Die Denkfabrik der Bundeswehr
Wissen, Mut und Diskurs. Mit diesen Attributen möchte die Führungsakademie der Bundeswehr in die Zukunft gehen. Sie ist die höchste Bildungseinrichtung der deutschen Streitkräfte und noch viel mehr. Gemeinsam mit der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr wird sie mit dem "German Institute for Defence and Strategic Studies" (GIDS) ab Samstag einen "Think Tank" zu strategischen Fragen betreiben.
Kann man mit dem Zerstören von Kulturgütern in gewaltsamen Konflikten die Identität eines Volkes schwächen? Welche Folgen hat der Klimawandel auf die Sicherheitspolitik? Sind demokratische Systeme zu strategischem Handeln fähig? Es sind viele Fragen, mit denen sich sicherheitspolitische Experten beschäftigen. Es sind solche, mit denen gesamtstaatliche und ressortübergreifende Lösungsstrategien gesucht werden. Die Führungsakademie wird als Denkfabrik dazu einen Beitrag leisten. „Dass sich die Führungsakademie als Denkfabrik aufstellen wird, finde ich sexy, spannend und zeitgemäß. Es ist toll, an diesem Prozess teilzuhaben“, sagt Oberstleutnant der Reserve Birgit Czernotzky. Im Frühjahr arbeitete sie als Reservistin in der Steuergruppe für die Denkfabrik an der Führungsakademie der Bundeswehr.
Reservistendienst an der Führungsakademie
Als Kommunikationsexpertin berät sie die Führung in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit: Wie will die Denkfabrik in der Öffentlichkeit auftreten? Welche Formate wählt man, um Ergebnisse nach außen zu transportieren? Konferenzen, Tagungen, Publikationen, eine eigene Zeitschrift, Podcasts? Czernotzky hat als Journalistin und Politikredakteurin, in der Unternehmenskommunikation und als Marketingleiterin gearbeitet. Jetzt berät sie in strategischen Kommunikationsfragen. „Mich hat Sicherheitspolitik schon immer interessiert, und ich war neugierig. Als sich die Bundeswehr im Jahr 2000 für Frauen öffnete, wurde ich Reservistin.“ Während ihrer Reservistendienstleistungen hat sie beim Presse- und Informationszentrum der Luftwaffe, bei der Arbeitgeberkommunikation im Verteidigungsministerium und im Planungsamt der Bundeswehr geübt. „Ich habe dort eine Menge gelernt und mitbekommen, konnte aber auch immer viel aus meiner zivilen Expertise einbringen“, sagt sie. Zurzeit wirbelt die zierliche Reservistin in ihrer Luftwaffenuniform von einem Meeting zum nächsten. Es gibt viel zu tun.
Systematisches Wissensmanagement
Doch wie kam es zu so viel atendrang in der Clausewitz-Kaserne? Es war die Rede von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im November 2016. Sie erweckte die Führungsakademie aus ihrem Dornröschenschlaf, denn sie gab explizit den Auftrag, das Profil der Führungsakademie zu schärfen und das dort vorhandene Wissen nutzbar zu machen. 1957 gegründet, 1958 in das weltoffene, liberale Hamburg verlegt, ist die Führungsakademie seit eh und je die Kaderschmiede der deutschen Streitkräfte. An der Führungsakademie finden die nationalen und internationalen General- und Admiralstabsdienstlehrgänge statt. Es ist die Institution für die Aus-, Weiter- und Fortbildung des Spitzenpersonals der Bundeswehr – nicht nur militärisch, auch zivil. Mehr als 3000 Lehrgangsteilnehmer pro Jahr werden unterrichtet. Etliche Studienarbeiten werden und wurden verfasst, seit 2014 besteht gar die Möglichkeit zu dem Masterstudiengang „Militärische Führung und Internationale Sicherheit“. Kurzum: An der Führungsakademie wird Wissen produziert und geformt. „Jetzt heißt es, dieses Wissen zugänglich zu machen. Uns geht es nun in erster Linie um Wissensmanagement“, sagt Oberst i.G. Boris Nannt, Direktor Strategie und Fakultäten. Wissensmanagement bedeute nicht nur, Wissen zu generieren und zu vermitteln, sondern auch, es zu nutzen, zu steuern und zu vernetzen. „Die Führungsakademie ist eine Denkfabrik, und die wollen wir abschöpfen– und systematisieren. So schaffen wir relevante Produkte und erstklassige Strategieberatung“, folgert Nannt.
