„Doppelrolle“ für die Reserve im Heimatschutz
Mit der Herbstausbildung auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken endete das „Pilotprojekt Landesregiment Bayern“, das seit Januar 2019 als zentrales Zukunftsprojekt der Territorialen Reserve energisch vorangetrieben wurde. Es lieferte wichtige Erkenntnisse für weitere Heimatschutzverbände.
Krach in Kreishausen: Eine Drohne der Bundeswehr ist in der Nähe des Übungsdorfes abgestürzt. Reservisten des Landesregiments Bayern sollen sie bergen. Aber auch feindliche Kämpfer wollen die Drohne in Besitz nehmen. Zu allem Überfluss kommen auch noch Schaulustige aus dem Dorf neugierig heran und bedrängen die Soldaten. Dann fallen aus dem Nebel Schüsse. Die Reservisten bekämpfen die Feinde, schnappen sich die Drohne und bringen sie über die Dorfstraße zu einem Lastwagen. So könnte im Ernstfall ein Auftrag für das Landesregiment Bayern aussehen. Dieser militärische Verband in der Reserve der Streitkräftebasis ist vor allem für Raum- und Objektschutz ausgebildet. Bei der „Herbstausbildung 21“ auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken zeigten die Kompanien des Landesregiments an verschiedenen Stationen vom „Einsatz Pioniermittel“ bis zum Gruppengefechtsschießen, was in den vergangenen Jahren in einzelnen Ausbildungsabschnitten trainiert worden war. Der Auftrag an das Landesregiment in der Übung lautete: Schutz von Räumen und Infrastruktur, während die aktive Truppe die feindlichen Bataillone bekämpft.
Die Herbstausbildung war der Höhepunkt des Ausbildungsjahrs für die bayerischen Heimatschützer. Zugleich schloss sie die Pilotphase des Landesregiments ab – ein gemeinsames Projekt von Bundeswehr und Reservistenverband. Dem Landesregiment Bayern wurden im Mai 2019 die drei fränkischen Heimatschutzkompanien unterstellt. Zusätzlich wurden im Lauf der Projektphase eine Stabs- und Versorgungskompanie und eine Unterstützungskompanie aufgestellt. Das Landesregiment soll der Reserve im Heimatschutz eine neue Führungsstruktur geben. Bei der Herbstausbildung ging es daher vor allem um den Beweis der Tragfähigkeit dieser Struktur. Die fünf Kompanien erfüllten einen gemeinsamen Auftrag unter einer einheitlichen Führung und bewiesen dabei ihre Einsatzbereitschaft in verschiedenen Szenarien der Landesverteidigung. Oberst Stefan Berger, Kommandeur des Landesregiments, führte erstmals mit seinem Regimentsgefechtsstand. Er sagte: „Wir sind auf diese Herausforderung bestens vorbereitet. Auch Corona konnte das Landesregiment bislang nicht stoppen.“
Ausbildungsschwerpunkt Regimentsstab
Szenenwechsel: Konzentration im Gefechtsstand. Über Funk und Feldtelefon gehen die Meldungen ein, dass eine Streife der Heimatschutzkompanie 6.000 NATO-feindliche Flyer entdeckt hat. In Kreishausen sind immer noch feindliche Kämpfer unterwegs. In einem anderen Dorf pöbeln Bewaffnete auf dem Markt herum. Weil die Polizei nicht mehr im Raum verfügbar ist, bittet der Bürgermeister um Hilfe. An anderer Stelle sind Fahrzeuge ausgefallen. Die Soldaten im Gefechtsstand aktualisieren die Lagekarten und besprechen sich, was zusätzlich zu den Sicherungsaufgaben zu tun ist: Lageinformation an die Kompanien im Gelände, verstärkte Streifen und Patrouillen um und in Kreishausen und ein Aufklärungstrupp in das nächste Dorf. Für eine einzelne Heimatschutzkompanie wären es zu viele Aufträge, ein Regiment schafft das.
„Es macht richtig Freude, die Truppe in ihrer Herbstausbildung zu begleiten“, sagt Brigadegeneral Thomas Hambach, Kommandeur des Landeskommandos Bayern, dem das Landesregiment unterstellt ist. „Der Ausbildungsstand ist in allen Bereichen absolut solide“, fährt der General fort. Er habe deutlich erkennen können, wie sinnvoll die Zeit seit der Herbstausbildung 2020 zur weiteren Konsolidierung genutzt worden sei. Der Anteil Gefechtsstandübung des Regimentsstabs war für den General ein Ausbildungsschwerpunkt: „Der Gefechtsstand hat seine Feuertaufe mit Bravour bestanden. Da ist mir nicht bange um die Zukunft des Heimatschutzes beziehungsweise der Territorialen Strukturen.“ Aber er freue sich auch darüber, dass sein eigener Stab Landeskommando so schnell und engagiert die neue Rolle als beübender Stab angenommen habe und damit einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen der Herbstausbildung leisten konnte.
