Finnland steht wie Schweden kurz davor, NATO-Mitglied zu werden. Welche Auswirkungen dieser Paradigmen-wechsel für die deutsch-finnische Reservistenpartner-schaft hat, wollte die Redaktion von Burkhard Jäckel wissen. Der Oberstleutnant d.R. ist Delegationsleiter der Reservisten und freut sich auf die Feier zum 105-jährigen Rückkehr der finnischen Jäger in Vaasa (Westfinnland).
Seit wann bestehen die Kontakte zwischen der RAG Deu-Fin und den finnischen Partnern? Auf wessen Initiative geht das zurück?
Im Zuge von Glasnost und Perestroika haben viele deutsche Kommunen Kontakt zu neuen Kooperationspartnern gesucht. Der Landkreis Lüneburg hat mit der Region IIsalmi (Mittelfinnland) eine Partnerschaft geschlossen, die auch den Austausch von Schülern, Handwerkern und anderen gesellschaftlichen Gruppen beinhaltete. Der finnische Schulrat Jukka Peura war wesentliche Stütze einer deutsch-finnischen Schülerkooperation. Als finnischer Offizier der Reserve fragte Jukka Peura, ob man die Partnerschaft nicht auch auf einen Austausch deutscher und finnischer Reservisten erweitern könne. Das damalige Bezirksverbindungskommando 25 nahm sich dieses Projektes an und konnte 1995 eine finnische Delegation im Standort Lüneburg begrüßen.
Wie haben sich die Kontakte zu den finnischen Partnern entwickelt?
Durch den Erfolg und die gegenseitige Wertschätzung des ersten Besuchs verabredete man, diesen Austausch im zweijährigen Wechsel durchzuführen. So konnte eine deutsche Delegation 1997, 2001 und 2005 per Transportflugzeug Transall und im Rahmen einer offiziellen Wehrübung die finnischen Partner besuchen. In den Jahren 1999, 2003 (Standort Celle) und 2007 haben wir die finnischen Kameraden in Deutschland empfangen. Bei den Treffen standen Vorträge zur Sicherheitsarchitektur Europas und die Rolle Finnlands als Nicht-NATO-Mitglied aber integraler Partner der EU im Vordergrund. Daneben gab es Orientierungsmärsche, ein Vergleichsschießen und auch die Kameradschaftsabende. Neben Saunagängen waren musikalische Beiträge beider Partner ein Höhepunkt. Dabei haben wir gemeinsames Liedgut wie„Lilli Marleen“ im Wechselgesang zelebriert.
Das Bezirksverbindungskommando wurde ja 2007 aufgelöst. Wie ist es danach weitergegangen?
Die Auflösung hat zu einem Bruch geführt. Die Bundeswehr sah keine Möglichkeiten mehr, den deutsch-finnischen Reservistenaustausch wie bisher zu unterstützen. Nur durch das persönliche Engagement der deutschen und finnischen Reservisten, sowohl in finanzieller Hinsicht und auch mit dem Einbringen des privaten Urlaubs, konnte diese Verbindung am Leben gehalten werden. Großer Dank gilt dem Reservistenverband, der in dieser Zeit das Projekt deutsch-finnischer Reservistenaustausch finanziell unterstützt hat und organisatorisch am Leben erhielt. So gelang es 2010 und 2014 wieder, den Besuch in Finnland zu organisieren und die finnischen Kameraden 2012 und 2016 in Deutschland begrüßen zu können. 2014 gründete sich eine Reservistenarbeitsgemeinschaft: Die RAG VI DF, die inzwischen bundesweite Strahlkaft erlangt hat und Reservisten aus dem ganzen Bundesland einbinden konnte. Zwischenzeitlich wurde auch als gemeinschaftliches Erkennungssymbol eine Fahne und ein Waffenbruderkreuz entwickelt. Diese zeigen die Verschmelzung des finnischen Freiheitskreuzes und des deutschen Eisernen Kreuzes auf jägergrünem Tuch.
Ein weiterer Höhepunkt waren die Feierlichkeiten zur 100-jährigen Rückkehr der finnischen Freiheitskämpfer, der Jäger des Jägerbataillons 27, ausgebildet im Lockstedter Lager. Liveübertragungen aus Vaasa (Westfinnland) im finnischen Fernsehen zeigten die große Bedeutung dieses Ereignisses und aus deutscher Sicht konnte ein gemischter Zug deutscher und finnischer Reservisten für die feierliche Parade gestellt werden. Auch das Wachbataillon und die deutsche Generalität waren vor Ort.
