Ein Samstagmorgen gegen 9 Uhr. Ein Wolf-Geländewagen und zwei Krad-Fahrer sperren vor der Schill-Kaserne in Wesel die Bundesstraße 473. 20 Militärkraftfahrzeuge machen sich auf den Weg zum Standortübungsplatz Bislicher Wald. Eine Militärkolonne, wie sie viele Menschen seit den letzten Nato-Herbstmanövern Ende der 1980er Jahre nicht mehr gesehen haben. Alle Fahrzeuge sind mit orangefarbenen Blinklichtern bestückt. Die Fahrzeuge sind mit blauen Fähnchen an der Fahrerseite bestückt. Eine vorschriftsmäßige Kolonne. Mark Olaf Janssen erklärt: „Wir gelten so als ein Fahrzeug und so können alle Fahrzeuge der Kolonne auch noch bei Rot über die Ampel fahren, wenn das erste Fahrzeug noch Grün hatte.“
Während der militärische Lindwurm sich mit ungefähr 50 Stundenkilometern auf der Bundesstraße entlang bewegt, schauen die Menschen in den entgegenkommenden Fahrzeugen nach den Militärfahrzeugen. Mehrere winken, einer zeigt mit der linken Hand ein Victory-Zeichen aus dem Seitenfenster. Fußgänger bleiben stehen und schauen sich das alles neugierig an. Und alles wirkt wie damals – Ende der 1980er Jahre. Die Fahrzeuge sind Eigentum von Reservisten der Bundeswehr. Die meisten Fahrzeuge haben ein H-Kennzeichen. Janssen ist der Vorsitzende der Reservistenarbeitsgemeinschaft (RAG) „Militär-Kfz Rhein Ruhr“. „Unsere Leute haben alle Bundeswehrfahrzeuge oder die von Nato-Partnern in ihrem Besitz. Sie sind originalgetreu erhalten. Deshalb können sie auch das H-Kennzeichen bekommen“, so der Stabsfeldwebel der Reserve. So eine Kolonnenfahrt macht allen sichtlich Freude. Denn hier spürt jeder Teilnehmer, dass er Teil eines Ganzen ist: Ein Fahrzeug!
„So eine Kolonnenfahrt müssen wir vorher anmelden. Wir haben eine Genehmigung des Kreises Wesel. Wir sichern unsere Fahrt selbst ab. Und da es sich bei der Fahrt mit Übungsplatzaufenthalt um eine Verbandsveranstaltung handelt, können die Reservisten auch Uniform tragen. Das hilft bei der Streckenabsicherung mit Kreuzungssperrungen enorm. Niemand der anderen Verkehrsteilnehmer regt sich darüber auf. Es sieht wie ein echter Militäreinsatz aus. Allerdings sind die Kennzeichen völlig zivil – zeigen aber, wo die Reservisten herkommen: Vom ganzen Niederrhein, aus dem Ruhrgebiet und sogar aus dem Köln-Bonner-Raum sind welche dabei.
Auf dem Standortübungsplatz angekommen, beginnt der Ausbildungstag. Eine Gruppe tarnt einen Wolf, eine andere baut das Küchenzelt auf, wieder eine andere Gruppe trainiert das Bergen eines im Gelände festgefahrenen Fahrzeugs. Doch das Ganze hat nicht nur einen gewissen Spaßfaktor für die Männer der RAG. „Das alles ist auch für die Bundeswehr nützlich“, sagt Janssen. „Wir sorgen dafür, dass die Fahrstrecken im Gelände befahrbar bleiben. Denn die Bundeswehr ist nur noch selten hier auf dem Platz und sie hat auch zu wenig Personal für die Pflege des Übungsplatzes. Deshalb bekommen wir die Platznutzungserlaubnis immer unkompliziert erteilt.“
Ortswechsel. Auch in Hannover gibt es eine RAG rund um Militärfahrzeuge. Sprecher ist dort Oberstleutnant der Reserve Dirk Darimont von der RAG „Fuhrpark oliv“. Deren Mitglieder treffen sich regelmäßig. Doch der Ansatz der Norddeutschen ist ein etwas anderer. „Wir fahren natürlich auch Kolonne. Doch wir wollen unsere Fahrzeuge präsentieren, und zwar sehr gerne zur Unterstützung der aktiven Truppe“, sagt Darimont.
