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Falsche Euphorie – Indien als zuverlässiger Partner Deutschlands?

Deutschlands Interesse an Indien hat sich intensiviert. Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach sogar von Indien als „der wichtigste strategische Partner für Europa und für Deutschland“. Innerhalb eines halben Jahres besuchten Bundeskanzler Olaf Scholz sowie drei Bundesminister das Land. Eine stärkere Zusammenarbeit mit Indien bietet Potenziale, aber auch Risiken. Die Bundesrepublik muss sich im Klaren sein, auf welchen Feldern sie mit Indien enger zusammenarbeiten will. Dabei spielen deutsche Interessen im Indopazifik eine zentrale Rolle.

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Indiens Premierminister Nerandra Modi.

(Foto: Prime Minister's Office via Wikimedia Commons)

chinaindienindopazifikrussland

Seit mehreren Jahren gibt es zwischen Berlin und Neu-Delhi Regierungskonsultationen. Zuletzt fanden diese im Jahr 2022 statt. In einer gemeinsamen Erklärung bekannten sich beide zur regelbasierten internationalen Ordnung und zur Reform des multilateralen Systems, um Zukunftsfragen und Krisen besser bewältigen zu können. Beide Staaten erklärten sich zudem bereit, eine Partnerschaft für grüne und nachhaltige Entwicklung einzugehen. Diese Partnerschaft stand auch im Fokus des Besuchs von Wirtschaftsminister Robert Habeck Mitte Juli 2023.

Indien ist für Deutschland ein wichtiger Handelspartner. Bei den Exportländern lag es 2022 auf Platz 22. Mit Blick auf den Import lag Indien im Jahr 2022 auf Platz 24. Indiens Wirtschaftswachstum erreicht weiterhin Raten von über fünf Prozent. Das birgt große Potenziale. Mit den 2022 begonnenen Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien könnten sich die Handelsbeziehungen weiter intensivieren. Vorhergehende Anläufe waren gescheitert. Aber heute ist die Ausgangslage eine andere als noch 2013. Deutschland und die EU haben erkannt, dass eine zu starke Bindung an ein einziges Land zu Problemen führt. Der Blick nach Indien ist eine unmittelbare Folge der jahrelangen, zu starken Abhängigkeit von Russland und China. Gleichzeitig sieht sich auch Indien weltweit nach neuen Partnern um.

Auf gleicher Linie im Indopazifik

Indien tritt offen für den Erhalt der regelbasierten Ordnung im Indopazifik ein und verfolgt eine multilaterale Sicherheitspolitik. Auch Deutschland steht für die regelbasierte Ordnung im Indopazifik ein. Offene Seewege sind für die Bundesrepublik ein zentrales Interesse, auch wenn hier zweigeteilte Signale gesendet werden. Schließlich beteiligt sich Deutschland seit 2022 nicht mehr an der EU-Mission ATALANTA, obwohl die Absicherung der freien Schifffahrt entlang dem Horn von Afrika die wesentliche Aufgabe der Mission ist.

Des Weiteren ist eine engere Zusammenarbeit bei den Streitkräften vorteilhaft. In diesem Jahr ist eine gemeinsame Militärübung im Indopazifik geplant. Daran teilnehmen sollen seitens der deutschen Marine eine Fregatte sowie ein Versorgungsschiff. Die Beteiligung an Militärübungen mit Indien zeigt, dass Berlin das Einstehen für eigene Interessen im Rahmen seiner Möglichkeiten ernst nimmt. Auch auf anderen Ebenen ließe sich die Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften beider Länder vertiefen, beispielsweise über gegenseitige Ausbildungsangebote.

Zwischen China und Indien findet seit mehreren Jahren ein Disput über die Vormacht in Südasien statt. Indien ist besorgt, dass Peking die Staaten in der Region auf seine Seite zieht und somit eingekreist wird. Bangladesch hat 2016 mit China eine Vereinbarung über Investitionen in Höhe von 24 Milliarden US-Dollar im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI) getroffen. Dennoch hat Indien weiterhin ein sehr gutes Verhältnis zu Bangladesch. Auch Sri Lanka ist Teil des Wettrennens der beiden Großmächte. Hier jedoch scheinen beide Mächte einen ähnlichen Stand zu haben, je nach politischer Ausrichtung des sri-lankischen Präsidenten. China hält einen sehr hohen Anteil der Schulden des Landes. Gleichzeitig leistet Indien finanzielle und humanitäre Unterstützung an Sri Lanka in Höhe von vier Milliarden US-Dollar.

