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Sicherheitspolitische Arbeit

„Europa muss zusammenrücken“




Blick hinter die Kulissen: Vorne referiert Prof. Dr. Günther Schmid. Hinter den Monitoren wird der Livestream für das Internet aufbereitet.

Foto: Knud Neuhoff

Einen Parforceritt durch drei höchst spannende Themenfelder bot das Sicherheitspolitische Forum Süd am vergangenen Wochenende. Dazu eingeladen hatte der Vizepräsident für sicherheitspolitische Bildung des Reservistenverbandes, Oberst a.D. Joachim Sanden. Bei der hybriden Veranstaltung – mit Gästen vor Ort in Giengen/Brenz und einer parallelen Internetübertragung – ging es zum einen um die künftige strategische Ausrichtung der NATO. Weitere Themenfelder waren die Rolle der Streitkräfte im Kontext des Klimawandels und die Rolle Europas zwischen den Großmächten USA und China.

„Wir stehen an einem Wendepunkt“, stellte Oberst d.R. Prof. Dr. Patrick Sensburg in seiner Begrüßung fest. Seinen Blick richtete er dabei nicht nur auf die europäische Ebene, sondern auch auf die transatlantische und die globale. „Wie verändert sich die Welt? Wo sieht Amerika sein zukünftiges Engagement? Geht Amerika zum Teil aus Europa raus?“, fragte Sensburg mit Blick auf die folgenden Vorträge. Deutschland müsse eine eigene Rolle finden in der Sicherheitspolitik, dabei aber den Blick fürs große Ganze nicht verlieren. „Ein EU-Staat alleine wird es nicht leisten können, Sicherheit in einer Region – auch über die EU hinaus – gewährleisten zu können.“

Den Europäern müsse es gelingen, ihre Interessen zu bündeln. Für Deutschland leiten sich, so Sensburg, Handlungsfelder auf drei Ebenen ab: die Landes- und Bündnisverteidigung, die Sicherheit in Europa und die deutschen Interessen in der Welt. Zumindest mit einem Auge schielt der Verbandspräsident dabei auch über den Ärmelkanal. Das Vereinigte Königreich sei nach dem Brexit geostrategisch zwar „anders unterwegs“ als die Kontinentaleuropäer, könne aber ein Brückenbauer sein zwischen der NATO und der EU.

Transatlantische Zweibahnstraße

Generalmajor Jörg See. (Foto: Screenshot)

Genau dort knüpfte Generalmajor Jörg See an. Er ist Stellvertreter des Beigeordneten Generalsekretärs der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung im Internationalen Stab der NATO in Brüssel. Was erst einmal sperrig klingt, umschreibt See so: „Alles, wo ‚Defence‘, also Verteidigung, draufsteht, geht über meinen Schreibtisch.“ Und das sind auch Papiere, die die Ausrichtung der NATO bis zum Jahr 2030 beschreiben. Dem Thema widmete sich jüngst auch ein virtuelles Treffen der Reservistenarbeitsgemeinschaft Brüssel – hier nachlesen. Neben den drei Kernaufgaben – kollektive Verteidigung, Krisenmanagement und kooperative Sicherheit – geht es See vor allem um eine transatlantische „Zweibahnstraße“, wie er es nennt. „Die Amerikaner haben Interesse an einem starken Europa. Und wir sollten ebenso ein Interesse daran haben, als starker Partner wahrgenommen zu werden, auf Augenhöhe.“ Für ihn essenziell ist ein transatlantisches Bündnis unter wechselnden Bedingungen. Eine immer wieder wechselnde „Koalition der Willigen“ stünde dem entgegen.