Welche Unterschiede gibt es zwischen der deutschen und finnischen Reserve?
Während in Deutschland ein Reservistenverband alle Dienstgradgruppen umfasst, haben in Finnland Offiziere und Unteroffiziere eigene Verbindungen. Grundsätzlich ist das Engagement der Reservisten beider Länder vergleichbar, der gesellschaftliche Rückhalt jedoch gravieren unterschiedlich. Während in Finnland mehr als 80 Prozent der Bevölkerung eine Wehrwilligkeit lebt, wurde in Deutschland freiwillige Reservistenarbeit jahrelang mit „freundlichem Desinteresse“ quittiert. Das hat sich jedoch aktuell etwas verändert. Die Unterstützung der Reservistenarbeit durch die Freistellung bei Arbeitgebern ist vergleichbar aber dennoch mit großen Unterschieden zu sehen.
Wo können sich die Finnen was von der deutschen Reserve abgucken?
Grundsätzlich ist über den Austausch und das gegenseitige Kennenlernen von Strukturen „Best Practice“ erlebbar. Jedoch muss jede Seite selbstständig und eigenverantwortlich entscheiden, was von den Partnern zielführend ist, zu lernen und übernommen werden kann.
Wie werden sich die Kontakte mit einer finnischen NATO-Mitgliedschaft weiterentwickeln?
Schon seit Jahrzehnten ist die finnische Jägerbewegung integraler Bestandteil der Aktivitäten des Bundes der Deutschen Infanterie. In den vergangenen Jahren sind neue partnerschaftliche Kooperationen hinzugekommen. So unterstützt das Jägerbataillon 91 (Rotenburg) und das MPK (finnischer Landesverteidigungsbund: Maanpuoustuskoulutusyhdistys Försvarsutbildningsföreiningen) die deutsch-finnische Kooperation. Durch den aktuellen Stau bei Finnlands NATO-Beitritt erhoffen wir uns für unsere Verbindung den notwendigen Rückenwind, denn schon immer stand bei den sicherheitspolitischen Weiterbildungen die Frage eines NATO-Beitritts im Raum. Ob sich gemeinsame Auftritte im Rahmen des CIOR-Kongresses realisieren lassen, ist derzeit noch nicht absehbar.
Welchen Einfluss hat die Geschichte der Finnischen Jäger auf die heutige Partnerschaft?
Einen zentralen Einfluss: Sowohl beim Finnentag als auch bei den Austauschprogrammen ist die Geschichte der Jägerbewegung historisches Erbe und Vorbild zugleich. So ist es selbstverständlich, dass durch Kranzniederlegungen dieses Gedenken gefestigt wird. Gerade durch die über einhundert Jahre lange militärische Verbundenheit beider Völker sollte es uns gelingen die partnerschaftliche Zusammenarbeit unter dem Eindruck der aggressiven Politik Russlands noch fester und zukunftsgewandter zu entwickeln. Der Traditionsverband spielt hierbei eine entscheidende Rolle.
Vielen Dank für das Gespräch!
Der Finnlandtag
Reservisten aus Lüneburg unterstützen die jährlich stattfindenden Feierlichkeiten zum Finnentag in Hohenlockstedt. Nur wenige Deutsche wissen, dass die Freiheit Finnlands auch in der militärischen Ausbildung finnischer Freiwilliger in Deutschland begründet war. Im Lager Lockstedt in Schleswig-Holstein wurden von 1915 bis 1918 insgesamt etwa 1500 finnische Freiwillige ausgebildet, die als „Weiße“ im finnischen Freiheitskrieg siegten und den Weg für ein demokratisches Finnland ebneten. Noch bis in die 1960er Jahre waren militärische Spitzenpositionen mit Soldaten, die ihre Ausbildung in Hohenlockstadt absolviert hatten, besetzt. Bei den Feierlichkeiten zum Finnentag wurde ein deutsch-finnischer Ehrenzug etabliert, der zum festen Bestandteil der Zeremonie gehört. Auch in Hohenlockstedt finden gemeinsame Ausbildungs- und Informationsformate statt. Großer Förderer dieser Partnerschaft ist der Traditionsverband Jägerbataillon 27, der wesentlicher Motor in der Pflege des historischen Kontextes ist.