DWT-Tagung über strategische Vorausschau
Strategische Vorausschau hat nicht nur für Unternehmen, sondern auch für staatliche Organisationen und Einrichtungen eine hohe Relevanz. Den Nutzen und die hohe Bedeutung der Erstellung von Zukunftsszenarien stellten Experten mit Vorträgen über Analyseinstrumente und Praxisbeispielen auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik mbH (DWT) vor.
Vor dem Hintergrund der SARS-Pandemie 2002 bis 2003 skizzierte die Bundesregierung im „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ eine Zukunftsanalyse mit potenziellem Schadenausmaß. Nach Ansicht von Prof. René Rohrbeck und Dr. Sebastian Knab von der EDHC Business School zeige die aktuelle Corona-Krise erneut die Notwendigkeit strategischer Vorausschau auf. Eine Vorausschau benötige Antizipation wie Radare für zukünftige Ereignisse, Robustheit wie Szenario-basierte Strategien sowie Agilität wie Frühwarn- und Reaktionssysteme. Um als Firma oder Organisation erfolgreich auf zukünftige Ereignisse reagieren können, müssen alle drei Aspekte zutreffen. Eine Vorausschau kann beispielsweise aus einer Reaktion auf Trends, der Erstellung von potenziellen Zukunftsbildern und der Entdeckung neuer Geschäftsfelder bestehen.
Der Nutzen strategischer Vorausschau wurde auch im militärischen Bereich erkannt, wie die Systematik der Zukunftsentwicklung der Bundeswehr aufzeigt. Brigadegeneral Gerald Funke, UAL Plg I im BMVg, betonte, dass hierbei die Beschreibung von Zukunftsräumen und nicht die Erstellung von Prognosen im Mittelpunkt stehe. Für den Zeithorizont der Bundeswehr bis 2040 stellen das Verstehen, das Ernstnehmen und der Handlungsvorsorgewille gegenüber Herausforderungen die zentralen Aspekte dar. Daraus habe sich die Systematik der Bundeswehr entwickelt, die im Weißbuch das „Wohin“, in der Konzeption das „Wie“ und im Fähigkeitsprofil das „Womit“ definiere. Das NATO-Pendant unterteile sich in Trends 2040, Abilities 2035 und Capabilities 2030. Da in den Gesellschaften der Partnerländer unterschiedliche Werte und Diskussionen existieren, wie beispielsweise beim Thema bewaffnete Drohnen, seien auch nationale Strategien notwendig. Für eine erfolgreiche Vorausschau müsse der Fokus auf zukünftige Entwicklungen, multinationaler Austausch und der Handlungswille gerückt werden.
Ein praktisches Beispiel für das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr stellt das Analysekonzept „Future Operating Environment 2035“ dar. Gesellschaft, Technologie, Umwelt, Wirtschaft, Politik, Militär und Cyber haben laut Oberst Andreas Killmann, Planung I 1 im BMVg, die Einflussfaktoren bei der Konzipierung gebildet. Beim Analysekonzept wurde als Methode ein Vier-Ebenen-Modell angewandt. Dieses habe sich mit global-strategischem Kontext (Asymmetrie, Multinationalität, staatliche Ordnungskonflikte), dem Sicherheitsumfeld (Workshops zu Schlüsselfaktoren), militärisch-operativem Kontext (Bundeswehr, NATO) und Rahmenszenaren auseinandergesetzt. Die Erkenntnisse der Zukunftsanalyse waren, dass Konflikte asymmetrisch und hybrid verlaufen, digitale Vernetzung und soziale Medien eine hohe Bedeutung einnehmen und die technischen Entwicklungen voranschreiten werden. Folglich werden die Konflikte der Zukunft gesamtgesellschaftlich, systemisch, urban und digital verlaufen.
Vor dem Hintergrund der Digitalisierung und globalen Vernetzung bildet die Analyse von Medien ein wichtiges Instrument der Krisenfrüherkennung. Durch die rasante Entwicklung der Medienwelt seit den 2000er-Jahren entstanden eine Vielzahl an offenen und geschlossenen Kommunikationskanälen, so Konstantin Knauf von Qvest Media. Diese Kanäle werden auch von Extremisten oder Internet-Trollen genutzt, die mittels Verbreitung von Fake-News oder Botschaften bestehende Krisen verschärfen können. Krisen entstehen durch unvorhersehbare Ereignisse wie Naturkatastrophen, technisches und menschliches Versagen oder infolge von Kriegen und Terrorangriffen. Der Fall um den Tod von George Floyd in den USA stelle ein gutes Beispiel für die durch neue Medien entstandene Radikalisierung dar. Das Video über die Festnahme von Floyd, der kurz darauf starb, wurde zunächst über soziale Medien geteilt. Es haben sich erste Proteste gebildet, woraufhin klassische Medien über das Video und die Proteste berichteten. Die stetig wachsenden Proteste mündeten schließlich in nationale Ausschreitungen und einem Kontrollverlust der Behörden. Anhand des Fallbeispiels werden die hohen Gefahren der Polarisierung sowie die Notwendigkeit von Medienbeobachtung und -management ersichtlich. Mithilfe von Machine Learning können Texte, Bilder und Audios in sozialen Medien analysiert werden. Dieses System der künstlichen Intelligenz ermögliche eine frühzeitige Erkennung von Perspektiven, Themen, Influencern, Verbreitern, Reaktionen und Stories.
Die Analyse von Szenarien, aus der Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, ist das Ziel einer strategischen Vorausschau. Nach Dr. Konstantinos Tsetsos, Lehrstuhl für Internationale Politik der UniBw München, werden bei Zukunftsanalysen drei Konzepte unterschieden. Quantitative Modelle orientieren sich an Strukturen und bieten Indikatordaten wie Statistiken. Ein hybrides Modell integriere zusätzlich Beobachtungen und bringe relevante Ereignisdaten für die Krisenfrüherkennung. Qualitative Modelle basieren ausschließlich auf aktuellen Beobachtungen und dienen der Szenarioanalyse. Die Daten der Konzepte werden eingeordnet und bilden die Basis für die Trends. Eine Vorausschau beginne mit der Problembestimmung für die Konzipierung einer Fragestellung. Anschließend finden eine Faktorenselektion und die Einordnung der Informationen im Hinblick auf Relevanz und Unsicherheit statt. Nach einer Konsistenzprüfung werden die entwickelten Szenarien beschrieben und eine Auswahl getroffen, aus der schließlich Handlungsempfehlungen für Unternehmen oder staatliche Stellen abgeleitet werden.
Die DWT-Tagung fand am 7. Oktober 2020 im Maritim Hotel in Bonn statt. An der Veranstaltung nahmen unter Hygieneauflagen 53 Zuhörende und Referierende teil. Die Anwesenden kamen vor allem aus den Bereichen Bundeswehr und Verteidigung, Rüstungsindustrie, Consulting und Forschung.
Dieser Text stammt aus dem Sicherheitspolitischen Newsletter des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Diesen können Sie hier abonnieren.