„German Institute for Defence and Strategic Studies“
„Im Grunde genommen wollen wir aus den vielen kleinen Strängen an Wissen ein großes Tau machen“, sagt Prof. Dr. Matthias Rogg, Leiter der Steuergruppe Denkfabrik an der Führungsakademie. Die Führungsakademie ist eine Kooperation mit der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr eingegangen. Gemeinsam steuern und unterfüttern sie die Denkfabrik durch das „German Institute for Defence and Strategic Studies“ (GIDS). Bis zu 20 wissenschaftliche Mitarbeiter sollen dort an spezifischen Themen forschen und arbeiten – je nach Bedarf und Auftragslage. Unterstützt werden sie durch die Dozenten und Lehrgangsteilnehmer der Führungsakademie. Die Akademie in Gänze gilt als Denkfabrik. „Das GIDS als zentrale Koordinierungsstelle der Denkfabrik bietet Forschung und Spitzenleistung. Wir wollen kritische Beratung und öffentlichen Diskurs“, erklärt Rogg. Der Historiker hat drei Forschungsfelder identifiziert, die im GIDS abgebildet werden sollen: Kultur und Identität in einem sich verändernden sicherheitspolitischen Umfeld, Ökonomie und Ökologie der Gewalt sowie als drittes Dynamiken und Typologien von Kriegen und Konflikten. Das sind Forschungsbereiche, die andere Think Tanks in Deutschland, wie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik oder die Stiftung Wissenschaft und Politik, nicht abdecken.
Akademie und Universität zusammenführen
Noch in diesem Jahr sollen die ersten Forschungsprojekte angestoßen werden. Themen wären zum Beispiel: welche Rolle Kultur in einem Konflikt spielt, inwiefern Finanzpolitik stärker in aktive Sicherheitspolitik – beispielsweise in Form von Sanktionen – eingebunden werden kann oder wo und mit welcher Dynamik sich Konflikte entwickeln. In einem zweiten Schritt sind drei weitere Forschungsfelder geplant: ressortgemeinsames und interdisziplinäres Denken und Handeln in sicherheitspolitischer Perspektive, militärische Strategie und Führung im 21. Jahrhundert und Strategische Partnerschaften. Das Ziel ist klar: „Wir möchten eine der tragenden Säulen einer strategischen Vorausschau – zusammen mit den anderen Partnern – in Deutschland sein. Wir sind eine komplementäre Ergänzung, weil wir Akademie und Universität zusammenführen und beide gemeinsam exzellente Grundlagenforschung betreiben, die dann politisch kritisch beraten soll. Wichtig ist, dass dies im Rahmen eines öffentlichen, kritischen Diskurses stattfindet“, sagt Oberst Rogg. „Wir brauchen den Mut zum Diskurs“, betont Nannt an dieser Stelle. „Alles Wissen, alle Expertise und Spitzenforschung bringt nichts, wenn wir sie nicht in einen offenen, kritischen Diskurs betten und in eine Wirklichkeit überführen jenseits der Campusmauern. Wir brauchen mehr Dialektik und den Mut, die Sachen beim Namen zu nennen“, sagt der Oberst. Denn letztlich geht es darum, die Bundeswehr besser zu machen und sie zu einem veritablen Baustein in einer Gesamtstrategie der Bundesregierung zu machen.
Reservisten bringen frischen Wind
Auch Reservisten sind gefragt. So wird nicht nur der Dienstposten von Prof. Rogg gespiegelt, es können bei den unterschiedlichen Forschungsprojekten auch Reservisten mitarbeiten. „Wir haben mit Reservisten sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie bringen einen großen Erfahrungsschatz und viel Expertise aus ihren zivilen Berufen mit. Außerdem sorgen sie für frischen Wind“, sagt Oberst Rogg und schaut zu Czernotzky. Ab dem Sommer werden weitere Reservisten in der Denkfabrik Dienst leisten. Das flexible System, mit dem Reservisten auch länger üben können, kommt der Denkfabrik zugute. Davon wird Czernotzky auch profitieren. Oder anders herum: Die Bundeswehr wird von ihr profitieren. Sie kommt im Frühsommer für eine längere Übung an die Führungsakademie, dann, wenn es in die ganz heiße Phase für die Denkfabrik geht. „Ich freue mich darauf. Wir arbeiten hier am Puls der Zeit. Wissensmanagement ist die Zukunft.“