Die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie wirken sich derzeit auch auf das Berliner Reservistenleben aus, auf ihre Ausbildungen, Veranstaltungen und Übungen. In einem ersten Schritt wurden bis Ende April alle Veranstaltungen ab- und alle Versammlungen gemäß den politischen Erlassen untersagt. Dies betraf unter anderem den internationalen Reservistenwettkampf „Mauerwegmarsch 2020“, der in diesem Jahr zum 10. Mal hätte stattfinden und 30 Jahre Wiedervereinigung feiern sollen. Aber auch der „Dragoner 2020“, der traditionelle, infanteristische Höhepunkt der ersten Jahreshälfte, wurde abgesagt. Das Reservistenleben scheint also zum Stillstand gekommen zu sein.
Doch der Schein trügt. Wie in anderen Krisen zuvor, zeigt sich die Berliner Reserve krisenerprobt, gewillt zu kämpfen, kreativ, empathisch, vital und vor allem einsatzbereit. Insofern ist die Krise auch die Zeit der Reserve! Die Bundesverteidigungsministerin und der Generalinspekteur haben an die Reserve appelliert, die Bundeswehr zu unterstützen. Am dringendsten werden Reservistinnen und Reservisten mit Ausbildungen und fachlichen Kenntnissen im medizinischen und im Pflegebereich benötigt. Aber auch zur weiteren Unterstützung, sei es in der Logistik, dem Sicherungsbereich u.v.m. wird um die Unterstützung der Reserve gebeten. Diese meldeten sich so zahlreich, dass sich der Generalinspekteur von dieser Resonanz tief beeindruckt zeigte. Auch in Berlin freut sich der Landesvorsitzende über die hohe Anzahl freiwilliger Meldungen: „Ich bin stolz und glücklich über diese große Einsatzbereitschaft“, bekannte Oberstleutnant d.R. Frank Eick, der auch selbst seit dem 3. April im Kommando Territoriale Aufgaben dient.
Die Führungsstrukturen der Berliner Reservisten funktionieren auch in diesen Krisenzeiten: Nachdem der Landesvorsand zuerst die Landesvorstandssitzungen abgesagt hatte, ist er am 30. März dazu übergegangen, in Videokonferenzen zu tagen. Die Landesgeschäftsstelle hat ihren Publikumsverkehr zwar eingestellt, ist aber weiter im Notbetrieb besetzt. Der Verbandsbereichsleiter Karsten Ahrens und der Organisationsleiter Torsten Grundmann sind beide im Homeoffice tätig und unterstützen die Anliegen ihrer Reservisten so gut sie nur können. „Die Reserve wird eingesetzt, wenn sie gebraucht wird, darauf sind wir vorbereitet“, sagt Oberstleutnant d.R. Ahrens. Die Oderflut, das Elbehochwasser und zuletzt die Flüchtlingshilfe hätten die Reserve krisenerprobt gemacht. „Wir stehen bereit! Zuerst die beorderte Reserve, dann die allgemeine.“
Zur Anmeldung seiner Einsatzbereitschaft empfiehlt Oberstleutnant d.R. Grundmann, das Portal „Reserve hilft!“ zu nutzen. Dort könne man sich unkompliziert eintragen; sollte es darüber hinaus noch Fragen geben, stünden die Berliner Kameraden der Landesgeschäftsstelle als Ansprechpartner zur Verfügung. Besonders benötigt würden in Berlin vor allem Unterstützungskräfte im Bundeswehrkrankenhaus, wo Berliner Kameraden bereits vor und in der Krise zahlreich unterstützen – wir berichteten. Darüber hinaus empfiehlt Grundmann den Berliner Reservistinnen und Reservisten, Ruhe zu bewahren, sich selbst vorbildlich zu verhalten, nicht egoistisch zu sein und nach anderen zu schauen.