Der Flugzeugträger IAC-1 Vikrant der indischen Marine ist das erste Kriegsschiff dieser Größe, das von Indien in Eigenregie hergestellt wurde. (Foto: Indian Navy via Wikimedia Commons)

In diesem regionalen Wettstreit, der jederzeit auch militärisch eskalieren kann, ist eine Zusammenarbeit im Bereich Rüstung für Indien und Deutschland von Vorteil. Die Unterzeichnung einer Absichtserklärung zum Kauf von sechs deutschen U-Booten während des Besuchs von Verteidigungsminister Pistorius im Sommer 2023 kann der Auftakt zu einer engeren und umfangreichen Kooperation im Bereich Rüstung sein. Will Deutschland im Indopazifik dauerhaft für seine Interessen einstehen, braucht es starke Partner aus der Region. Indien hat die wirtschaftliche und militärische Stärke sowie regionalen Einfluss, um so ein Partner zu sein.

Die Tradition des Non-Alignment

Trotz der Rivalität haben Indien und China enge Handelsbeziehungen. Das Handelsvolumen hat im Jahr 2022 neue Höchstwerte erreicht, wobei Neu-Delhi gegenüber Peking ein Handelsdefizit eingefahren hat. Indien ist Mitglied in der Gruppe der BRICS-Staaten sowie in der Shanghai Cooperation Organization. Gleichzeitig ist das südasiatische Land Teil des Formates Quadrilateral Security Dialogue (QUAD) zusammen mit den USA, Japan und Australien. Bei Resolutionen zur Verurteilung des Krieges in der Ukraine hat sich Indien regelmäßig enthalten. Gleichzeitig rief es immer wieder zur Abkehr von der Gewalt auf und betonte die Souveränität und territoriale Integrität von Staaten.

Seit Jahren gehört Indien zu den größten Rüstungsimporteuren in der Welt. Einer der wichtigsten Lieferanten stellt Russland dar. Diese enge Bindung ergab sich im Laufe des Kalten Krieges und besteht bis heute. Material und Fahrzeuge aus dem indischen Heer sowie der Luftwaffe haben zum überwiegenden Teil eine russische Herkunft. Schätzungen gehen davon aus, dass Indien 2.400 T-72 Kampfpanzer sowie etwa 60 MiG-29 und 50 MiG-21 besitzt. Vergleichsweise gering, dennoch von russischen Rüstungsgütern geprägt, ist die indische Marine.

Die indischen Regierungen verfolgen seit der Unabhängigkeit 1947 eine Politik der Neutralität. Es zieht aus seinem „Non-Alignment“ Vorteile und vermeidet es, sich auf eine bestimmte Seite zu schlagen. Gleichzeitig versucht sich Neu-Delhi als Führer der Entwicklungsländer und damit als eigener Pol zu etablieren.

Momentum Ukrainekrieg

In den vergangenen Jahren gab es bereits einen Rückgang russischer Exporte sowie eine Zunahme der Importe insbesondere aus Frankreich. Mit Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat sich für die Staaten des Westens womöglich ein Momentum ergeben, das jetzt genutzt werden muss.

Die russischen Rüstungsgüter werden in der Ukraine gebunden sein. Umfangreiche Sanktionen könnten den Import notwendiger Maschinen und Maschinenteile teilweise einschränken. Somit würde auch die Rüstungsproduktion aufgrund der Sanktionen eingeschränkt. Bereits jetzt kann Russland Lieferzusagen an Indien nicht einhalten. Indien wird gezwungen sein sich neue Partner zu suchen, will es mittelfristig seine Armee weiterhin gut ausrüsten.

Bei einem Besuch im Juni 2023 vereinbarte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin mit seinem Amtskollegen Rajnath Singh eine Roadmap für eine tiefere Rüstungskooperation. Diese umfasst unter anderem auch die gemeinsame Zusammenarbeit bei der Produktion von Flug- und mobilen Landsystemen, Munition sowie Überwachungs- und Aufklärungstechnik. In Washington wurden weitere Verträge in verschiedenen Rüstungssektoren geschlossen.  Mit Frankreich wurde ein Vertrag für 26 Rafale Kampfjets Anfang Juli 2023 vereinbart. Auch Deutschland kann und muss sich dieses Momentum zunutze machen, solange Indien neue Partner im Rüstungsbereich sucht.