Das Landeskommando Niedersachsen ist an die Reservisten herangetreten, weil im Landeskommando gerade eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Standortes Hannover und der Aufgaben des Landeskommandos Niedersachsen vorbereitet wird. Seinerzeit hatte die Bundeswehr im Rahmen der Agenda „Bundeswehr in Führung – Aktiv. Attraktiv. Anders.“ den Auftrag erhalten, flächendeckend in der Bundesrepublik Regionale Ausstellungen zu errichten, um der eigenen Traditionsbildung zu dienen und zugleich eine Verknüpfung von Bundeswehr und Gesellschaft zu fördern.
Die besondere Herausforderung bei der Konzeption dieser regionalen Ausstellung war, dass das Landeskommando erst im Jahr 2007 aufgestellt wurde und deshalb nur wenige Exponate vorhanden sind. Folglich gab es anfangs nur wenige zeigenswerte historische Gegenstände.
Deshalb wurden die Reservisten angefragt. Und die haben geliefert: Alte Bundeswehruniformen und persönliche Ausrüstung aus privaten Beständen, einen VW Kübel und ein Hercules-Krad. Thomas Lundt ist Eigentümer des 1974 gebauten Kübels, der bis Anfang der 1990er Jahre in der Truppe gefahren wurde. „Der Kübel wurde zunächst vom Iltis, dann vom Wolf ersetzt“, so der 55-Jährige. „Da es sich um Käfertechnik handelt, bekomme ich noch überall Ersatzteile bei Oldtimertreffen oder bei Spezialhändlern.“ Dennoch ist es für alle ein kostenintensives Hobby. Doch weil es ein Hobby ist, denken die Reservisten nicht groß darüber nach.
Stefan Grzenkowski aus Hagenburg hat sich zum Beispiel einen MAN-Lkw zugelegt. Für ihn ist sein KAT1, 5-Tonner, Baujahr 1980 mit Deutz V8 luftgekühlt mit 256 PS und 12.765 ccm ein Stück persönliche Nostalgie. Der heute 49-Jährige war 1992 bis 1993 bei der Bundeswehr und war dort Fahrer des Transportpanzers Fuchs. „Deshalb habe ich auf diesem Lkw-Typ meinen Führerschein gemacht.“
Und wie erklärt der Mann seiner Ehefrau, die hohen Kosten, gerade bei einem Verbrauch von bis zu 40 Liter auf 100 Kilometer? „Meine Ehefrau war erst skeptisch – aber als ich sagte, dass ich mir auch ein Motorrad holen könne, willigte sie schließlich ein. Und jetzt unternehmen wir mit unserem 16 Jahre alten Sohn gemeinsame Fahrten. Auf dem Lkw ist genug Platz für Feldbetten und allem, was man braucht.“
Doch bei beiden RAGn fällt eines auf: Es scheint sich um ein Hobby für Männer zu handeln. Und das, obwohl schon seit 21 Jahren Frauen in allen Verwendungen der Bundeswehr dienen. Vielleicht ist das noch nicht lang genug, denn historisch ist ein Fahrzeug erst im Alter von 30 Jahren. Vielleicht kommt dann der persönliche nostalgische Gedanke auch bei den Reservistinnen auf.
Wer sich für Militärkraftfahrzeuge interessiert, kann beim Reservistenverband nach entsprechenden Kontakten in der Nähe des Wohnortes fragen. E-Mail: info@reservistenverband.de.