Eine halbe Milliarde Euro für die Bearbeitung von Altlasten
Wenn es in Deutschland um die Beseitigung von Kampfmittelfunden geht, denken die meisten Menschen sofort an die Bundeswehr. Doch tatsächlich ist die Kampfmittelräumung eine Aufgabe der Kampfmittelbeseitigungsdienste der Bundesländer. Die Streitkräfte sind hingegen für Bearbeitung von Altlasten auf ihren militärischen Liegenschaften verantwortlich. Dafür gibt es seit über 30 Jahren ein komplexes Altlastenprogramm.
In der Nacht vom 3. auf den 4. August kam es auf einem Sprengplatz der Polizei im Berliner Grunewald zu heftigen Explosionen und einem großen Feuer. Mehrere Gebäude und eineinhalb Hektar Wald gerieten in Brand. Der Grunewald wurde weiträumig abgesperrt, Autobahn und Bahnstrecken unterbrochen. Rund 30 Tonnen Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg und mehrere hundert Kilogramm beschlagnahmte Feuerwerkskörper lagerten nach Angaben der Berliner Polizei zu diesem Zeitpunkt auf dem Gelände. Es dauerte Tage, bis Feuerwehr und Polizei die Lage unter Kontrolle hatten. Menschen kamen nicht zu Schaden, aber das Erschrecken der Öffentlichkeit war groß, und die Medien befassten sich in aller Ausführlichkeit mit den Gefahren von „Blindgängern“, „verlassener Munition“ oder „Kampfmitteln in Wäldern, Naturschutzgebieten und auf Übungsplätzen der Bundeswehr“.
Zahlreiche Anfragen in der Pressestelle des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr sowie den Pressezentren des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw) und des Kommandos Streitkräftebasis zeigten das starke Interesse, aber zugleich auch das hohe Maß an Unkenntnis der Medienvertreter über die Verantwortung der Bundeswehr bei diesem Thema. Denn die Beseitigung von Kampfmitteln aller Art ist keine Aufgabe der Bundeswehr.
Bundesländer organisieren „Kampfmittelbeseitigung“
Da die Beseitigung von Kampfmitteln der Abwehr von Gefahren für Leib und Leben des Menschen und ihrer Sachgüter dient, gehört sie zum Sachgebiet des Polizei- und Ordnungsrechts. Die „Kampfmittelbeseitigung“ ist daher grundsätzlich eine Aufgabe der Bundesländer. Hieraus lässt sich ableiten, dass die Länder dazu verpflichtet sind, die gesetzlichen Regelungen auf Landesebene zu schaffen, die Kampfmittelräumung zu organisieren und die personellen sowie finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Hierfür wurden von den Ländern Kampfmittelbeseitigungsdienste geschaffen und Verordnungen erlassen.
Eine bundesweite gesetzliche Regelung zur Kampfmittelbeseitigung, in der die Zuständigkeiten, die Finanzierung, die Haftung oder die materiellen Anforderungen an die Kampfmittelräumung geregelt werden, gibt es in Deutschland gleichwohl bislang nicht. Aber es gibt eine zentrale Ansprechstelle für die Gefahrenbewertungen von Rüstungsalt- und Kampfmittelbelastungen: die Leitstelle des Bundes für Boden- und Grundwasserschutz im Niedersächsischen Landesamt für Bau und Liegenschaften (NLBL).
Das „Altlastenprogramm der Bundeswehr“
Die Bundeswehr hat andere Aufgaben: Seit über 30 Jahren lässt sie auf militärischen Liegenschaften – also Kasernen, Depots, Flugplätzen sowie Standort- und Truppenübungsplätzen – im Rahmen des „Altlastenprogramms der Bundeswehr“ die zahlreichen Altablagerungen und Altstandorte der Militärproduktion und des Militärbetriebs vor 1945 bearbeiten. Dabei geht es im Wesentlichen um schädliche Bodenveränderungen, also Boden- und Grundwasserverunreinigungen mit Schadstoffen. Die Bearbeitung von Kampfmittelbelastungen ist hingegen nicht Bestandteil des Altlastenprogramms. Für Kampfmittel und Altlasten aus den Weltkriegen sind wiederum die Länder, für Kampfmittel von Bundeswehr und NVA die Bundeswehr selbst zuständig. Zu Rüstungsaltlasten gehören Munitionslagerstätten, Produktions- und Verarbeitungsstandorte sowie Entschärfungs- und Delaborierstellen.
Das Programm dient der umfassenden, zielgerichteten und nachhaltigen Bearbeitung derartiger überwiegend historisch bedingter Kontaminationen. Dabei wurde das Programm über die Jahre stets an aktuelle Rahmenbedingungen, neue gesetzliche Vorgaben und informationstechnische Entwicklungen angepasst. Bis heute wurden auf rund 2.500 Liegenschaften über 15.000 kontaminationsverdächtige Flächen erfasst, davon etwa 6.500 untersucht und mehr als 1.000 tatsächlich kontaminierte Flächen saniert. Hierfür wurden bisher insgesamt ca. 526 Millionen Euro aufgewendet. Die Bundeswehr führt die Kontaminationsbearbeitung in enger Abstimmung mit den zuständigen Behörden der Länder eigenverantwortlich durch. Bei Rückgabe der Liegenschaften an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), geht diese Zuständigkeit an die BImA über.