Realismus statt Blauäugigkeit

Die indische Außen- und Verteidigungspolitik ist interessengeleitet. Indiens Ruf nach Reformen in den internationalen Organisationen, um den globalen Süden besser zu repräsentieren, ist interessengeleitet. Auch Indiens Balanceakt mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine ist geprägt von dem Interesse die Rüstungskooperation mit Russland nicht zu gefährden – zumindest so lange keine adäquaten Partner gefunden sind. Zuletzt verfolgt Neu-Delhi auch mit der „Make in India”-Initiative das Ziel, ausländische Investoren nach Indien zu ziehen, von einem Technologietransfer zu profitieren und stärker zu exportieren. All das sind legitime Interessen. Eine deutsche Außen- und Verteidigungspolitik muss diese Interessen jedoch im Blick behalten. Überschneidung von Interessen kann sich Deutschland zunutze machen, beispielsweise bei der Reform des UN-Sicherheitsrates, oder der Sicherung offener Seewege im Indopazifik.

Wie positioniert sich Indien politisch in den nächsten Jahren gegenüber China und Russland? (Foto: Laura Jameson via pexels.com)

An Indien zeigt sich, dass die Welt eben nicht einfach in Autokratien und Demokratien einzuteilen ist. Einerseits wird Indien als die größte Demokratie der Welt bezeichnet. Seit einigen Jahren lebt in Indien jedoch ein Nationalismus auf, der an diesem Titel ein großes Fragezeichen hinterlässt. Genau deshalb darf eine tiefere Partnerschaft jedoch auch nicht blauäugig sein. Dort, wo indische und deutsche Interessen kollidieren, muss Deutschland frei genug sein, um dies anzusprechen. Beispiele stellen Menschenrechtsverletzungen oder die Einschränkung der Pressefreiheit dar. Aber auch eine protektionistische Handelspolitik wäre aus deutscher Sicht problematisch.

Mit Blick auf den potenziellen Auftrag zur Produktion der sechs U-Boote für die indische Marine ist bereits geklärt, dass diese durch die indische Mazagon Dock Shipbuilders Limited durchgeführt. Thyssenkrupp Marine Systems wird die technische Planung übernehmen sowie beratend tätig sein. Das Vorhaben entspricht dem Ziel der „Make in India”-Initiative, die Produktion stärker ins eigene Land zu verlagern.

Partnerschaft mit klarem Rahmen

Indien ist ein wichtiger Partner Deutschlands, nicht nur im Indopazifik. Auf wirtschaftlicher, wissenschaftlicher oder militärischer Ebene bestehen viele Kontakte. Wenn man die Partnerschaft mit Indien ausbauen möchte, braucht es einen klaren Rahmen und klare Grenzen. Ohne eine Strategie kann es keine strategische Partnerschaft geben. In den Indopazifik-Leitlinien hat die letzte Bundesregierung bereits Felder der Zusammenarbeit mit Indien formuliert. Darauf aufbauend kann ein Rahmen im laufenden Prozess weiterentwickelt oder jetzt durch eine Strategie definiert werden.

In jedem Fall muss die Bundesregierung einige Fragen beantworten, beispielsweise inwieweit sie auf die protektionistische Handels- und Industriepolitik Indiens eingehen will. Ferner muss sie darlegen, wie das deutsche Engagement im Indopazifik mittelfristig auch militärisch aussehen soll und ob die eigenen rüstungspolitischen Vorgaben und Regeln noch zeitgemäß sind. Die Bundesrepublik darf sich nicht zu sehr auf einseitige Abhängigkeiten einlassen. Das könnte mittelfristig erneut zu großen Problemen führen. Am Ende ist Deutschland einer von vielen Partnern Indiens. Genauso sollte auch Neu-Delhi einer von vielen Partnern Berlins im Indopazifik sein, wenn auch zweifelsohne ein wichtiger. Verpasst man es, die Partnerschaft mit Indien in einem klaren Rahmen zu fassen, bleibt wohl nichts als falsche Euphorie.

 

Autoreninfo:

Josef Hebeda hat an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg seinen B.A. in Soziologie und Wirtschaftswissenschaft abgeschlossen. Er interessiert sich für die Sicherheitspolitik im Indopazifik und ist stellvertretender Vorsitzender des Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH).

 

Literaturtipps:


Dieser Beitrag stammt aus den SiPol-News des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Die SiPol-News können Sie hier abonnieren
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