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Nachhaltigkeit und Sicherheit: Bundeswehr entdeckt strategische Lücke

Wie es um die Reserve bestellt ist, was sie kann und was sie können soll, sind wichtige Fragen. Reserve ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Dies ist der vierte Debattenbeitrag zum Thema Reserve, diesmal in einer Form eines Berichtes über ein Thema, das eigentlich aus der Finanzbranche kommt: Nachhaltigkeitskriterien. Sie spielen bei der Bewertung von Unternehmen auf dem Kapitalmarkt eine wichtige Rolle. Damit beschäftigt sich nun auch das Bundesministerium der Verteidigung. Denn es hat Auwirkungen auf die Sicherheitsvorsorge, zum Beispiel auf die Frage: Können es sich Unternehmen künftig noch leisten, Reservistinnen und Reservisten für die Bundeswehr freizustellen?

Professor Dr. Daniel Graewe, Professor Dr. Rainer Bernnat und Generalleutnant Markus Laubenthal (v.l.n.r.) bei der Veranstaltung in Frankfurt.

Foto: Benjamin Vorhölter

debattenbeitragreserve

Die Bundeswehr ist auf Reservistinnen und Reservisten angewiesen. Ein Blick in die nahe Zukunft könnte in dieser Hinsicht düster aussehen: Unternehmen, vor allem größere, stellen keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr für den Reservistendienst frei. Die Chefs blicken wie das Kaninchen vor der Schlange auf die ESG-Kriterien. ESG steht für Environment (Umwelt), Social (Sozial) und Governance (Unternehmensführung). Anhand dieser Kriterien messen Ratingagenturen, wie ökologisch, sozial und nachhaltig ein Unternehmen wirtschaftet. ESG-Ratings sind zu einer wichtigen Größe am Kapitalmarkt geworden. Es heißt, wer bei diesen Nachhaltigkeitskriterien hohe Kennzahlen erreichen möchte und somit attraktiv für Investoren, Banken und Kreditgeber sein will, macht einen Bogen um Gewalt, Rüstung und Streitkräfte. Wenn kaum ein Unternehmen Reservistinnen und Reservisten freistellt, hat die Bundeswehr ein strategisches Problem.

Das eben beschriebene Beispiel ist aus der Sicht des Bundesministeriums der Verteidigung ein Horrorszenario, aber zum Glück nicht Realität und es muss auch nicht so weit kommen. Es verdeutlicht jedoch, warum sich die Bundeswehr nun mit ESG-Ratings und Nachhaltigkeit beschäftigt – eigentlich ein Thema aus der Finanzbranche. Was haben Wirtschaftsinteressen, Nachhaltigkeit und Sicherheit miteinander zu tun und warum ist das Thema für die Reserve der Bundeswehr wichtig? Darüber diskutierten neulich Vertreter aus Bundeswehr, Wirtschaft und Medien während der Tagung „ESG-Ratings von Unternehmen: Im Spannungsfeld zwischen nationaler Sicherheit, Wirtschaftsinteressen und Nachhaltigkeit“ bei der dfv Mediengruppe in Frankfurt.

Sicherheit steht vor Nachhaltigkeit

ESG-Kriterien sollen Transparenz für Investoren, Banken und Kreditgeber schaffen. Große Unternehmen sind verpflichtet, über ihre Maßnahmen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung zu berichten. Eine entsprechende EU-Verordnung ist Teil der Strategie hin zum Ziel des Europäischen Grünen Deals, das heißt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Was passiert, wenn die EU dieses Ziel nicht einhalten kann? Schon jetzt führen einerseits Überschwemmungen, Dürren und vermehrte extreme Wetterereignisse vor Augen, vor welchen Herausforderungen die Welt mit dem Klimawandel steht. Andererseits verschärfen Terror und Krieg die Situation. Aber was ist wichtiger, Sicherheit oder eine nachhaltige Wirtschaft? Ohne Sicherheit können Gesellschaften keine Antworten auf den Klimawandel finden. Ohne Maßnahmen, die zu deutlich weniger Treibhausgasemissionen beitragen, wird das Leben auf diesem Planeten zunehmend unerträglicher. Das ist ein Dilemma.

