil ein Fehler vorliegt oder Systeme gehackt wurden.
Um die Chancen von KI im Weltraumkrieg zu nutzen und gleichzeitig die Risiken zu minimieren, wäre eine Aufnahme von spezifischen Regelungen in einem neuen Weltraumvertrag wichtig. Ob das gelingt, steht (noch) in den Sternen.
Autorin:
Sina Behrend hat in Düsseldorf Politik, Philosophie und Wirtschaft studiert. Ihr Forschungsinteresse in der Außen- und Sicherheitspolitik ist der Einfluss neuer Technologien. Darüber hinaus ist sie nach einem Praktikum in Prag besonders an Sicherheitspolitik in Mitteleuropa interessiert.
Literaturtipps:
- Fuhrmann, Johann C. (2023): China: Die neue Supermacht im Weltraum, Konrad-Adenauer-Stiftung.
- Informationsstelle Wissenschaft und Frieden (2022): Weltraum zwischen Konflikt und Kooperation, Dossier 95.
- Neuneck, Götz (2019): Wettrüsten im All? Stand und Perspektiven der Weltraumbewaffnung, Bundeszentrale für politische Bidung.
- Rotter, Andrea (2018): Sicherheitspolitische Herausforderungen im Weltraum: Handlungsbedarfe und Empfehlungen für Deutschland, Bundesakademie für Sicherheitspolitik.