Deutsche Sicherheitspolitik im neuen Zeitalter geopolitischer Großmächterivalität – Erster „Klönschnackabend“ im Reservistenheim Wingst
Die Reservistenkameradschaft Wingst hat im Hans-Hermann-Hahn-Heim auf dem örtlichen Campingplatz Knaus seinen ersten „Klönschnackabend“ unter den Hygieneschutzbedingungen anlässlich der Coronapandemie veranstaltet. Im Rahmen eines Fachvortrages war Brigadegeneral a.D. Rainer Meyer zum Felde, Senior Fellow des Institutes für Sicherheitspolitik der Universität zu Kiel, aus Berlin zu Gast, aber eigentlich doch zu Hause, ist er doch Mitglied in der RK Wingst und Umgebung.
Die zahlreichen Mitglieder hatten hier die Möglichkeit, einem hoch versierten sicherheitspolitischen Experten und renommierten Fachbuchautor zuzuhören und im Anschluss seiner Präsentation gezielte Fragen zu stellen. Thema des Vortrages war die Lage deutscher Sicherheitspolitik zwischen den rivalisierenden Großmächten im neuen Zeitalter der Geopolitik. Zunächst analysierte Meyer zum Felde die Lage Deutschlands und seiner Streitkräfte. Die Bundesrepublik sehe sich seit 1990 als „zivile Friedensmacht“, sei durch eine internationale Ordnung geschützt und gebe der „Soft Power“ wie Diplomatie, Abrüstung und maximal wirtschaftliche Sanktionen den Vorrang.
Der Auftrag der Bundeswehr sei von einer Landesverteidigung nach Osten auf Stabilisierungsmaßnahmen im Süden transformiert worden. Die Einsatzstärke belegte Meyer zum Felde mit nüchternem Zahlenmaterial. Großverbände mit der Stärke mehrerer Tausend Soldatinnen und Soldaten seien nicht mehr darstellbar, obwohl die geopolitische Situation Deutschlands unverändert sei.
Spätestens seit März 2014 trete die Russische Föderation mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim offen als revisionistische Großmacht auf, welche EU und NATO bedrohe, wohingegen die Volksrepublik China mit wirtschaftlichen und militärischen Mitteln auf dem Wege zu einer kommenden Weltmacht sei. Vor diesem Hintergrund stehe der atlantische Zusammenhalt vor strategisch kritischen Herausforderungen und eine anti-westliche Allianz könnte ein Anfang sein, so ein denkbares Szenario.
Gleichwohl sei die Anpassung der NATO konzeptionell durchaus gelungen, der Paradigmenwechsel seit 2014 von der Bundesrepublik Deutschland konstruktiv mitgestaltet worden. Dazu zählten das Versprechen zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktinvestment in den Verteidigungshaushalt zu investieren, die Übernahme der Funktion als Rahmennation in der NATO Response Force (NRF) für einen erhöhte Einsatzbereitschaft und die Krisenmanagementmissionen in Afghanistan oder Mali. Die Abwehr der Bedrohung durch den islamistischen Staat gehöre auch dazu.
Dieser sicherheitspolitische Konsens der Bundesregierung sei im Wahlkampf 2017 zerbrochen und zeitige die Konsequenz bündnispolitisch nur noch eingeschränkt handlungsfähig zu sein. Ausweg sei die Rückkehr zum Münchner Konsens. Die NATO müsse im Verbund bleiben, die EU solle an eigener militärischer Ausrüstung und eine personelle und materielle Autonomie anstreben. Auch die Digitalisierung benötige Inklusion. Anderenfalls drohe ein Abstieg in die Drittklassigkeit unter der Dominanz Amerikas und Chinas.
In seinem Resümee betonte Meyer zum Felde unmissverständlich, dass eine Zukunft Deutschlands und der EU ohne Anpassung des Verteidigungshaushaltes und eines Wiederaufbaus einer fakultativen Gesamtverteidigung auf deutlich erhöhtem Niveau unrealistisch sei. Eine plakative Anti-Amerikahaltung sei kontraproduktiv, ein „britischer Weg“, mit den USA durch „Dick und Dünn“ zu gehen ebenso wenig optional. Die Aufteilung verteidigungspolitischer Aufträge zwischen den USA im Indopazifik und der EU gegenüber dem Osten sei eine Zielsetzung, die mit Amerika verhandelbar wäre. Leider werde diese Konstruktion zur Herbeiführung außenpolitischer Stabilität nicht ausreichend verstanden.
Die Reservistenkameradschaft Wingst bedankte sich herzlich für sachkundigen und informativen Vortrag von einem der Schöpfer des Weißbuches der Bundeswehr, Brigadegeneral a.D. Rainer Meyer zum Felde. Es wurde noch ausgiebig diskutiert und alle Beteiligten wussten es zu schätzen, mit einem Bildungszugewinn den Heimweg antreten zu können.
Dieser Text stammt aus dem Sicherheitspolitischen Newsletter des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Diesen können Sie hier abonnieren.