Lagerung von Munition bei der Bundeswehr
Für die Bundeswehr gelten seit ihrem Bestehen strenge Vorschriften für den Umgang mit und die Lagerung von Munition. Die Bundeswehr lagert sie fast ausschließlich in ortsfesten logistischen Einrichtungen. Das sind Einrichtungen des Logistikkommandos der Bundeswehr in Erfurt, das wiederum zum Kommando Streitkräftebasis in Bonn gehört. Zu diesen ortsfesten logistischen Einrichtungen gehören unter anderem die Munitionsversorgungszentren sowie die Munitionslager. Das Logistikkommando verfügt über insgesamt vier dieser Munitionsversorgungszentren (Nord, Süd, Ost und West). Ihnen sind 16 Munitionslager zugeordnet und noch zusätzlich zwei Munitionsinstandsetzungspunkte beim Munitionsversorgungszentrum Nord.
Sicherheitsvorschriften auf Übungsplätzen
Auch auf den Truppen- und Standortübungsplätzen gelten strenge Sicherheitsvorschriften und Einschränkungen für die Nutzung der unterschiedlichen Munitionstypen. Auf den 121 deutschen Standortübungsplätzen wird grundsätzlich Handwaffenmunition (ohne Wirkladung) eingesetzt, nur in Ausnahmen Pyrotechnik. Eine erhöhte Brandgefährdung geht ausschließlich von der Pyrotechnik aus. Pyrotechnische Blindgänger und Versager werden nach Übungsende beseitigt. Dementsprechend ist eine Brandgefährdung nach Ende der Übung nicht zu erwarteten. Der Einsatz von Pyrotechnik wird bei entsprechender Waldbrandstufe grundsätzlich untersagt. Eine Brandgefährdung auf Standortübungsplätzen durch Munition der Bundeswehr ist daher grundsätzlich als gering einzustufen. Die Betreiberpflichten liegen bei den zuständigen Standortältesten. Für den abwehrenden Brandschutz ist wiederum die Gemeinde zuständig.
Auf den 13 Truppenübungsplätzen der Bundeswehr in Deutschland werden Pyrotechnik und Munition mit Wirkladung eingesetzt. Sie enthalten Explosivstoffe, die bei der Umsetzung im Zielgebiet grundsätzlich einen Brand auslösen können. Daher ist auf jedem Truppenübungsplatz eine Bundeswehr-Feuerwehr aufgestellt, die während des Schießbetriebes einsatzbereit in den zugewiesenen Verfügungsräumen bereitsteht. Darüber hinaus ist die Freigabe von Munitionssorten an die jeweilige „Waldbrandgefahrenstufe“ und den jeweiligen „Graslandfeuerindex“ des Deutschen Wetterdienstes gekoppelt (z.B. keine Pyrotechnik bei erhöhter Waldbrandgefahr).
Zusätzlich sind auf Übungsplätzen Feuerlöschbrunnen und -teiche in der Nähe der Schießbahnen angelegt worden. Um die Schießbahnen wurden „Brandschutzstreifen“ eingerichtet, die vom zuständigen Bundeswehrdienstleistungszentrum (BwDLZ) beispielsweise durch Umpflügen vom Bewuchs freigehalten werden. Das Ziel: Ein Vegetationsbrand auf Truppenübungsplätzen, ausgelöst durch Munition der Bundeswehr oder verbündeter Streitkräfte, bleibt auf eine festdefinierte Fläche der entsprechenden Schießbahn begrenzt. Die Wahrscheinlichkeit eines unkontrollierten Vegetationsbrandes wird so deutlich reduziert.
Umgang mit Blindgängern
Munitionsreste und transportsichere Blindgänger der Bundeswehr werden grundsätzlich in die Zentrallogistik zurückgeliefert und hauptsächlich industriell entsorgt. Blindgänger, die nicht transportsicher sind, werden durch die Truppenübungsplatz Kommandantur auf dem Platz vernichtet. Der hierbei anfallende Schrott wird über die BwDLZ der Verwertung zugeführt.
Auch wenn auf den Truppenübungsplätzen die Zielgebiete regelmäßig beräumt werden, sind aber die Zielgebiete (z.B. der Artillerie) mit Blindgängern belastet. Diese Zielgebiete liegen grundsätzlich in der Platzmitte und dürfen ohne fachkundiges Personal nicht betreten werden. Die gesperrten Flächen sind gekennzeichnet, und auf die Lebensgefährdung wird hingewiesen.