„Sicherheit ist ein Thema, über das wir mehr reden müssen“, sagt Professor Dr. Daniel Graewe, Experte für Wirtschaftsrecht und Direktor des Instituts für angewandtes Wirtschaftsrecht an der Hamburg School of Business Administration. „Wir befinden uns in einer Phase des Umbruchs mit einem dysfunktionalen UN-Sicherheitsrat und fünf Weltmächten – USA, Indien, China, Russland und die EU – die de facto die globale Politik mitbestimmen. Wir müssen den Umbruch bewältigen und gleichzeitig einen Tisch am Platz der Mächtigen ergattern“, beschreibt Graewe die Situation. Deutschland und die EU müssen sich nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch behaupten. Es sei ein Fehler, Sicherheit als einen Teil der Nachhaltigkeit zu denken, meint Wirtschaftsrechts-Professor Graewe: „Sicherheit steht vor der Nachhaltigkeit. Ich habe nichts gegen einen Leopard-2A-Panzer mit Elektro-Akku. Aber die Steckdosen in der Suwalki-Lücke sind übersichtlich.“

Reservisten bringen einen Mehrwert für Arbeitgeber

Frieden und Sicherheit sind keine Selbstverständlichkeit. Das zeigen der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Terror der Hamas im Nahen Osten und Sabotageakte an kritischer Infrastruktur in der Ostsee. „Die Zeitenwende betrifft uns alle. Auch die Wirtschaft muss ihren Beitrag leisten, beispielsweise durch die Freistellung von Reservistinnen und Reservisten“, sagt Generalleutnant Markus Laubenthal. Der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr zählt auf, dass im vergangenen Jahr 19.000 Reservistinnen und Reservisten in 45.000 Reservistendienstleistungen bei der Bundeswehr geübt haben, 60 Prozent davon in einem Zeitraum von 14 Tagen und weniger. Der Reservistendienst sorgt für einen Wissenstransfer und Weiterentwicklung von Know-how. Das betrifft Bereiche, in denen auf militärischen Dienstposten ähnliche Qualifikationen wie bei einer vergleichbaren zivilberuflichen Tätigkeit gefordert werden, zum Beispiel als Arzt im Sanitätsdienst oder als IT-Fachmann.

Der Wissenstransfer kann in beide Richtungen gehen. Der Arbeitgeber profitiert aber vor allem von Soft-Skills, die Reservisten mitbringen: Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Belastungsfähigkeit. Eine Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr habe ergeben, dass 71 Prozent der Arbeitgeber zufrieden oder sehr zufrieden mit Reservisten als Arbeitnehmern in ihren Unternehmen seien, hebt Generalleutnant Laubenthal hervor. Ihm ist wichtig, zu betonen, dass keine Produktion für die Freistellung von Reservisten stillstehen müsse. „Reservisten sollen 14 Tage im Jahr üben. Für die Inübunghaltung reichen Ausbildungen am Wochenende. 14 Tage ist planbar. Das überfordert keinen Arbeitgeber“, sagt Generalleutnant Markus Laubenthal.

Nachhaltigkeitskriterien schwierig für Rüstungsbranche

Die Wirtschaft ist darauf angewiesen, dass die Streitkräfte ihre Aufgaben erfüllen können. Diese wiederum benötigen eine starke Reserve, um einsatzfähig zu sein. Wie wichtig dabei Nachhaltigkeitskriterien werden, hat das Bundesministerium der Verteidigung erkannt. Nicht zuletzt aufgrund einer neuen EU-Richtlinie zur EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung hat das Thema an Fahrt aufgenommen. Gemäß der so genannten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSDR), soll die Pflicht zur Berichterstattung auf kleine, mittlere und große kapitalmarktorientierte Unternehmen, auf bilanzrechtlich große Unternehmen sowie auf Drittstaatunternehmen mit 150 Millionen Euro Umsatz in der EU ausgeweitet werden. Das würde für strategisch wichtige Unternehmen aus den Bereichen Maschinenbau, Fahrzeugbau, IT-Technologie, Medizintechnik und aus der Rüstungsindustrie gelten. Einige Kreditgeber richten sich bereits nach den ESG-Kriterien. So beschränkt sich zum Beispiel die Europäische Investitionsbank nach eigenen Angaben vom 10. März 2022 nur auf Dual-Use-Projekte – (Dual-Use bezieht sich auf militärisch und zivil nutzbare Güter). Die Bayerische Landesbank teilte 2021 mit, dass die Finanzierung von Rüstungsgütern für den Export ausgeschlossen sei. „Auf institutioneller Ebene haben wir hier ein Thema. Von diesen Institutionen geht eine Signalwirkung aus“, meint ein Unternehmensberater, der an der Veranstaltung bei der dfv Mediengruppe teilnahm.