Schnell und angemessen reagieren
Das Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum Hammelburg war für die Ausbildung im Gelände verantwortlich und stellte auch die Rollenspieler und -spielerinnen. Sie brachten die Heimatschützer in knifflige Lagen, indem sie beispielsweise für „Stress am Haupttor“ sorgten. Hier bewachten Soldaten einer Heimatschutzkompanie die Zufahrt zur Kaserne. Die Rollenspieler zogen als bundeswehrfeindliche Demonstranten aggressiv vor das Tor, warfen Steine, grölten oder skandierten Parolen wie „Kindergarten statt Kaserne“. Hier kam es für die Gruppenführer darauf an, schnell und angemessen zu reagieren. Ob es sich nun um Demonstranten, Schaulustige oder – wie in einem anderen Szenario – um Unfallopfer handelte, stets ging es um das Bewusstsein, dass die eigenen Bürger keine Feinde sind, und dass die Territoriale Reserve Deutschland in Deutschland dient. Deeskalation und Vermittlung müssen die Heimatschützer in der Territorialen Reserve der Streitkräftebasis ebenso gut beherrschen wie ihre Waffen. Zu ihren Aufgaben gehört es aber auch, in Katastrophenfällen zu helfen. So waren Soldaten des Landesregiment Bayern im Frühjahr 2021 beispielsweise im Corona-Amtshilfe-Einsatz in Coburg, andere halfen beim Hochwasser oder in der letzten Schneekatastrophe.
An der Herbstausbildung in Wildflecken nahmen 200 Heimatschützer teil – drei Viertel von ihnen Reservedienstleistende. Für alle waren strenge Corona-Schutzmaßnahmen verpflichtend. Für die Verpflegung sorgte die eigene Feldküche, betrieben von der Unterstützungskompanie des Landesregiments zusammen mit Soldatinnen und Soldaten des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 aus Neuburg an der Donau. Die Kompaniefeldwebel brachten aus der Küche täglich 850 Liter Tee, Kaffee und aus frischen Zutaten gekochte Brühe ins Gelände und zum Gefechtsstand.
Lob und Anerkennung von der Führung
Die hohe Bedeutung des Pilotprojektes Landesregiment Bayern für die Zukunft der Territorialen Reserve zeigte die Präsenz der Generalleutnante Laubenthal und Weigt. Der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Beauftragter für Reservistenangelegenheiten lobte die hohe Motivation der Heimatschützer. Sein Besuch bei der Herbstausbildung galt sowohl dem Landesregiment als auch dem künftigen Regionalen Ausbildungsstützpunkt der Reserve in Wildflecken. Auch von der Vielfalt und Altersbandbreite der engagierten Reservisten des Landesregiments war er sichtlich angetan. Tatsächlich lagen 43 Lebensjahre zwischen dem jüngsten Heimatschützer, dem Hauptgefreiten Nick Köhler (19) und dem ältesten, dem Obergefreiten Frank Heinrich (62).
Generalleutnant Jürgen Weigt pflichtet ihm bei: „Wir stellen bei dieser Herbstausbildung fest, dass sich das Gesamtkonzept Landesregiment erneut bewährt hat.“ Der Generalleutnant ist zugleich Stellvertreter des Inspekteurs der Streitkräftebasis und in dieser Funktion Beauftragter für Reservistenangelegenheiten der SKB. Er sieht das Landesregiment Bayern in einer „Doppelrolle“. Denn zum einen habe das Landesregiment unter Beweis stellen müssen, dass es ein einsatzfähiger Verband ist. Zum anderen diene es als „Role Model“ für den Ausbau und die Ausfächerung weiterer Heimatschutzverbände. Es liefere dabei wichtige Erkenntnisse für die Multiplikation: Führungsstruktur, Ausbildungsinhalte und Ausstattung sollen als Muster für andere Einheiten des Heimatschutzes herangezogen werden.
Landes- bzw. Heimatschutzregimenter und Ausbildungsstützpunkte für die Reserve soll es nämlich bald auch in anderen Bundesländern geben. Interessierte Gäste aus einigen Landeskommandos waren deshalb bei der Herbstausbildung in Wildflecken zu Gast, um sich einen Eindruck zu verschaffen, wie die Aufstellung von Heimatschutzregimentern aussehen kann und unter welchen Rahmenbedingungen sie ausgestaltet würden.