„Der Klimaschutz wird nicht gelingen“

Prof. Dr. Stefan Bayer. (Foto: Screenshot)

Eine sicherheitspolitische Einordnung des Klimawandels, bzw. dessen Folgen, lieferte Prof. Dr. Stefan Bayer vom German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS). In seiner Funktion ist er zudem für die Führungsakademie der Bundeswehr und die Helmut-Schmidt-Universität tätig. Seine doch recht ernüchternde Kernthese: „Ich gehe davon aus, dass der Klimaschutz nicht gelingen wird.“ Mit wenigen gesellschaftlichen Einschränkungen könnten wir nur allerschlimmste Auswirkungen vermeiden, aber wir werden mit Veränderungen leben und uns dem Klimawandel anpassen müssen, prognostizierte er. Dabei seien die Industriestaaten durchaus erfolgreich, wie er anhand einer Tabelle belegte. Darauf war eine Stagnation der CO2-Emissionen zu erkennen. Doch die damaligen Entwicklungsländer, denen im Kyoto-Protokoll ein wirtschaftlicher Nachholbedarf zugestanden worden war, seien heute die Hauptverursacher. Gemeint ist damit vor allem China, aber auch Teile Indiens, Brasiliens oder Mexikos seien heute keine Entwicklungsgebiete mehr.

Auf die Streitkräfte wirken sich die Klimafolgen nicht nur im Katastrophenmanagement aus oder bei humanitären Interventionen. Es könnten auch neue Konflikte entstehen, etwa wenn der Indus, der Indien und Pakistan trennt, über die Ufer trifft, weil im Himalaya die Gletscher abschmelzen. Oder wenn die USA ihren Militärstützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean aufgeben müssen. Unterm Strich soll das Hauptaugenmerk von Streitkräften nicht der Klimaschutz sein, diese seien in diesem Kontext nur Teil eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzes.

„Zusammenrücken, um sich zu behaupten“

Prof. Dr. Günther Schmid. (Foto: Screenshot)

Die Rolle Europas zwischen den Großmächten USA und China ordnete Prof. Dr. Günther Schmid ein. Der Professor für internationale Politik und Sicherheit war früher im nachgeordneten Geschäftsbereich des Bundeskanzleramts für das Themenfeld „Internationale Sicherheitspolitik“ tätig. Schwerpunkt seiner Arbeit waren China und Asien allgemein. Seine Kernthese: China ist zum Testfall für die Selbstbehauptung Europas geworden. „China ist in einigen EU-Staaten, etwa in Ungarn oder Polen, der größte Investor und nimmt zumindest indirekt Einfluss auf die politische Willensbildung. Die EU bleibt auf absehbare Zeit der größte Handelspartner Chinas und China der zweitgrößte Handelspartner der EU. Nur wenn Europa in den strategischen Fragen zusammenrückt, ist Europa fähig, sich zu behaupten.“

Schwierig sei es dagegen, China als Partner, Wettbewerber und Systemrivalen gleichzeitig zu behandeln. „Was sind denn hier die roten Linien?“, fragte Schmid. „Was wir brauchen, ist ein regelkonformes, prinzipiengebundenes Handeln. China kann die Regeln nicht ständig neu definieren!“ Die EU und die USA müssten beim Handel geschlossener auftreten, die EU zudem ihr Wettbewerbsrecht an den globalen Wettbewerb anpassen. Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass Europa und die Welt auf Deutschland schauen, die Außenpolitik im Wahlkampf jedoch nur ein Randthema war.  Schmid Fazit: „Eine komplexe Welt. Und sie wird noch komplexer. Keiner weiß, wie am Ende des Jahres die deutsche Außenpolitik aussehen wird.“

Oberst a.D. Joachim Sanden. (Foto: Screenshot)

Ausblick

Auch wenn sich einige Fragen – gerade aufgrund dieser Komplexität und der aktuell noch unklaren Regierungsbildung – nicht abschließend beantworten lassen, „haben wir in allen Teilen einen sehr interessanten Tag erlebt“, sagte Sanden. Nicht zuletzt, weil auch Moderator Björn Müller sachkundig und mit leichter Hand durch die Veranstaltung führte. Das nächste Sicherheitspolitische Forum Süd kündigte er abschließend für das erste Halbjahr 2022 in Neu-Ulm an. Neben einem vollen Saal soll, so der Wunsch von Verbandspräsident Sensburg, die Übertragung ins Internet beibehalten werden, um die spannenden Inhalte einem möglichst breiten Personenkreis zugänglich zu machen.

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