Das Freiwilligkeitsprinzip in Gefahr

Wenn sich private Investoren und andere Banken ein Beispiel an diesen Institutionen nehmen, werde es immer schwieriger strategisch wichtige Industrie in Deutschland oder Europa halten zu können, argumentieren Vertreter der Rüstungsbranche. Denn für die Entwicklung von Spitzentechnologie ist viel Kapital nötig. Wenn es für die Branche immer schwieriger wird, an Kredite von Banken und Investoren aus der EU zu kommen, ist die unternehmerische Tätigkeit gefährdet. Unternehmen könnten gezwungen sein, ins Ausland abzuwandern. Damit dies nicht passiere, bedürfe es mehr Klarheit, was die ESG-Kriterien betrifft. Derzeit seien die Nachhaltigkeitskriterien unscharf formuliert. Kein Standard beschäftige sich mit der Bundeswehr oder mit der existenziellen Frage der Sicherheitsvorsorge, sagt Generalleutnant Laubenthal. Somit entstehe eine Lücke, die mit fragwürdigen Interpretationen gefüllt sei. Wenn nun tatsächlich Unternehmen davor zurückschrecken würden, Reservisten für einen Reservistendienst in der Bundeswehr freizustellen, weil sie um ihr ESG-Rating fürchten, sei eine einsatzbereite Reserve in Gefahr. Wenn das der Fall wäre, müsse man über eine verpflichtende Teilnahme – das heißt das Freiwilligkeitsprinzip würde fallen – nachdenken, sagt Generalleutnant Laubenthal. Damit der Weg durch falsch verstandene Nachhaltigkeit nicht noch schwieriger werde, nehme sich das Bundesministerium der Verteidigung nun des Themas an.

Sicherheitsvorsorge ist sinnstiftend

Vorstellbar wäre, dass Freistellung von Reservistinnen und Reservisten oder Investitionen in die Sicherheitsvorsorge sogar positiv ausgelegt werden können. Über das Steuerrecht ließen sich Anreize schaffen, schlägt ein Versicherungsunternehmer während der Diskussion vor. Die Bundeswehr übernimmt Verantwortung für die Sicherheit. Auch die Reserve trägt dabei wesentlich zum Auftrag bei. Dieser lautet glaubwürdige Abschreckung.

Aber reichen Anreize wie Steuervergünstigungen für Unternehmer oder Rentenvorteile für die betroffenen Reservisten, um mehr – vor allem jüngere Frauen und Männer – in die Reserve zu locken? Wahrscheinlich nicht. Denn außerhalb der Bundeswehr-Community und besonders bei der Zielgruppe der Schulabgängerinnen und abgängern sowie Studentinnen und Studenten – genau die jungen klugen Köpfe, um die auch die Bundeswehr mit der Wirtschaft konkurriert – sind die (Karriere-)Möglichkeiten in der Reserve noch zu unbekannt. Hinzu kommt die Bürokratie, die zahlreiche motivierte Reservisten abschreckt. Das System Bundeswehr ist insbesondere für Reservisten, die zum ersten Mal zu einer Reservistendienstleistung herangezogen werden wollen, schwer zu durchschauen. Es gibt Interessenten, die trotz langen Atems trotzdem aufgeben. Hier kann die Bundeswehr besser werden, indem sie klarer und transparenter kommuniziert, welche Reservisten sie an welchen Stellen wie lange benötigt und wie diese dort hinkommen können.

Die Reserve allgemein und insbesondere diejenigen, die mit dem Gedanken spielen, zur Bundeswehr zu gehen, sich aber nicht für die aktive Truppe verpflichten wollen, scheint die Bundeswehr bei ihren Maßnahmen zur Nachwuchsgewinnung noch viel zu wenig im Blick zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass sich dies mit der Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung und mit dem Aufwuchs in der Territorialen Reserve mit den sechs geplanten Heimatschutzregimentern ändert.

Dabei gilt es die Werte der Bundeswehr noch stärker herauszuarbeiten „Die Purpose-Orientierung steht insbesondere bei der Generation-Z hoch im Kurs. Die Bundeswehr mit ihren Werten ist in dieser Hinsicht ein hervorragender Partner“, sagt Professor Dr. Rainer Bernnat, Geschäftsführer von PwC Strategy. Das stimmt. Zum Dienst an der Waffe melden sich echte Idealisten, die etwas Sinnhaftes leisten wollen. Sich für die Gesellschaft oder fürs Land einsetzen, hat auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. Egal, ob als Unternehmer, der Freistellung ermöglicht oder als Arbeitnehmer, der Reservistendienst leistet, das Engagement muss in jedem Fall einen höhreren gesellschaftlichen Stellenwert bekommen. Dann stellen sich manche Fragen nach ESG-Kritierien auch nicht.

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