Im Jahr 1955 bekamen die ersten freiwilligen Bundeswehrsoldaten ihre Ernennungsurkunden. Die öffentliche Meinung der Deutschen gegenüber ihrer neuen Armee: denkbar schlecht. Zu jung waren die Erinnerungen an die Grauen des Zweiten Weltkrieges. 65 Jahre später ist es an der Zeit für eine Bestandsaufnahme der Deutschen Streitkräfte im öffentlichen Diskurs.
Unter den Bedingungen des „New Normal“ fandkürzlich die erste Veranstaltung der Potsdamer Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik (PAS) des Semesters statt. Gemeinsam mit Professor Dr. Sönke Neitzel von der Universität Potsdam und Lorenz Hemicker, Redakteur bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), diskutierte die PAS über die Bundeswehr im öffentlichen Diskurs und in der deutschen Medienberichterstattung. Neitzels Professur ist die einzige ihrer Art in Deutschland, jüngst erschien seine Monographie „Deutsche Krieger: Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte“. Als Politischer Redakteur bei der FAZ schreibt Hemicker über sicherheits- und verteidigungspolitische Themen, zuvor war er Chef vom Dienst bei der loyal.
Nach einem Begrüßungsstatement der PAS-Vorsitzenden, Erina Waldmann, erläuterte die Moderatorin, Sophia Wellek, den inhaltlichen Rahmen der Veranstaltung. An der Schnittstelle zwischen Bundeswehr, Medien und Öffentlichkeit diente die historische Expertise von Neitzel als Fundament für den Perspektivwechsel in die journalistische Praxis durch Hemicker. Erster Themenschwerpunkt: Die von Neitzel beschriebene „Doppelte Ambivalenz“ in Bezug auf die Bundeswehr sowie das zivil-militärische Verhältnis in Demokratien. Dabei erörterten die Studierenden, inwiefern sich das Selbstbild der Bundeswehr und das ihr von der deutschen Öffentlichkeit zugetragene Misstrauen gegenseitig beeinflussen. Neitzel zufolge sei ein öffentlicher Fachdiskurs über die Bundeswehr kaum gegeben.
Des Weiteren analysierten Neitzel und Hemicker die Berichterstattung über die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik. Als eine Ursache für das mangelnde öffentliche Interesse an Sicherheitspolitik identifizierten beide den fehlenden persönlichen Bezug von Journalisten, sodass oft Vorurteile Einzug in die Berichterstattung fänden. Laut Hemicker bestehe jedoch auch im sicherheitspolitischen Diskurs die Aufgabe der Medien darin, die Meinungsbildung der Leser anzuregen, statt in der Vermittlung vorgefertigter Ansichten.
Abschließend gaben beide ihre Einschätzungen und Wünsche für die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik im Jahr 2030 ab. Beide Referenten erwarten, dass der Einsatzschwerpunkt der Bundeswehr an der NATO-Ostflanke zu verorten sein werde. Neitzel pocht auf den Ausbau der Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte; ergänzend erachtet Hemicker die Marine als einen gut vermittelbaren Fokus für eine Handelsnation wie Deutschland. Zudem hofft er auf ein stärkeres gegenseitiges Verständnis von Gesellschaft und Militär sowie ein Ende der „Wehrmachtdiskussionen“.
Die zahlreichen Fragen aus dem Publikum, koordiniert durch den stellvertretenden PAS-Vorsitzenden, Lucas Hirsch, zeugten von breitem Interesse der Teilnehmenden. Neben der vermeintlichen Verdrossenheit der Bevölkerung in Bezug auf Sicherheitspolitik besprachen die Studierdenden die Berichterstattung über etwaige Missstände in der Bundeswehr. Sie redeten dabei auch über die gesellschaftliche Akzeptanz und Vertretbarkeit von Verlusten in Einsätzen an und diskutierten, ob Werbeprogramme für junge Menschen der Image-Verbesserung der Bundeswehr dienen oder ein Versuch sind, von negativer Berichterstattung abzulenken. Besonderes Interesse galt der Frage, ob die Bundeswehr ein Strategiedefizit habe, sowie den Themen Deutungshoheit und Tradition. Sowohl Neitzel als auch Hemicker stellten fest, dass diese Thematik heutzutage von den Parteien der politischen Mitte vernachlässigt werde.