Keine UTE für die Nachbarschaftshilfe
Um diesen Zusammenhalt zu leben, sind viele Ideen möglich, allen voran Nachbarschafts- und Kameradenhilfe. Jedoch sei für diese Art von Einsatz in der Öffentlichkeit die Uniformtrageerlaubnis nicht erteilt, betont Karsten Ahrens. Um die Reserve dennoch für die Gesellschaft sichtbar zu machen, gibt es Vorlagen für die Bedruckung von Bekleidung. Interessierte können sich diesbezüglich an die Landesgeschäftsstelle oder den Organisationsleiter wenden.
Für die weitere Existenz des Reservistenlebens ist momentan die Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten am wichtigsten. Findige Kameraden haben daher schnell auf die veränderte Lage reagiert. Oberleutnant z.S. d.R. Juliane Witt, die die Berliner Marschgruppe leitet und normalerweise regelmäßig Märsche plant, ist mir ihren Kameraden auch über WhatsApp verbunden. Als vorerst keine gemeinschaftlichen Märsche durchgeführt werden konnten, hat sie acht ausgearbeitete Marschvorschläge gepostet und so die perfekte Möglichkeit an die Hand gegeben, auch alleine oder zu zweit dem Hobby nachzugehen. Regelmäßig tauschen sich die Marschierer aus, motivieren und bestärken den Zusammenhalt. Jäger d.R. Daryusch Esfahani, der über das Pilotprojekt „Ausbildung von Ungedienten“ zur Reserve kam, findet es bemerkenswert, dass „die Reserve auch in heraus-fordernden Zeiten zusammensteht und trotz schwieriger Umstände nicht den Kontakt verliert“.
Auch die Kameraden des Reservistensports, die sich normalerweise jeden Dienstag in der Julius-Leber-Kaserne treffen, reagierten umgehend auf die neue Herausforderung. Obergefreiter d.R. David Plumb richtete ebenfalls auf WhatsApp die Gruppe „Home-Sport“ ein, auf der jeder einen Vorschlag für ein Workout einstellen kann. Treibende Kraft ist aktuell der begeisterte Sportler Leutnant d.R. Markus Flamm. Regelmäßig stellt er ein neues Trainingsprogramm in die Gruppe, das jeder alleine, zuhause oder auch im Freien absolvieren kann. Seine Kameraden sind begeistert und schicken Fotos von ihrem Training. „Eine gute Idee“, findet der französische Reservist 1er Classe Claudio Sill, „und super, um sich zu motivieren, sich zu bewegen und fit zu bleiben, falls wir gebraucht werden“.
Militärische Ausbildung im Homeoffice
Weiteres digitales „Neuland“ betritt Oberstleutnant d.R. Randolf Richter. Weil alle Führerweiterbildungen vorerst der Coronakrise zum Opfer gefallen sind, will der begeisterte Infanterist allen interessierten Kameradinnen und Kameraden der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanie eine digitale militärische Weiterbildung ermöglichen. Zunächst sind mehrere Onlineseminare zu den Themen „Grundlagen taktischer Zeichen“ und „Rettungskette im Aufgabenbereich“ geplant. Ab dem 9. April startete die interaktive Ausbildung mit digitalen Aufgabe und Umfragen. 26 Kameraden, von Mannschaften über Unteroffiziere/Feldwebel bis hin zu Offizieren, lernen seitdem nach Feierabend in Modulen von eineinhalb Stunden. Bei entsprechender Nachfrage sei eine Erweiterung des Angebotes und des Teilnehmerkreises durchaus denkbar, so Richter.
„Aus der Not eine Tugend machen“, so das Motto, das Oberstleutnant d.R. Ahrens in diesen Tagen ausgegeben hat. Gesagt, getan! Voller Tatendrang machen sich die Berliner Reservisten daran, Kontaktbeschränkungen und „social distancing“ dafür zu nutzen, die Digitalisierung der Reservistenarbeit voranzutreiben. Mit Erfolg und positiven Effekten auf allen Ebenen: sei es in der Führungsebene, in der Beorderung oder im Kameradschaftsleben der allgemeinen Reserve. Es scheint, als könne die Reserve dieser epochalen Krise noch positive Seiten abgewinnen. Das ist die Stärke Berlins und ihrer Reserve – den Widrigkeiten trotzen, zusammenhalten und kämpfen!